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Wer außer den direkt Betroffenen, den deutschen Heimatvertriebenen, ist besser in der Lage, die "Erfolgsgeschichte Rechtsstaat" objektiv und unabhängig von parteipolitischen Präferenzen kritisch zu hinterfragen? Sie begann mit dem Auftrag der drei westalliierten Militärgouverneure, eine föderale Verfassung zu entwerfen. Hierzu wurde der vom 10. bis 23. August 1948 tagende Herrenchiemseer Verfassungskonvent einberufen.
Unter dem frischen Eindruck der massiven Verletzungen der "Würde des Menschen" wurde das Gebot der Unantastbarkeit der Menschenwürde an den Anfang des Grundgesetz es gestellt: "Die Würde des Menschen ist unantastbar!" Damit war es dem Staat grundsätzlich verboten, den Menschen wieder zum Objekt staatlichen Handelns zu machen, und zwar durch eine Behandlung, die Ausdruck der Verächtlichmachung der Person ist. Damit wurde aber auch zum Ausdruck gebracht, daß die "Verfassung" wie der Staat um des Menschen willen da ist und nicht umgekehrt.
In den Artikeln 2 bis 17 des Grundgesetzes sind weitere Grundrechte aufgezählt, darunter das Grundrecht auf Eigentum und Erbe. Auch dieses ist unantastbar und vom Staat zu achten und zu schützen. Gerade das Grundrecht auf Eigentum und Erbe ist aufs engste gekoppelt mit der Menschenwürde, weil mit ihm auch die Grundrechte auf Freiheit und Selbstbestimmung untrennbar verbunden sind. Schützt der Staat die Grundrechte seiner Bürger nicht, klammert er sie aus politischer Opportunität aus (weil, wie oft gesagt wird, man die Zukunft nicht mit den Problemen der Vergangenheit belasten will), dann unterminiert er seinen Anspruch, ein Rechtsstaat zu sein. Er verletzt aktiv das Rechtsgut "Menschenwürde". Er verletzt ebenso das "Friedensgebot", indem er gewissen Volksgruppen den Rechtsschutz versagt, denn der innergesellschaftliche Frieden beruht auf dem Grundsatz "iustitia fiat pax", Gerechtigkeit schafft Frieden.
Die Grundrechte sind etwas völlig anderes als "Grundwerte" oder "Staatsziele". Diese passen sich dem mehrheitlich-demokratischen Zeitklima an. Die Stärke der Grundrechte liegt in ihrer Unveränderlichkeit. Es sind Naturrechte oder von Gott gegebene Rechte, in die der Mensch nicht eingreifen darf, wenn er im Menschen nicht das Humanum verletzen will. Günter Düring schreibt zu Recht zu Artikel 1 des Grundgesetzes: "Jeder Mensch ist Mensch kraft seines Geistes, der ihn abhebt von der unpersönlichen Natur und ihn aus eigener Entscheidung dazu befähigt, seiner selbst bewußt zu werden, sich selbst zu bestimmen und sich und die Umwelt zu gestalten." Die Menschenwürde ist immer dann getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren und vertreibbaren Größe herabgewürdigt wird.
Die Ost- und Sudetendeutschen wurden von fremden Staaten vertrieben, und vom eigenen "Rechtsstaat" wird ihnen das die Menschenwürde begründende Recht auf Selbstbestimmung verwehrt. Beim Versuch, ihre Eigentums- und Erbrechte gegenüber den Vertreibern einzufordern, wird aus politischer Berechnung der "diplomatische Schutz" verwehrt. Man wendet sich von der unbequemen Wahrheit ab, richtet den Blick in politisch-ideologische Traumwelten.
Des Rechtsstaatsprinzips völlig unwürdig bezeichnete der Außenminister Joseph (genannt "Joschka") Fischer (Grüne) bei seinem ersten Auslandsbesuch im Oktober 1998 in Warschau die Forderung der Vertriebenen nach Entschädigung für das 1945 willkürlich enteignete und konfiszierte Privateigentum. Dies sei "anachronistisch und absurd". Gegenüber der tschechischen Regierung erklärte der damalige Staatsminister Günter Verheugen (SPD) am 5. Dezember 1998, daß die Bundesregierung "gegenüber der tschechischen Regierung keine Vermögensansprüche geltend machen" werde.
