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Bundeskanzler Schröder möchte Deutschland bei Innovationen in Forschung und Technik an der Weltspitze sehen. Seit einiger Zeit tritt der Begriff "Innovation" immer häufiger in den Medien auf. Das aus dem Lateinischen stammende Wort meint die fortschrittliche Lösung eines technischen Problems. Besonders Politiker schmücken sich gerne damit. Ein interessantes Beispiel ist die deutsche Magnetschwebebahn Transrapid. Der von den Unternehmen Siemens und Thyssen-Krupp gebaute Magnetschwebezug, das schnellste, leiseste und umweltfreundlichste Verkehrsmittel zu Land, erreicht eine Geschwindigkeit von 430 Kilometern pro Stunde. Seit Jahren fährt dieser supermoderne Hochgeschwindigkeitszug auf einer Versuchsstrecke im niedersächsischen Emsland. Problemlos. Trotzdem gibt es in unserem Land keinen Transrapid im reguläre n Bahnverkehr. Schuld ist die ideologisch bedingte Fortschrittsfeindlichkeit der Grünen. Demgegenüber haben sich die Chinesen von der deutschen Innovationskraft überzeugen lassen. Seit kurzem verkehrt die Magnetschwebebahn auf einer 30 Kilometer langen regulären Strecke in Shanghai. Ob es zum Bau der 1.300 Kilometer langen Transrapidstrecke zwischen Shanghai und Peking kommt, ist allerdings fraglich.
Die ICE- und Transrapid-Technologie ist nur einer der vielseitigen Geschäftsbereiche, die zu den Siemens-Erfolgen auf dem Weltmarkt beitragen. Während gewerbliche Unternehmen im Schnitt 20 bis 30 Jahre alt werden, ist es ein einzig-artiger Fall in der deutschen Industriegeschichte, daß ein Unternehmen von der Größe und Bedeutung der Siemens AG (417.000 Mitarbeiter, 74 Milliarden Euro Umsatz) auf über anderthalb Jahrhunderte erfolgreicher Geschäftspolitik zurückblicken kann. Jährlich investiert Siemens rund 5,8 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Davon profitieren mehr als 30 Erfindungsanmeldungen, die das Ergebnis eines systematischen Innovationsmanagements sind.
Man geht davon aus, daß menschliches hochqualifiziertes Wissen, auch "Humankapital" genannt, zur Hälfte für den Wohlstand eines Landes verantwortlich ist. Künftig wird der Auf- oder Abstieg von Nationen noch stärker vom Humankapital abhängig sein. Es muß also im ureigensten Interesse eines Staates liegen, das Bildungsniveau zu heben. Die Grundlagenforschung im Bereich der Physik, Chemie, Astronomie und Mathematik ist die Basis des technischen Fortschritts. Sie wird in erster Linie an den Universitäten und an den unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsinstituten betrieben. Zu den etwa 15 deutschen Forschungsorganisationen gehören unter anderem die Max-Planck-Gesellschaft, das Deutsche Krebsforschungszentrum Heidelberg, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt Köln, das Forschungszentrum Karlsruhe (Kerntechnologie) und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt Braunschweig. Die finanziellen Mittel werden vom Bund und den Ländern beziehungsweise von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG bereitgestellt.
Weltweit einmalig ist die deutsche Einrichtung der schon im Jahre 1911 als Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gegründeten Max-Planck-Gesellschaft (MPG). Von 1930 bis 1937 sowie 1945 und 1946 stand der Physiker und Nobelpreisträger Max Planck, dessen berühmtes Strahlungsgesetz die Grundlage für die Quantentheorie schuf, als Präsident an der Spitze. Heute besteht die MPG aus 80 Instituten, in denen 11.000 Mitarbeiter beschäftigt sind, darunter 2.730 Wissenschaftler. Den Forschungseinrichtungen sind drei Sektionen zugeordnet: die Chemisch-Physikalisch-Technische, die Biologisch-Medizinische und die Geisteswissenschaftliche Sektion. Doktoranden und Gastwissenschaftler empfinden es als hohe Auszeichnung, dort mitarbeiten zu dürfen.
