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Eidgenossen in Bewegung

 
     
 
Das politische Signal der Nationalratswahlen vom 24.Oktober schien eindeutig: Viele Eidgenossen haben die "Zauberformel"-Koalitio satt. Sie ermöglichten der konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) einen rasante Aufstieg von 14,9 auf nunmehr 23,3 Prozent und machten sie damit zur prozentual stärkste Kraft.

Trotzdem gelang es dem Wahlsieger SVP am 15. Dezember in der aus dem National- un Ständerat zusammengesetzten Bundesversammlung nicht, ihr gewachsenes Gewicht in eine zweiten Ministerposten umzumünze
n und womöglich die Sozialdemokraten aus der Regierun zu drängen, wie es der charismatische Konservative Christoph Blocher angekündigt hatte.

Der seit vier Jahrzehnten eingehaltene Machtproporz gemäß der berühmten Schweize "Zauberformel" sieht folgendermaßen aus: Eine Regierung sämtlicher größere Parteien – also der Sozialdemokraten (SPS), Christdemokraten (CVP), Liberalen (FDP und Konservativen (SVP) – lenkt die Geschicke des Landes, wobei jede Koalitionsmitglied zwei Minister stellt, ausgenommen die SVP, die mit einem Sitz in de Regierungsmannschaft vorlieb nehmen muß.

Dieses System beruht auf der Funktion der Schweizerischen Volkspartei als Juniorpartne der mehr oder weniger feindlich gesinnten größeren Bundesgenossen. Die regelmäßig u die elf Prozent liegenden Wahlergebnisse der Konservativen zwischen 1971 und 1991 stellte eine solche Machtverteilung nicht in Frage. Doch nach dem jüngsten Rechtsrutsch kann ma die SVP sicherlich nicht mehr für längere Zeit mit einer Nebenrolle in der Regierun abspeisen.

Daß es diesmal zu einem Ministerium für Christoph Blocher nicht langte und er in de Abstimmungen gegen die sozialdemokratische Bundespräsidentin Ruth Dreifuss und de Verkehrsminister Moritz Leuenberger mit 58 gegenüber 148 bzw. 154 Stimmen klar unterlag ist auf die von den bürgerlichen Parteien noch immer verfolgte Ausgrenzungsstrategie de Blocher-SVP begründet.

Demonstrativ wurde dagegen der dem linken Parteiflügel zugehörige einzig SVP-Minister Adolf Ogi mit dem besten Resultat von 191 der insgesamt 245 Stimmen in seine Amt bestätigt. Danach wurde der Blocher-Gegner aus Bern turnusgemäß auch noch zum neue Schweizer Bundespräsidenten für das Jahr 2000 gewählt.

Dennoch offenbaren so manche Äußerungen zu der mit Spannung erwartete Regierungsbildung, daß der große Umbruch wohl nur aufgeschoben, nicht aber aufgehobe ist. Verkehrsminister Leuenberger orakelte: "Die Zauberformel ist vielleicht nich für ewig in Stein gemeißelt."

Während früher vor allem die politische Linke die "Filzokratie" de sogenannten Konkordanz-Regierung anprangerte, sind es heute die Konservativen, die gege deren Schwerfälligkeit und zunehmende Sozialdemokratisierung wettern. Oppositionell Stimmungen in der Bevölkerung kommen so fast ausschließlich der SVP zugute.

Doch die von dem auch als "schweizerischen Haider" bezeichneten Bloche geführte SVP ist inzwischen weit mehr als eine reine Protestpartei. Sie stützt sich au ein breites konservatives Milieu, das durch die vielen Kampagnen vor Volksabstimmunge stetigen Zulauf hat.

Die Forderung "Schluß mit dem Asyl-Mißbrauch!" war neben dem Schutz de Schweizer Identität vor den egalitären Tendenzen der EU wichtigster Bestandteil de letzten SVP-Wahlkampfes. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über den starke Ausländerzustrom ist unübersehbar. Die Statistik für 1998 registrierte neben den 7, Millionen Staatsbürgern allein 93 800 Asylanten. Erstmals seit Ende des 19. Jahrhundert war die Zahl der einheimischen Bevölkerung rückläufig und konnte nur durch die wachsenden Einbürgerungen ausgeglichen werden (die Schweiz verfügt bereits seit 199 über den "Doppelpaß").

Die Eidgenossenschaft hat im Verhältnis zu ihrer Größe mehr Flüchtlinge aus de Kosovo aufgenommen als jeder andere Staat. Der Anteil von Ausländern an de Wohnbevölkerung liegt derzeit bei knapp 20 Prozent. In Zürich beläuft sich die Quot mittlerweile sogar auf über 28 Prozent.

