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Das diesjährige Motto des Bundes der Vertriebenen zum "Tag der Heimat" ist Angebot und Aufforderung zugleich. Dieses Angebot gilt in erster Linie der Politik, aber auch der Öffentlichkeit, um zu zeigen, daß die Heimatvertriebenen Menschen guten Willens sind. Nur durch intensive und wechselseitige Gespräche zwischen Menschen und Völkern läßt sich ein Vertrauensverhältnis schaffen, das unabdingbar für ein friedliches Zusammenleben im "Haus Europa" ist.
Seit Jahrzehnten strecken die Heimatvertriebenen beide Hände zur Verständigung und Versöhnung aus, doch keiner will sie so recht ergreifen. Hat man Angst, ist es das schlechte Gewissen, hat man Furcht vor der Wahrheit, den unleugbaren Fakten, die die Spuren von Flucht und Vertreibung sichtbar hinterlassen haben? Wer so viel Unheil und Unrecht erfahren hat wie wir Heimatvertriebenen, der braucht im Grunde nicht um Vergebung und Verzeihung zu bitten. Er könnte durchaus, auch das ist menschlich, ja allzu menschlich, Rache und Vergeltung fordern.
Dies ist heute ein gängiges politisches Vorgehen, überall in der Welt. Die Bekämpfung des Terrors beruht auf diesem Prinzip und erklärt die Vergeltung als legitimes Mittel der Politik. Wir nehmen die Nachrichten kaum noch wahr und erregen uns auch nicht, wenn die Spirale der Gewalt zwischen Israel und den Palästinensern nicht abreißt, jedes Attentat ein Folgeattentat nach sich zieht. Vergeltung ist ein Mittel der Politik, wenn sie auch gelegentlich von den Vereinten Nationen verurteilt wird. Auch der "Mauerbau" ist zwar ein geächtetes, gleichwohl praktiziertes Mittel der Politik.
Wir Heimatvertriebene wollen uns nicht verherrlichen und als "Heilige" hinstellen. Aber es muß vor aller Öffentlichkeit immer wieder kundgetan werden, daß wir schon 1950 in der "Charta der Heimatvertriebenen" feierlich auf Rache und Vergeltung verzichtet haben und uns auch heute noch strikt an diese Selbstverpflichtung halten. Dieses unser selbstloses und einzig auf die Gewinnung von Frieden hinzielendes Verhalten wird zwar gelegentlich seitens der Politik gewürdigt. Doch dies allein ist kein Grund für uns stolz zu sein.
Dieselbe Politik beschimpft uns gleich im nächsten Atemzug, wenn wir Recht und Gerechtigkeit fordern und gegen erwiesene historische Lügen ankämpfen. Wir haben nämlich als Leidtragende die alte christliche Botschaft verinnerlicht, die da heißt: "Nur Gerechtigkeit schafft Frieden!" Mit dem Verzicht auf Rache und Vergeltung haben wir nicht auf unser Recht verzichtet, das "Recht auf die angestammte Heimat". Wenn auch andere meinen, das Recht sei im politischen Alltag nur unnötiger Ballast, ja "Dreck", den man unter den Teppich kehren könnte, halten wir uns an das Recht. Wenn es auch eine Illusion sein mag, wir Heimatvertriebenen glauben an die Gerechtigkeit und die Macht der historischen Wahrheit. Wer glaubt, der Vergangenheit entfliehen zu können, indem er sie ignoriert, der ist politisch naiv, der ist ein Phantast. Schlimmer, derjenige dient weder dem Frieden noch der Verständigung unter den Völkern. Auch Unrecht muß aufgearbeitet werden, man muß sich mit ihm befassen, in welchem Namen es auch immer begangen wurde.
Wir Heimastvertriebenen haben aus der Geschichte gelernt. Für uns sind Beschlüsse des Bundestages bindend und kein "dummes Geschwätz" von gestern. Wir vertreten keine rechtswidrige oder gar unsittliche Position, wenn wir wiederholen, was der Deutsche Bundestag am 23. Juni 1994 einstimmig feststellte: "Vertreibung jeder Art ist international zu ächten und als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu ahnden. Wer vertrieben wurde, hat Anspruch auf die Anerkennung seiner Rechte." Der Staat hat weder einen rechtlichen noch einen moralischen Spielraum. Er muß handeln und die Rechte seiner Bürger wiederherstellen. Da gibt es keinen Abwägungsspielraum, insbesondere in einem Staat, der sich gerne zu besonderen Anlässen als freiheitlichster Rechtsstaat, den es je auf deutschem Boden gegeben habe, selbst feiert.