Demgegenüber findet die angewandte Forschung in den Laboratorien der großen Unternehmen statt, wobei natürlich der Profit im Vordergrund steht. Häufig treten Überschneidungen auf. Beispielsweise erhält ein Universitätsprofessor Drittmittel, wenn er die Strukturaufklärung chemischer Verbindungen erforscht, die vielleicht für die Pharma-Industrie interessant zu werden versprechen. Die Drittmittel können dann den universitären Forschungsetat weit übersteigen. Die äußerst fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Hochschullehrern und Industrie auf dem Gebiet der Heilmittelforschung hatte in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts dazu geführt, daß man Deutschland als die "Apotheke der Welt" bezeichnete. Erinnert sei an den Nobelpreisträger Paul Ehrlich, den Entdecker des Mittels gegen Syphilis, Salvarsan, der in Kooperation mit den Höchster Chemikern die Grundlagen der Chemotherapie erarbeitete. Heute kann allerdings von deutscher Spitzenforschung auf dem Pharmagebiet kaum noch die Rede sein. Wenn Wirtschaftsminister Clement daher um den angeschlagenen Forschungsstandort Deutschland fürchtet und Kanzler Schröder sich für den Erhalt des Pharmakonzerns Aventis einsetzt, dann geschieht dies reichlich spät. Im Gegensatz zu den USA, Japan und Frankreich, wo Staatsinterventionen im Bereich der Spitzentechnologie selbstverständlich sind, scheut man sich bei uns, in den freien Wirtschaftswettbewerb einzugreifen. Gerade im Zeitalter der Globalisierung, angesichts harter ausländischer Konkurrenz, ist eine staatliche Industriepolitik aber vonnöten.
Der französisch-deutsche Aventis-Konzern, mit Hauptsitz in Straßburg, ist aus der Fusion der Frankfurter Hoechst AG mit der französischen Rhone-Poulenc hervorgegangen. Mit ein Grund für die Zerstückelung der Hoechst AG, eines der erfolg- und traditionsreichsten Unternehmen in Deutschland, war das außerordentlich zeitaufwendige öffentliche Genehmigungsverfahren einer Anlage für die gentechnische Produktion von Human-Insulin. Eine 70 Millionen Mark teure Fabrikanlage stand jahrelang still und durfte laut Anweisung des hessischen Umweltministeriums nur als Versuchsanlage benutzt werden. Dagegen konnten ausländische Unternehmen, die Human-Insulin mittels genmanipulierter Bakterien herstellen, ihr Produkt ohne weiteres in der Bundesrepublik verkaufen. Dieser Hinter- grund macht verständlich, warum Unternehmen ihre Pharma-Aktivitäten ins Ausland verlagern, obgleich die Gentechnik als eine der Schlüsseltechnologien der Zukunft gilt.
In Sachen Wissenschaftsförderung ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft DFG die erste Adresse im Lande. Rund 1,2 Milliarden Euro stellt die DFG der Wissenschaft in allen ihren Zweigen zur Unterstützung von Forschungsaufgaben zur Verfügung. Eingehende Anträge werden von ehrenamtlichen Gutachtern auf ihre Förderungswür-digkeit geprüft. Aufsehen erreg- te der Präsident der DFG, Prof. Winnacker, mit seiner Kritik an dem vom Bundestag beschlossenen "zu strengen" Stammzellenforschungsgesetz. Das Gesetz zum Import embryonaler Stammzellen werde zwar begrüßt, doch sei die Bestrafung gewisser Stammzellenforschungsarbeiten in Kooperation mit dem Ausland eine schwere Bürde. Mit Hilfe der embryonalen Stammzellen hofft man, defekte Gewebeteile des Menschen nachbilden zu können. Das Zentrum der Stammzellenforscher an der Universität Bonn wird als deutscher Biotech-Standort auch vom Land Nord-rhein-Westfalen gefördert.
Mit einer Ausstellung "Der neue Weg ins All - Raumtransporter der nächsten Generation" stellte die Deutsche Forschungsgemeinschaft vor kurzem die Ergebnisse aus dem Sonderforschungsbereich "Zukünftige Raumtransportsysteme" vor. Beteiligt waren die Hochschulen in München, Stuttgart und Aachen in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Die Ausstellung, darunter eine Original-Weltraumkapsel, belegte eindrucksvoll, welchen Nutzen die Raumfahrtforschung auch für das tägliche Leben hat. Im Rahmen dieses Sonderforschungsbereiches sind mit Unterstützung der DFG in den Jahren zwischen 1989 und 2002 618 Studien-, 472 Diplom- und 251 Doktorarbeiten entstanden. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist gleichfalls am Aufbau der Internationalen Raumstation ISS beteiligt. Die Bundesregierung hat sich verpflichtet, etwa 2,5 Milliarden Euro zur Raumstation beizusteuern. Die Faszination für die Weltraumforschung bei jungen Leuten zu wecken ist ein Nebeneffekt der deutschen Beteiligung an der Internationalen Raumstation, die ab dem Jahre 2006 auch kommerziell nutzbar gemacht werden soll.