Dazu ist zu sagen: Wenn der Staat auf "seinen" Staatsbesitz verzichtet, ist das seine Sache, obgleich er damit dem Wohl des Volkes nicht unbedingt dient, aber der Staat darf sich auf keinen Fall der Schutzpflicht der Grundrechte seiner Bürger entziehen, ihnen den diplomatischen Schutz verwehren. Auch der Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erklärte gegenüber dem tschechischen Ministerpräsident Zeman, daß man aus Vertreibung und Enteignung keine Ansprüche mehr stellen werde.
Nur der heftige Protest der Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach MdB (CDU), und die Drohung der Sudetendeutschen Freundeskreis, "Sammel-Entschädigungsklagen" nach jüdischem Vorbild gegen tschechische Besitznehmer und Unternehmen anzustrengen, aber auch gegen die Bundesrepublik Deutschland, führten zu einem Einlenken. Man besann sich des Rechts und erklärte seitens der rotgrünen Bundesregierung am 2. Februar 1999: "Die Bundesregierung sieht die Vertreibung der Deutschen und die entschädigungslose Einziehung deutschen Vermögens als völkerrechtswidrig an. Sie vertritt diesen Standpunkt auch gegenüber Polen und der CSFR. Bei den Verhandlungen mit der Republik Polen über den Vertrag vom 17. Juli 1991 sowie mit der CSFR über den Vertrag vom 27. Februar 1992 hat die Bundesregierung diese Auffassung deutlich gemacht. ... Hieraus folgt, daß die Bundesregierung auch nicht auf vermögensrechtliche Ansprüche Deutscher gegenüber den genannten Staaten verzichtet hat." Damit hat sich Berlin zwar formal den geltenden Grund-, Menschen- und Völkerrechtsnormen gebeugt, sich dem direkten Entschädigungszugriff durch die Betroffenen aber juristisch geschickt entzogen und jegliches Handeln in ihr staatliches Ermessen gestellt. Faktisch tut sich absolut nichts, die Vermögensfragen werden weiterhin für "offen" erklärt.
Diese Diskussion läßt einem aufmerksamen Beobachter deutlich werden, auf welch schwankendem Boden unser "Rechtsstaat" steht und wie gefährdet er ist. Wie so oft in der Geschichte läuft er Gefahr, die Würde des Menschen auf dem Altar vermeintlicher staatlicher Interessen zu opfern und sich an der "Verfassung" zu versündigen.
Seit 2000 Jahren gilt sowohl für den Staat als auch den Privatmann der hehre Satz des römischen Rechts: Niemand kann mehr Rechte übertragen als ihm selbst gehören. Umgekehrt: Niemand kann auf etwas verzichten, das ihm gar nicht gehört. Die Grundrechte sind Individualrechte, über die der Staat nicht verfügen darf. Er hat sie zu achten und zu schützen, das ist der Auftrag des Bürgers an "seinen" Staat. Wenn der Staat aufgrund seiner Machthoheit absichtlich gegen die eine ihm obliegende Sorgfaltspflicht verstößt, dann macht er sich einer regulären Amtspflichtverletzung seinen Bürgern gegenüber schuldig und ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
Bei allen "Ostverträgen" wurde Artikel 25 des Grundgesetzes ignoriert, der besagt, daß das Völkerrecht nicht nur Bestandteil des Bundesrechts ist, sondern ihm sogar im Range vorgeht. Das Recht auf die angestammte Heimat ist ebenso wie das daraus resultierende Recht auf Rückkehr oder das Recht auf Restitution anerkanntes Völkerrecht. Die Haager Landkriegsordnung aus dem Jahre 1907 verbietet es dem Besatzer, das Privateigentum einzuziehen und die Menschen kollektiv aus der Heimat zu vertreiben. Das Nürnberger Militärtribunal kennzeichnete 1945 Deportationen und Vertreibungen nicht nur als Kriegsverbrechen, sondern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen bezeichnete die "Prinzipien von Nürnberg" als allgemeingültig und erklärte Vertreibungen generell zu unverjährbaren Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Auch Zwangsumsiedlungen sind Vertreibungen, auch wenn, wie im Potsdamer Abkommen vom August 1945 gefordert wird, sie "human" erfolgen sollten. Es gibt keine "humane" Vertreibung, keinen "humanen" Völkermord (Genozid)!