Diese Aussage, "wer vertrieben wurde, hat Anspruch auf die Anerkennung seiner Rechte", läßt keinerlei Interpretationsspielraum. Sie ist ein kategorischer Imperativ an die Politik. Sie ergibt sich logisch aus dem Grundgesetz, das nicht nur die Menschenrechte als vorstaatliche, sozusagen von Gott gegebene Rechte, garantiert. Dem Grundgesetz geht auch das Völkerrecht voran, insbesondere die Haager Landkriegsordnung von 1907. Schon in der Haager Landkriegsordnung wurde festgestellt, daß die Vertreibung der Bevölkerung aus einem besetzten Gebiet sowie die Entziehung von Eigentum völkerrechtswidrig sind.
Unsere Vertreibung ist und bleibt ein "völkerrechtlich zu ächtendes Unrecht, das weder durch deutsche Kriegsschuld noch durch den Nationalsozialismus zu rechtfertigen ist", wie es der vormalige Bundespräsident Roman Herzog treffend beschrieben hat. Das in Artikel 13 garantierte Grundrecht auf "Eigentum und Erbe" ist ein Individualrecht, das jedem Menschen zusteht. Das Eigentum ist immer Produkt menschlicher Arbeit und kann und darf nicht entschädigungslos konfisziert werden. Kein Mensch kann auf das Eigentum anderer Menschen verzichten, auch kein Bundeskanzler.
Voraussetzung für einen freiheitlichen Rechtsstaat, für eine florierende Privatwirtschaft ist die Existenz wie die unabdingbare Respektierung des Rechtes auf Eigentum und Erbe. Auch der Bundeskanzler möchte sicherlich, daß sein Recht auf Eigentum und Erbe respektiert und geschützt, im Notfall gar vor Gericht verteidigt wird. Er würde die Gerichte anrufen, bis in die letzte Instanz.
Vor einigen Jahren schrieb der Hochkommissar für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen an den Bund der Vertriebenen: "Das Recht aus der angestammten Heimat nicht vertrieben zu werden, ist ein fundamentales Menschenrecht." Wenn wir uns nicht selbst entrechten wollen, zu Schwerstverbrechern deklarieren wollen, dann können wir nicht umhin, als die Verletzung unserer Menschenrechte anzuklagen und Entschädigung und Sühne zu verlangen.
Es gibt weder im internationalen Zivilrecht noch im allgemeinen Völkerrecht den Tatbestand der "Kollektivschuld", der "Kollektivrache". Jedes Verbrechen, jeder Mord ist immer Tat eines Einzelnen, ist immer individueller Natur. Wie viele Verbrechen auch von einer Seite begangen wurden, das erlaubt der siegreichen anderen Seite nicht, sich pauschal an wehrlosen Frauen, Kindern und Greisen zu vergreifen und sich an ihnen für anderseits erlittenes Unrecht zu rächen.
Unser Staat "Bundesrepublik Deutschland" war einmal ein Rechtsstaat. Er war sich auch der Verpflichtung und des Erbes bewußt, das der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte. Er sah die vielen offenen Wunden und wollte sie heilen. Solch ein Heilungsversuch war das Lastenausgleichsgesetz von 1952. Es war kein vertriebenenspezifisches Gesetz, sondern galt allen Geschädigten, auch denjenigen des alliierten Bombenterrors, dem über 160 deutsche Städte zum Opfer fielen. Nur etwa 50 Prozent der Lastenausgleichsmittel entfielen auf die Heimatvertriebenen und Flüchtlinge. Außerdem stellt das Lastenausgleichsgesetz ausdrücklich fest, daß es die völkerrechtswidrige, entschädigungslose Entziehung deutschen Privatvermögens nicht tangiert, da es lediglich als Eingliederungshilfe und Entschädigung für entgangenen Gewinn gedacht war.
Wer mit Hilfe des Lastenausgleichsgesetzes sein Wohn- oder Geschäftshaus mitten in Hamburg, Köln, München oder Frankfurt am Main aufbauen konnte, der stand nicht vor der Frage der Enteignung und Rück- gabe. Ihm war sein Grund und Boden geblieben. Er konnte am Wirtschaftswunder partizipieren. Da ihm das Eigentum an Grund und Boden und auch das Erbrecht nie genommen war, stellt sich für ihn die Frage nach Rückgabe des Lastenausgleichs nicht. Diese würde sich aber stellen, wenn wie durch ein Wunder ein LAG-Empfänger morgen, 60 Jahre nach Beendigung des Krieges, sein verkommenes und verwahrlostes Haus in Königsberg, Breslau oder Danzig zurückerhalten sollte. Ich halte es für rechtsstaatlich äußerst bedenklich, ja für moralisch verwerflich, wenn in solch einem Fall der Lastenausgleich samt Zinsen zurückverlangt werden sollten. Dies wäre eine erneute Diskriminierung der Vertriebenen und eine eklatante Verletzung des Gleichheitsprinzips. Das Gleichheitsprinzip ist ein eherner juristischer Grundsatz, der Ungleichbehandlung verhindern und Willkür in der Justiz ausschließen will. Es macht aber den Anschein, daß wir in Zeiten der Klassenjustiz zurückfallen, indem die Heimatvertriebenen als "unterste Klasse" eingestuft werden.
