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Alexej von Jawlensky war 57 Jahre alt, als er 1921 nach Wiesbaden kam, 1922 zog er in die Beethovenstraße. Er konnte nicht ahnen, daß diese hessische Stadt einmal zur international berühmten Heimstätte seines expressionistischen, von vielen abgelehnten und von vielen bewunderten Bildwerks werden würde. Mit 56 Gemälden - Porträts, Stilleben, Landschaften - und 34 Zeichnungen (darunter 14 Dauerleihgaben) ist diese Sammlung im Museum Wiesbaden an Umfang und Vielfältigkeit schier unüberbietbar.
Blickfang beim Betreten des Jawlensky-Saales bildet des Künstlers Selbstporträt von 1912 in der für ihn typischen grellen Farbkomposition. Ein rustikaler, bärbeißig blickender Mann nimmt den Betrachter ins Visier. Die übergroßen Augen - Kennzeichen aller von ihm porträtierten Männer, Frauen, Knaben - fesseln. Ein hoher steifer Kragen verdeckt den Hals, betont das leuchtend rote Kleidungsstück. Steife Kragen bevorzugte Jawlensky ein Leben lang, wahrscheinlich eine Vorliebe aus der Zeit seiner Offizierslaufbahn im zaristischen Rußland.
Geboren am 13. März 1864 in Torschok bei Twer wuchs Jawlenksy in St. Petersburg als Sohn einer Familie des militärischen Erbadels und - durch den Tod des Vaters bedingt - in bescheidenen Verhältnissen auf. Es trieb ihn zur Malerei.
Mit entschlossener Beharrlichkeit gelang es dem Hauptmann Jawlensky eine Sondergenehmigung zum Studium an der St. Petersburger Kunstakademie zu erhalten. 1891 lernte er zwei für sein Leben entscheidende Frauen kennen: Marianne von Werefkin, vermögende Tochter eines Generals, war vier Jahre älter als Jawlensky und eine gerühmte Malerin, die aber ihren Beruf nicht mehr ausüben konnte, weil ihre Hand bei einem Jagdunfall verkrüppelt worden war. Sie wurde Jawlenskys jahrelange Geliebte, Mäzenin, stellte ihr Vermögen in den Dienst seines aufgehenden Ruhmes, finanzierte den gemeinsamen Haushalt in Petersburg und später die Aufenthalte im Ausland.
In verblüffender Realitätserkenntnis notierte sie: "Er liebt in mir seine Kunst. Er würde zugrunde gehen ohne mich ... Ich habe mir ein Leben der Illusion geschaffen. Alles ist darin Wunder und Vision." Das 1906 von Jawlensky geschaffene Porträt der Werefkin zeigt sie als das, was sie war: selbstbewußt, herrisch, große Dame der großen Gesellschaft in großer Robe mit großem Hut. So wird verständlich, daß sie in Helene Nesnakomoff keine Konkurrenz sehen konnte.
Das blutjunge Mädchen war Zofe, Tochter eines Soldaten und einer bettelnden Alkoholikerin. Dienstmädchen zählten in den reichen Kreisen Rußlands gewissermaßen zum Leibeigentum und standen dem "Herrn des Hauses" für Erotikeskapaden zur Verfügung. So auch Helene. Widerstandslos schlief sie mit Jawlensky, widerstandslos begleitete sie "ihre Herrschaft" 1896 nach München, schuftete sich ab - und gebar 1902 den Sohn André. Marianne von Werefkin nahm es zur Kenntnis; ein Hausangestelltenkind wie es so viele gab, Schwamm drüber. Sie brauchte Helenes Dienste. Nichts stand einem weiteren Zusammenleben im Wege. Nur eines nahm sie nicht wahr: daß Jawlensky diesen Sohn ins Herz schloß.
Frauen umschwärmten Jawlensky bis in seine Todesstunde; erstaunlich genug, denn schön war er nicht. Aber er bezauberte. Sein Freund, der malende Benediktiner-Pater Willibrord Verkade faßte die magische Ausstrahlung Jawlenskys zusammen: "Liebevoll, taktvoll-bescheiden - er hatte das Natürlich-Naive der russischen Seele unverfälscht bewahrt."
