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Landschaftlich ist der Berliner Südosten kaum weniger attraktiv als der Südwesten vor den Toren Potsdams. Zwar ist der Müggelsee nicht ganz so berühmt wie der Wannsee, und Altglienicke und Grünau sind nicht so bekannt wie der Grunewald, doch wer hier wohnt, weiß die privilegierte Lage und vor allem die Ruhe zu schätzen. Die aber sehen die Anwohner nun akut gefährdet. In den Vorgärten der Einfamilienhäuser prangen Plakate mit der Aufschrift: "Nein zum Flughafen!", "Stoppt Schönefeld!" oder "Gegen Fluglärm und Naturzerstörung!" Spaziergängern, die über einen Aufstand der Gartenzwerge spotten, kann es passieren, daß ihnen von wütenden Märkern herzlich, aber hart, Backpfeifen angeboten werden. Die Stimmung hier ist gereizt und die Wut echt.
Im November 2011 soll endlich der neue Großflughafen Berlin-Brandenburg in Betrieb gehen. Doch auch 15 Jahre nachdem die beiden Bundesländer sich auf das Projekt geeinigt haben, ist seine Fertigstellung alles andere als sicher. In der vergangenen Woche hat vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein wahrer Monsterprozeß begonnen: 4000 Kläger fordern die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, mit dem das Land Brandenburg 2004 den Bau des Großflughafens Berlin-Schönefeld genehmigt hatte. 2000 Aktenordner wurden mit dem Möbelwagen angeliefert, vier Einsprüche wurden für Musterklagen ausgewählt.
Die Kläger bemängeln die Standortwahl, die voraussehbare Schadstoffbelastung und die Lärmbelästigung, von der rund 50000 Menschen massiv betroffen sein werden. Der Wert der in der Einflugschneise gelegenen Grundstücke werde ins Bodenlose fallen. Außerdem seien alternative Standorte wie das südbrandenburgische Sperenberg, das in einer äußerst dünn besiedelten Region liegt, nicht hinreichend berücksichtigt worden. Für das Verfahren wurden sechs Prozeßtage angesetzt, der letzte war am 16. Februar. Für die Urteilsverkündung ist ein ge-sonderter Termin vorgesehen.
Berlin und sein Großflughafen - das ist eine unendliche Geschichte mit Pleiten, Pech und Pannen. Erstmals hatte US-Präsident Ronald Reagan 1987 in seiner Rede am Brandenburger Tor ein internationales "Luftkreuz" in Berlin vorgeschlagen. Mit dem Mauerfall war das plötzlich eine realistische Aussicht. 1991 wurde eine Holding gegründet, 1992 begannen die Planungen. Doch immer wieder gab es Rückschläge. Die privaten Investoren zogen sich zurück, Planungen und Auftragsvergaben wurden wegen fehlender Durchschaubarkeit für nichtig erklärt, Baustops verkündet, und als 2001 die öffentlichen Anhörungen begannen, rollte eine Lawine von 134000 Einwänden an. Auf Bürgerversammlungen kam es beinahe zu Handgreiflichkeiten.
Die Landesregierungen in Berlin und Potsdam hielten trotzdem an dem Projekt fest. Der Grund: Der Flughafen soll ein wirtschaftlicher Leuchtturm werden - es wäre der einzige in der Region - und eine "Jobmaschine". Rund 40000 Arbeitsplätze, heißt es, würden entstehen. Doch diese Zahlen werden von den Gegnern natürlich bezweifelt. Durch das lange Gezerre und die vielen Pannen sei der wirtschaftliche Effekt bereits vertan, sagen die Kritiker. Die Deutsche-Post-Tochter DHL zum Beispiel verlagert ihre internationale Frachtzentrale von Brüssel nicht nach Berlin, sondern nach Leipzig. Als die DHL nach einem zweiten Umschlagplatz suchte, weil ihr der Standort Brüssel zu klein geworden war, reagierten die Sachsen einfach schneller als die Berliner.
Die Flughafengegner argumentieren auch, München habe sich fest als zweiter deutscher Großflughafen nach Frankfurt etabliert und damit den Platz eingenommen, den Berlin anstrebt. Schließlich sei die Lufthansa mit der Übernahme der Fluggesellschaft Swiss die Verpflichtung eingangen, von der Schweiz aus internationale Flugverbindungen zu unterhalten. Damit seien ihr in Berlin die Hände gebunden. Schönefeld habe noch alle Chancen, ein lebendiger Regionalflughafen zu werden, sagte ein Lufthansavertreter kürzlich auf einer Podiumsdiskussion - ein wahrlich vergiftetes Kompliment!
Viele sehen es nun als Fehler, daß man nicht auf den vom damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe favorisierten Standort Sperenberg zurückgegriffen hat. Dort hätte man einen roten Teppich ausgerollt, doch vor allem aus psychologischen Gründen war der Vorschlag zu Fall gebracht worden. Den Berlinern, vor allem denen aus dem Westen, war der Gedanke, tief ins brandenburgische Umland reisen zu müssen, nach den langen Jahren der deutschen Teilung einfach unheimlich. Der jetzt entstandene Wirrwarr gehört zu ihren Spätfolgen. |
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