Als gesellschaftlich "Aussätzige" werden wir ja heute schon von Teilen der Politik wie der Medien angesehen und behandelt. Uns darf man ungestraft beschimpfen, diskreditieren und diskriminieren, als Ewiggestrige wie Revanchisten und Friedens- wie Versöhnungsfeinde betitulieren. Mit uns will man sich auf der politisch-diplomatischen Ebene nicht mehr sehen lassen. Wir werden ausgeklammert, ausgeschlossen. Wir haben nach Wolfgang Borchert "draußen vor der Tür" zu bleiben. Wir passen nicht in die "gute Stube" des europäischen Hauses. Wir stören den stickigen Scheinfrieden, der immer den Geruch des Unrechts, das unter den Teppich gekehrt wurde, in der Nase hat. Keiner wagt die Fenster zu öffnen, um die Wahrheit hereinzulassen, die uns frei macht. Warum beherzigt man im christlichen Abendland nicht die christliche Aufforderung: "Nur die Wahrheit macht frei!"
Wer ausschließlich mit den Waffen der Wahrheit und Wahrhaftigkeit und auf dem Boden historischer Tatsache für Recht und Gerechtigkeit kämpft, und das absolut gewaltlos, kann der ein Friedensfeind sein? Im Gegenteil, wir im Bund der Vertriebenen sowie in den Freundeskreisen zusammengeschlossenen Heimatvertriebenen sind die mit Abstand größte Friedensbewegung der Welt. Wer nahezu 60 Jahre unermüdlich für Frieden durch Gerechtigkeit kämpft, der hat im Grunde den Friedensnobelpreis verdient. Alle politischen Unterhändler, die bisher den Friedensnobelpreis erhalten haben, haben den Frieden verfehlt, weil dieser nur auf Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit aufbauen kann.
Gewaltloser als der Bund der Vertriebenen hat sich bisher kein anderer in der Welt verhalten, der derart gewaltsam entwurzelt und entrechtet, ja wie Vieh abtransportiert und vertrieben wurde. Wir verhalten uns ruhiger als ein Opferlamm, das auf die Schlachtbank gebunden wird. Trotzdem werden wir unentwegt diffamiert, kaum daß wir auch nur den Mund aufmachen. Alle Welt hetzt dem schnöden Mammon hinterher, doch uns wird empfohlen, doch bloß nicht egoistisch und materialistisch zu sein und Entschädigung für konfisziertes Eigentum zu verlangen. Die öffentliche Hetzjagd hat einige von uns eingeschüchtert; sie wollen eine "Null-Lösung" akzeptieren. - Doch eine "Null-Lösung" ist keine Lösung. Sie schafft keine Basis für Vertrauen, weil sie auf der Anerkennung von Unrecht und Verbrechen beruht. Sie belohnt den Verbrecher und animiert Andere, gleiches zu versuchen und zu tun. Sie schafft Nachahmungstäter, wie nicht nur der Balkankrieg gezeigt hat.
Wir Heimatvertriebenen müssen den dornenreichen Weg weitergehen. Wir müssen, wenn es auch unpopulär ist, Vorkämpfer für das Eigentumsrecht wie das Heimatrecht bleiben. Wir müssen diese beiden Grundpfeiler unserer Verfassung schützen und stützen. Zu verteidigen ist auch das Recht der freien Meinungsäußerung. Auch dieses Grundrecht sollten wir nicht ohne Not aufgeben. Im Gegenteil, auf dieses unser Grundrecht hat die Bundesregierung im September 1996 bei Beantwortung einer kleinen Anfrage der PDS hingewiesen. Die Bundesregierung wörtlich: "Vertriebenenverbände und ihre Mitglieder dürfen sich kritisch zu völkerrechtlich verbindlichen Verträgen Deutschlands mit den östlichen Nachbarn äußern." Wir dürfen also sagen, was wir denken und sind darin durch die Verfassung geschützt.