München 1896: Hier hatten sie Wohnsitz genommen, weil Marianne Werefkin sich in der "Künstlerstadt" den endgültigen Durchbruch für Jawlenskys Werk erhoffte. Sie behielt recht. Begegnungen mit den berühmtesten Expressionisten fanden statt: Wassily Kandinsky, Gabriele Münter; zu Freunden gewonnen wurden Lovis Corinth, August Macke, Paul Klee, Franz Marc, Emil Nolde. Die "Neue Künstlervereinigung München" wurde gegründet, aus der 1911 die Gruppe "Der blaue Reiter" hervorging. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 mußten Jawlensky, Marianne, Helene und André als "unerwünschte Ausländer" Deutschland verlassen, wurden in die Schweiz abgeschoben. Verschiedene Unterkünfte in St. Prex, Zürich, Ascona gerieten ihnen zur allmählich ärmlichen Bleibe, denn Werefkins Vermögen schmolz. Einschränken mußte man sich. Es war die Stunde Helenes. Sie konnte auch mit wenig Geld einen Haushalt führen. Das Ende der Dreierbeziehung, des vermeintlichen "Familienglücks" war abzusehen. Verbittert zog sich Marianne Werefkin aus dem Leben Jawlenskys zurück.
Mit Helene und André fuhr er 1921 zu einer Ausstellung nach Wiesbaden und blieb für immer. Zu dieser Entscheidung trug bei, daß es hier seit der 1844 erfolgten Vermählung Herzog Adolfs von Nassau mit der Großfürstin Elisabeth Michailowna, Nichte des Zaren Nikolaus I., eine russisch-orthodoxe Gemeinde gab, die auch heute noch existiert. Elisabeth starb bei der Geburt ihres Kindes, und für beide errichtete der Witwer eine Grabkirche auf dem Neroberg, die "Russisch-orthodoxe Kapelle", weithin sichtbares Wahrzeichen Wiesbadens. Nicht verwunderlich, daß Jawlensky sich heimisch fühlte, ein "altes Zuhause" fand. Im Wald, nahe der Kapelle, liegt der russische Friedhof. Betritt man ihn, stößt man auf die Grablege Jawlenskys und Helenes, die er im Juli 1922 geheiratet hatte. Es heißt, daß der Sohn André - der Mutter zuliebe - ihn darum bat. Der von Arthritis gelähmte 77jährige starb am 15. März 1941, bis zuletzt betreut von Helene, nahen Freunden und der Malerin Lisa Kümmel, die zur Gefährtin in dieser Neuinszenierung eines Dreierbundes geworden war. 1927, auf einem Maskenball im Wiesbadener Kurhaus waren sie einander begegnet. Nicht nur ihrer brandroten Locken wegen nannte er die viele Jahre Jüngere "meine Abendsonne". Sie war es im Lebenswortsinne: Geistige Partnerin, der er bedurfte, späte Inspirateurin. "Mal Babusche, mal, du schaffst es", ermunterte sie den Schwerkranken. "Ich kann es nicht ändern, ich liebe ihn", bekannte sie. Beim Bombenangriff 1944 wurde sie in Erbenheim verschüttet, sie erlag ihren Verletzungen. Helene verschied 1965. Der Kreis hatte sich geschlossen. Wie dieser vieljährige Dreierbund in der Alltagswirklichkeit, in den psychischen Befindlichkeiten sich gestaltet hatte, blieb dem Wissen der drei Beteiligten vorbehalten.
Vor einigen Wochen erschien der zweite Band mit Texten über berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte unter dem Titel "Die Nebel des Eros" (Brücken Verlag, Wiesbaden), den die Königsbergerin veröffentlichte (Zusammenfassung Folge 6). Weitere Beiträge für einen dritten Band sind in Vorbereitung. Die kann ihren Lesern nun in loser Folge neue, noch nicht veröffentlichte Geschichten um berühmte Liebespaare aus der Feder präsentieren.
Alexej von Jawlensky: Selbstbildnis (Öl auf Karton, 1911); der Künstler starb vor 65 Jahren in Wiesbaden. |
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