Die Verantwortung von Kosovo-Albanern für den prosperierenden Drogenhandel is vielfach nachgewiesen worden. Die Züricher Polizei schätzte im Herbst 1998 außerdem daß jede fünfte von einem örtlichen Standesbeamten geschlossene Ehe nur zum Schei eingegangen wird. Solche Gefälligkeitsehen verschaffen Zuwanderern das Aufenthaltsrecht und nicht selten sorgen sie auch dafür, daß ausländische Prostituierte nicht des Lande verwiesen werden können.

In Basel, wo die Überfremdungsängste besonders stark geworden sind, gewann die ers 1991 gegründete SVP-Gliederung am 24. Oktober sozusagen aus dem Stand 13,6 Prozent un wurde damit zur zweitstärksten Kraft nach den Sozialdemokraten. Vor allem im östlich de Rheins gelegenen Kleinbasel sind die Zustände in den Bereichen öffentliche Sicherheit Drogen und Bildungspolitik alarmierend. An den dortigen Schulen ist nicht einmal meh jedes zweite Kind schweizerischer Herkunft. Viele Eidgenossen ziehen in andere Stadtteil fort oder gleich ins Umland.

Auch der Wirbel um die von der Mehrheit als "Lösegeld-Erpressung" (O-Ton de Ex-Bundesrates Delamurez) bewerteten Forderungen jüdischer Organisationen in Sache "nachrichtenlose Vermögen " und NS-"Raubgold" hat der SV zusätzliche Unterstützung gebracht. Die Konservativen stemmen sich vehement gegen ein Schweizer Vergangenheitsbewältigung nach deutschem Vorbild, sprich: eine einseitig Verurteilung und Instrumentalisierung der Rolle der Eidgenossenschaft im Zweite Weltkrieg. Man zeigt weder für das Ausmaß der von Boykottdrohungen und einer giftige Presseberichterstattung begleiteten Milliarden-Forderungen Verständnis, noch für die Tatsache, warum andere vergleichbar belastete Staaten wie Schweden, Spanien, Portugal ode die Türkei nicht ins mediale Kreuzfeuer gerieten.

Um eine landesweite Volksbefragung durchzusetzen, reichen in der Schweiz 50 00 Unterschriften aus. Entsprechend häufig werden die Eidgenossen zu "heißen" politischen Fragen an die Wahlurnen gerufen. Diese Basisdemokratie mit ihrer Mobilisierun der "schweigenden Mehrheit" kam zuletzt fast ausschließlich der Rechten zugute Neben der traditionellen Anhängerschaft unter den Bauern, Handwerkern un mittelständischen Unternehmern gelang es der SVP, über verschieden Vorfeldorganisationen, im Zuge der Referenden auch andere Kreise zu erreichen und die gesamtgesellschaftliche Stimmungslage schrittweise zu verschieben.

Eine besonders wichtige Vorfeldorganisation ist die 1986 gegründete, von Christop Blocher selbst geführte "Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz" (AUNS). Diese hat nicht unwesentlich daran mitgewirkt, daß das Volk 1992 gegen de EU-Beitritt abstimmte. Heute zählt die AUNS nach eigenen Angaben stattliche 40 00 Mitglieder. Sie vertritt öffentlichkeitswirksam jene weit verbreiteten Ängste, der vo den anderen Regierungsparteien tendenziell begrüßte EU-Beitritt könnte das Ende de eidgenössischen Neutralität sowie mehr Bürokratie statt Direktdemokratie un zusätzliche Steuern zur Folge haben.

Spektakuläre Kampagnen vor Volksabstimmungen über Ausländerfragen oder die als zu lax bewertete Drogenpolitik ermöglichten es der SVP, ihr oppositionelles Profil zu schärfen. Dies wirkte sich bei den jüngsten Nationalratswahlen nicht nur in den alte Hochburgen der östlichen Deutschschweiz (Zürich, Thurgau, Aargau, Schwyz und Appenzel Ausserrhoden) sowie in Bern, Luzern und Graubünden positiv aus, sondern sogar in romanischen Jura, wo man bis dato gar nicht vertreten war. Als weiße Flecken sind nu noch die Kantone Genf und Neuenburg in der französischen Schweiz sowie die winzige Urkantone Uri, Nid- und Obwalden sowie das italienischsprachige Tessin übriggeblieben.