Wenn wir uns zu den offenen Vermögensfragen äußern und die Aussagen des Bundeskanzlers in Warschau kritisieren, dann begehen wir keinen Staatsverrat, sondern geben einzig und allein die Meinung der Bundesregierung wieder. Ich zitiere aus einem Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 8. Juni 1998: "Die Bundesregierung hat die im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte Vertreibung von Deutschen aus ihrer angestammten Heimat und die entschädigungslose Einziehung deutschen Vermögens stets als großes Unrecht und als völkerrechtswidrig angesehen und auch so bezeichnet. Dementsprechend hat die Bundesregierung auch nie auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüber Polen verzichtet, insbesondere auch nicht mit Abschluß des Nachbarschafts- und Freundschaftsvertrages vom 17. Juni 1991. Bei den Verhandlungen zu diesem Vertrag ist es der Bundesregierung vielmehr gelungen, die Vermögensfrage offenzuhalten."
Die aktuelle Rechtslage, die auch in zwei Urteilen des Bundesverfassungsgerichts bestätigt wurde, geht davon aus, daß die Vermögensfrage offen und eben keineswegs gelöst ist. Einzig und allein vor diesem Hintergrund müssen die Aussagen des Bundeskanzlers in Warschau bewertet werden. Er sagte wörtlich: "Deshalb darf es heute keinen Raum mehr geben für Restitutionsansprüche aus Deutschland, die die Geschichte auf den Kopf stellen. Die mit dem Zweiten Weltkrieg zusammenhängenden Vermögensfragen sind für beide Regierungen kein Thema in den deutsch-polnischen Beziehungen. Weder die Bundesregierung noch andere ernstzunehmende politische Kräfte in Deutschland unterstützen individuelle Forderungen, soweit sie dennoch geltend gemacht werden. Diese Position wird die Bundesregierung auch vor internationalen Gerichten vertreten." Er fügte dann noch hinzu: "Die Bundesregierung wird solchen Ansprüchen entgegenwirken."
Dies ist ein einmaliger Vorgang, der die Grundfesten unserer Verfassung unterminiert und den Rechtsstaat, auf den wir so stolz waren, zum Papiertiger degradiert, zum Wurmfortsatz politischer Willkür macht. Doch was wir in Deutschland erleben, ist in der Europäischen Union auch kaum besser. Da hat das Europäische Parlament in Straßburg am 15. April 1999 mit Mehrheit gegen die Stimmen der Sozialisten und Kommunisten beschlossen, daß Tschechien vor Beitritt in die EU die "fortbestehenden Gesetze und Dekrete aus den Jahren 1945 und 1946 aufzuheben (habe), soweit sie sich auf die Vertreibung von einzelnen Volksgruppen der ehemaligen Tschechoslowakei beziehen." Doch dieser Parlamentsbeschluß war für die Kommission in Brüssel Schall und Rauch.
Waren Vertreibung und Enteignung die erste Entrechtung, die den Vertriebenen völkerrechtswidrig zuteil wurde, so erfolgte jüngst in Warschau durch den Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland die zweite Entrechtung. Er wollte Druck ausüben insbesondere auf die Preußische Treuhand, die sich zum Ziel gesetzt hat, ähnlich wie die Jüdische "Claim Conference" vor nationalen wie internationalen Gerichten die Eigentumsansprüche von Privatpersonen zu vertreten und Entschädigungen zu erwirken. Oberstes Gebot in einem Rechtsstaat muß es sein und bleiben, daß Niemand daran gehindert werden darf, seine Rechte zu vertreten und zu erstreiten.
Ein ungeheurer Vorgang ist auch, daß die Bundesregierung sich gegen das "Zentrum gegen Vertreibung" stellt und uns damit eine Stätte zentralen Gedenkens und Trauerns verwehrt. Dies ist unerhört und kommt einer kollektiven Ächtung gleich. Hier zeigt sich, was Alexander Mitscherlich den Deutschen vorwarf: "Die Unfähigkeit zu trauen!" In diesem Zusammenhang fallen auch die Worte von Willy Brandt ein: "Verzicht ist Verrat!" Wenn staatliche Willkür uns auch Rechte vorenthalten und Gerechtigkeit verweigern kann, die Trauer um unsere Toten wie den Verlust der Heimat lassen wir uns nicht verbieten. Wir würden den letzten Rest unserer schon geschändeten Menschenwürde aufgeben. Werden wir niemals zu Verrätern!
Bewahren Sie, liebe Schicksalsgefährten, die Heimat in ihrem Herzen und lassen sie sich nicht entmutigen im Kampf um die Durchsetzung von Recht und Gerechtigkeit.
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