Zu den in Deutschland forcierten Spitzentechnologien zählen weiterhin die Nano-Technologie und die Proteinforschung. Die Nano-Forschung ist die Wissenschaft von winzigen Objekten mit einem Durchmesser von wenigen bis 100 Nanometern. Die Vorsilbe Nano stammt vom griechischen Wort "nanos" = Zwerg. Ein Nanometer entspricht einem millionstel Millimeter. Nanopartikel verhalten sich zur Größe eines Fußballs wie der Ball zur Größe der Erdkugel. Ein Nanoteilchen verhält sich auch ganz anders als dasselbe Material im sichtbaren Bereich: Keramik wird durchsichtig wie Glas, Glas zäh wie Klebstoff und Metalle werden zu Farbstoffen. In dieser faszinierenden Welt der Winzlinge waren Chemiker eigentlich schon immer tätig, wenn sie Atome oder kleine Moleküle zu Makromolekülen zusammenfügten. Weltweit führend in der Nanoforschung sind Wissenschaftler an der Harvard University/USA. Im Bereich der Medizin beispielsweise erwartet man, daß mit Nanopartikeln Krebstherapeutika präzise durch den Organismus bis zum Tumorgewebe geschleust werden können. Auch in den Labors der Bayer AG, Leverkusen, wird erfolgreich in Sachen Nanotechnologie geforscht. Entscheidend für den Vorstoß in den Nanokosmos war die Erfindung des Rastertunnelmikroskops. Damit konnten Forscher erstmals einzelne Atome und Moleküle visualisieren und gleichzeitig manipulieren. Der deutsche Physiker Gerd Binnig erhielt (zusammen mit einem Schweizer Kollegen) für die Entwicklung des Rastertunnelmikroskops 1986 den Nobelpreis für Physik und löste das explosionsartige Anwachsen der Nanowissenschaft aus.
Im Gegensatz zur Nanotechnik greift die Proteinforschung aufs engste in die molekularbiologischen Vorgänge des Lebens ein. Proteine (Eiweißstoffe) und Nukleinsäuren sind die eigentlichen Träger des Lebens, an ihrer Erforschung haben deutsche Wissenschaftler den größten Anteil. Es existiert kein organisch-chemisches Universitätsinstitut, an dem nicht Proteinuntersuchungen stattfinden. Gleiches kann von der Kerntechnologie nicht behauptet werden. Während weltweit der Betrieb und der Bau von Kernkraftwerken zunimmt, wird die derzeit fortschrittliche Art der Energiegewinnung in Deutschland zurückgefahren. Das damit zusammenhängende Defizit an praktischen Erfahrungen mit den verschiedenen Reaktortypen wirft die deutsche Kerntechnologie um Jahre zurück. Ähnlich sieht es bei der Wehrforschung aus, da kommt der kürzlich beschlossene Gesetzentwurf gegen den Verkauf sensibler Rüstungsfirmen fast schon zu spät. Die Amerikaner und Franzosen zeigen es doch, wie trotz Globalisierung "nationale Champions" bestehen können. Der US-Präsident zum Beispiel kann unerwünschte Fusionen, welche die heimische Wirtschaft stören, einfach verbieten. Wenn im Jahre 2003 mehr Hochtechnologie importiert als exportiert wurde, dann braucht man sich über den Reinfall mit dem satellitengestützten System zur Erfassung der Lkw-Maut in unserem Land nicht zu wundern.
Ein Institut der Shanghai-Jiao-Tong-Universität stellte fest: In der internationalen Rangfolge von 500 Universitäten stehen Harvard und Stanford an der Spitze, es folgen sechs weitere US-Hochschulen. Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität kommt als erste deutsche Uni auf Platz 48! Ab 1945 hat man den Elitebegriff tabuisiert, jetzt beklagt man das Ergebnis. An deutschen Massenuniversitäten studieren zu viele unfähige Studenten. Eliten sind nicht machbar, wohl aber erziehbar. Trösten wir uns mit einem Ausspruch von Goethe: "Wenn ein ganzes Volk ein hohes Maß an Kultur hat, dann wird es einigen edlen Männern gelingen, sich auf diese breiten Schultern zu stellen und Großartiges zu leisten." |
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