Blocher vermochte es, viele Nichtwähler und so manche Anhänger von FDP, CVP und SP zu gewinnen. Bei dem letzten Urnengang kamen schließlich noch die Sympathisanten rechte Konkurrenzparteien dazu. Der Vorsitzende der Freiheitspartei (früher: Autopartei), Rolan Borer, hatte den Niedergang seiner intern ständig zerstrittenen Formation offenba vorhergesehen und war 1998 mit anderen Führungsmitgliedern zur SVP übergewechselt. S konnte er beruhigt zusehen, wie die Freiheitspartei alle sieben Sitze im Berne Nationalrat verlor und im politischen Niemandsland verschwand. Auch die Schweize Demokraten (SD) spielen nur noch in ihrer Hochburg Baselland mit einem Wähleranteil vo 10,1 Prozent eine beachtenswerte Rolle.

Der selbstbewußte Blocher gibt mit seinen pointierten Wortmeldungen schon seit Jahre die Diskussionsthemen des ganzen Landes vor, auch wenn ihn die meisten Medien nach wie vo mit Negativ-Attributen überhäufen. Ein Journalist der "Basler Zeitung" fan dafür die folgenden Worte: "Im Wettlauf mit Bundesräten und Polit-Establishment u Aufmerksamkeit und Wirkung gewann wie weiland bei Grimm bisher immer der Igel (Blocher gegen die Hasen der Rest-Politik."

Die Popularitätskurve des 1940 geborenen Pfarrersohns zeigt steil nach oben. Nachde der milliardenschwere Eigentümer der Ems-Chemiewerke zwischen 1974–78 als Mitglie des Gemeinderates in Meilen, dann von 1975–80 im Zürcher Kantonsrat politisch täti war, avancierte er 1977 zum SVP-Präsidenten in dem besonders wichtigen Kanton Zürich Seit 1979 ist er im Nationalrat in Bern vertreten.

Innerparteilich gelang es ihm mit Hilfe seiner Züricher Parteifreunde, den von de Berner SVP-Gliederung angeführten liberalen Flügel immer mehr an den Rand zu drängen Ein wichtiges publizistisches Sprachrohr war dabei die von seinem Nationalsratskollege Ulrich Schluer geleitete national-konservative Wochenzeitung "Schweizerzeit".

Seit jeher setzte sich der brillante Rhetoriker Blocher gegen die ebenso dumme wi arrogante Gleichsetzung Europas mit der EU zur Wehr sowie gegen Sprechblasen wie jene daß es für die Schweizer in bezug auf die europäische Integration "fünf vo zwölf" sei. Blochers Stärke ist es, daß er PC-Sprachregelungen ignoriert und fü eine ebenso offene wie kämpferische Sprache in der Politik steht, die die Mensche verstehen.

Seine negativen Prophezeiungen über die Zukunft der Europäischen Union dürften sic – nicht zuletzt zum Leidwesen der Deutschen – in vieler Hinsicht als richti erweisen. In einem Podiumsgespräch mit Manfred Brunner faßte der SVP-Politiker sein kritische Haltung so zusammen: "Die EU ist in zweierlei Hinsicht ein Fehlkonstruktion. Sie ist eine politische Fehlkonstruktion, weil sie verschiedene Lände mit je verschiedener Geschichte, verschiedenen Kulturen und verschiedenen Identitäten in eine einheitliche Form zwingen will – eine Form, die aus unserer Sicht extre undemokratisch ist. Eine ökonomische Fehlkonstruktion ist die EU, weil sie elementar Grundsätze der Volkswirtschaft schlicht und einfach mißachtet. Für einzelne Lände wird die Einheitswährung zu stark, für andere zu schwach sein. In beiden Fällen werde vermehrte Arbeitslose die Zeche dieser Fehlkonstruktion zu bezahlen haben. Damit dies Auswirkung nicht allzu sichtbar wird, plant man einerseits Geldtransfers in riesige Ausmaß, andererseits soll der freie Personenverkehr jene Wanderbewegungen einleiten welche die wirtschaftlichen Ungleichgewichte auffangen und ausgleichen sollen."

Daß neben der EU-Skepsis auch Blochers Forderungen in der Ausländer- und Asylpoliti deutlich an Zustimmung gewonnen haben, deutete nach der jüngsten Nationalratswahl ei Kommentator der "Neuen Zürcher Zeitung" an. Er gab zu bedenken: "In de Ausländer- und Asylpolitik reicht es nicht mehr, die SVP wegen Stilfragen auszugrenze und im übrigen darauf zu warten, bis sich die Situation eines Tages von allei entschärft."
 
     
     
 
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