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Er war der Star einer neuen Generation von lateinamerikanischen Staatschefs: Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva. Wie seine erst jüngst ins Amt gekommenen Kollegen in Bolivien, Mesa, oder Argentinien, Kirchner, versprach Lula bei der Regierungsübernahme vor knapp einem Jahr, mit der Epoche "neoliberaler Experimente " in Südamerika Schluß zu machen und ein "sozialer Präsident" sein zu wollen.
Um die stockende Wirtschaft wieder in Gang zu bringen, hatten die Vorgänger-Regierungen der Region seit Beginn der 90er Jahre auf vornehmlich US-amerikanische Rezepte wie Liberalisierung, Privatisierung und totale Marktöffnung gebaut. Damit konnten zwar gewisse wirtschaftliche Erfolge erzielt werden, doch die erst zaghaft sprießenden Früchte der Radikalkur konnten die gewaltigen sozialen Einbrüche nicht ausgleichen, die jene "Total-Liberalisierung" mit sich brachte. In Venezuela, Peru, Argentinien und zuletzt in Bolivien (Zusammenfassung 43/03) kam es zu politischen Explosionen.
Der Aufruhr bereitete sozialistischen Politikern wie Lula, Kirchner, Mesa oder gar dem linksradikalen Chavez (Venezuela) den Boden. Lula da Silva war vor seiner Präsidentschaft jahrelang Gewerkschaftsboß gewesen. Das allein sicherte ihm die Liebe der europäischen Medien, Liebe, die offenbar blind macht.
Denn in Brasilien selbst befinden sich die Umfragewerte des mit viel Vorschußlorbeeren gewählten Präsidenten schon wieder in stetem Fall, ohne daß dies in Europa Aufmerksamkeit fände. Allein seit Anfang September sauste Lulas Zustimmung im Volk von 72 Prozent auf nur noch 60 Prozent zu Beginn dieses Monats.
Geradezu verheerend urteilen die Brasilianer mittlerweile über Lulas junge Regierung. Nur noch 38 Prozent vertrauen seinen Ministern - Rot-Grün läßt grüßen. Die Lage wird als derart dramatisch eingestuft, daß nach Informationen der spanischen Tageszeitung El País sogar die oppositionellen Konservativen erwägen, in Lulas Kabinett einzutreten, um ein nationales Fiasko aufzuhalten.
Nichts will dem einstigen Volkshelden gelingen. Die großen Versprechungen der vergangenen Wahl bleiben leer. Etwa bei der angekündigten Landvergabe an die Millionen landlosen Bauern. Mit spektakulären Farmbesetzungen hatten diese das Land überzogen und hofften nun auf den Beistand Lulas. Der hatte vor der Wahl vollmundig versprochen: "Land für alle!"
An der Macht angekommen wurde ihm schnell klar, daß das so einfach nicht geht, wenn man nicht Grundlagen wie das Eigentumsrecht opfern und die Agrarproduktion ruinieren will. Statt ihnen also Höfe zu geben, verschärfte Lula die Polizeieinsätze gegen jene vagabundierenden Landlosen, die ihm vertraut hatten. Deren Enttäuschung droht erneut zum Pulverfaß zu werden: Brasiliens Bischofskonferenz warnt vor einer "sozialen Rebellion".
Um weitere einstige Steckenpferde des Präsidenten steht es nicht besser: Ein "Null Hunger"-Programm sollte mit je umgerechnet 15 Euro monatlicher Direkthilfe für die Ärmsten der Armen die Unterernährung stoppen. Doch das Programm ist in der Bürokratie hängengeblieben. Laut Opposition gehen für jeden ausgegebenen Real (brasilianische Währung, entspricht zur Zeit etwa 30 Cent) 1,77 Real an Verwaltungsaufwand drauf.
Die Beihilfe stößt überdies mehr und mehr auch auf grundsätzliche Kritik. Es mache die Menschen bloß abhängig, statt sie zu befähigen, auf eigenen Beinen zu stehen, so wird bemängelt. "Die Armen brauchen keine Almosen, sondern Arbeit", lautet die Losung.
Zehn Millionen Arbeitsplätze wollte Lula in kurzer Zeit schaffen. Das Resultat ist bislang praktisch Null. Von den zehn Millionen neuen Stellen sind dem Vernehmen nach gerade einmal ein Prozent auf den Weg gebracht worden.
Von einer gründlichen Reform der Sozialsysteme, wie Lula sie ebenfalls schleunigst in Angriff nehmen wollte, "erhoffen" die Unternehmen des Landes un- terdessen kaum mehr als steigende Steuerlasten, die auf das zarte Wachstum drücken.
Nicht einmal der Kampf gegen die Kriminalität kommt von der Stelle, im Gegenteil: In São Paulo sei die Zahl der Entführungen noch angestiegen, berichtet El País. Das Blatt berichtet aus Rio de Janeiro, die Menschen mieden aus Angst vor der Gewalt sogar den weltberühmten Traumstrand der Stadt und zögen das häusliche Schwimmbecken vor.
Wie aus lateinamerikanischen Medien zu erfahren ist, plant Präsident Lula da Silva dieser Tage eine gründliche Umbildung seines Kabinetts. Er will die Notbremse ziehen, bevor ihm die Lage entgleitet und er ebenso endet wie manch "neoliberaler" Nachbar.
Enttäuschte Hoffnung: Brasiliens neuer Präsident Lula auf seiner "Karawane gegen den Hunger", Januar 2003 |
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