Der bei den Vereinten Nationen in Genf tätige amerikanische Völkerrechtler Prof. Alfred de Zayas schrieb im vom 6. September 1991: "Völkerrechtlich gesehen verjähren weder Verbrechen gegen die Menschlichkeit noch Völkermord. Auch wenn die meisten Täter bereits verstorben sind: Ihre Verbrechen sind nicht verjährt. Was die staatliche Verantwortung bzw. Haftung betrifft, so ist sie keineswegs erloschen. Ferner sind die Menschenrechte der Opfer zu berücksichtigen. Ubi ius, ibi remedium (wo Recht gilt, da ist auch Abhilfe zu schaffen). Es muß eine Reparation für die Opfer geben." In der Paulskirche rief der UN-Hochkommissar für das Flüchtlingswesen den Heimatvertriebenen zu: "Ihnen, also den Betroffenen, möchte ich sagen: Beharren und bestehen Sie auf Ihren Menschenrechten, denn sie werden anerkannt."
Ein zentrales Menschenrecht ist das Recht auf Eigentum und Erbe, das gekoppelt ist mit dem Recht des Menschen auf die Früchte seiner Arbeit. Hierzu äußerte sich Papst Leo XIII. in der Enzyklika Rerum Novarum, Nr. 7: "Warum plagt sich denn der Arbeiter? Doch wohl, um Wirtschaftsgüter zu erringen und darüber nach seinem Willen zu verfügen. Weswegen stellt er denn Geist und Hände einem anderen zur Verfügung? Er will dadurch Güter erwirtschaften, die er braucht, um ein menschenwürdiges Dasein zu führen ... Lebt ein Arbeiter karg und erspart sich dadurch ein Sümmchen, um damit ein Grundstück zu kaufen, in der Absicht, seinem Arbeitsertrag eine gesicherte Form zu geben, so ist eben dieses Grundstück nichts anderes als der Lohn in veränderter Form. Dieses Grundstück ist also genau so in seinem Besitzrecht wie der unmittelbare Arbeitslohn."
Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Antje Vollmer (Grüne), mahnt die Heimatvertriebenen hingegen, nicht länger die "Rächer der Enterbten" zu spielen. Rechtsstaatlich gesinnte Zeitgenossen können hier nur ein abgrundtiefes Defizit an Rechtskenntnis und Achtung vor der Menschenwürde feststellen. Dagegen erklärte der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs am 22. Juni 1993 in Kopenhagen: "Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft (in der EU) muß der Beitrittskandidat eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben." Das Europäische Parlament fordert folgerichtig die Aufhebung der Benesch-Dekrete. Der Deutsche Bundestag aber bringt hierzu nicht den Mut auf. In diesem Punkt war es klug und weise, schon in der "Charta der Heimatvertriebenen" von 1950 auf "Europa" zu setzen.
Aber nicht nur die Benesch-Dekrete sind unerträglicher Rechtsbruch, dies gilt auch für die Bierut-Dekrete! Am 5. März 1945 wurde das in "Polen" zurückgelassene bewegliche und unbewegliche Vermögen einfach entschädigungslos unter bewußter Verletzung des 7. Gebots beschlagnahmt. Und schon am 14. März 1945 übernimmt das Bierut-Polen die Gebietshoheit über die besetzten deutschen Ostgebiete. Diese Annexion erfolgte, obgleich die Siegermächte erklärten, daß das Deutsche Reich nicht untergegangen sei, lediglich in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 in Besatzungszonen aufgeteilt werde.
Die Heimatvertriebenen brauchen kein schlechtes Gewissen zu haben, sie sollten sich dies auch nicht einreden lassen, wenn sie redlich ihr Recht auf Eigentum und Erbe einfordern und einklagen. Vertreibungen hören nämlich dann und erst dann auf, wenn sich die Vertreiber nicht länger an den Früchten fremder Arbeit bereichern können, wenn sich Vertreibung erstens nicht lohnt und zweitens vor Menschenrechtstribunalen geahndet und bestraft wird. Die Freundeskreis Ostdeutschland wird überleben, wenn sie sich weiterhin und verstärkt als Menschenrechtsorganisation versteht und gegen Völkermord jedweder Art unerschrocken angeht. Für diese Aufgabe ist sicher auch unsere Jugend zu begeistern und zu gewinnen. Die Ostdeutschland brauchen wahrlich nicht den Blick auf die Wahrheit zu scheuen, denn das Recht steht unverbrüchlich auf ihrer Seite.
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