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Zusammenprall der Giganten

 
     
 
Die Indizien dafür, daß sich die russisch-amerikanischen Beziehungen ernsthaft verschlechtert haben, sind seit einiger Zeit unübersehbar. Ein erster deutlicher Hinweis hierfür war die vor einigen Wochen vom Pentagon lancierte Behauptung, ein russischer Diplomat habe im März 2003 Saddam Hussein Geheiminformationen über die US-Angriffsplanung verraten. Nach Aussage des russischen Außenministers
Sergej Lawrow habe die russische Regierung von diesen Vorwürfen erst aus der Presse erfahren. Diese Informationen erwiesen sich allerdings als falsch, so daß darüber gemutmaßt werden darf, was die Amerikaner mit der Veröffentlichung des Vorgangs bezwecken wollten. Möglicherweise wollten sie dokumentieren, daß die Russen ihrem langjährigen Partner Saddam Hussein falsche Informationen zuspielten, um den Amerikanern den Angriff zu erleichtern. Dieses Vorgehen wäre aber mindestens als "unfreundlicher Akt" seitens der USA gegenüber Rußland zu bewerten.

Anfang Mai trat dann Bushs Mann fürs Grobe, nämlich US-Vizepräsident Dick Cheney, auf den Plan. "Rußland muß eine Wahl treffen", erklärte Cheney auf einer Konferenz von Führungspersönlichkeiten aus der Schwarzmeerregion und dem Baltikum im litauischen Wilna. Reformgegner in Rußland versuchten derzeit, so Cheney laut der britischen Zeitung "The Guardian", die Entwicklungen des vergangenen Jahrzehnts zurückzudrehen und die demokratischen Rechte einzuschränken. Flankiert wurde Cheney von dem georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili, der behauptete, daß Moskau die Souveränität und Freiheit der ehemaligen Sowjetrepubliken bedrohe. Die "imperialistische Nostalgie" der russischen Regierung gelte es zu bekämpfen.

Vor allem aber warf Cheney Rußlands Präsidenten Putin vor, Öl und Gas zur Erpressung von Nachbarstaaten eingesetzt zu haben. Ein paar Tage später legte US-Präsident Bush nach, als er Putin "wirtschaftlichen Nationalismus" vorwarf: "Eine unserer Sorgen betrifft den wirtschaftlichen Nationalismus", so Bush, "etwa wenn Ölfirmen dazu benutzt werden, um politisch scheinende Ziele zu erreichen."

Für weiteren Konfliktstoff im russisch-amerikanischen Verhältnis dürfte die Ankündigung Cheneys sorgen, die Region Kaukasus von seinen "eingefrorenen Konflikten", womit er die unentschiedenen Konflikte in Nagorny-Karabach, Abchasien und Südossetien meinte, "befreien" zu wollen. Wie auch immer sich die Amerikaner hier eine Intervention vorstellen: Sie dürfte zu einer weiteren Verschärfung des ohnehin angespannten Verhältnisses zwischen Rußland und den USA führen.

In den russischen Medien wurden insbesondere Cheneys Äußerungen mit der Rede Winston Churchills in Fulton (Missouri / USA) vom 5. März 1946 verglichen, in der dieser vom Ende der "Anti-Hitler-Koalition" redete und den Übergang zum "Kalten Krieg" in den Raum stellte. Es war jene Rede, in der Churchill von einem "eisernen Vorhang" sprach, der sich durch Europa zöge.

Putin hat mittlerweile auf diese Vorwürfe reagiert. Er warf den USA vor, sie scherten sich nicht um Menschenrechte, wenn es um ihre eigenen Interessen ginge. Etwas kryptisch sagte Putin: "Wie das Sprichwort sagt: Kamerad Wolf weiß, wenn er fressen muß - und er frißt, ohne auf andere zu hören." Bereits Mitte April hatte sich der als "prowestlich" eingestufte ehemalige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow zu Wort gemeldet und die steigenden Spannungen im amerikanisch-russischen Verhältnis beklagt ("MosNews", 14. April). Mit ungewöhnlich deutlichen Worten prangerte Gorbatschow an, daß sich die USA "in der internationalen Arena die Rolle des Klägers, Richters und Polizisten reserviert hätten. Dies könne nicht anders als zurückgewiesen werden, und zwar nicht nur durch Rußland". Gorbatschow betonte, daß Rußland die "Rolle des Juniorpartners nicht akzeptieren werde, die Washington vorgesehen hat".

Es sind diese und andere Töne, die die politischen Auguren einen neuen "Kalten Krieg" zwischen den USA und Rußland befürchten lassen. Nicht ohne Grund, versuchen doch einflußreiche Kreise in den USA, auf eine völlige Neuausrichtung der Beziehungen zwischen beiden Staaten hinzuarbeiten. So zum Beispiel der außerparlamentarische "Council on Foreign Relations" (CFR), der Anfang März ein "Strategiepapier" veröffentlichte, und zwar am gleichen Tag, an dem Churchill 60 Jahre zuvor seine oben bereits angesprochene Rede über den "eisernen Vorhang" in Fulton hielt. Die Bedeutung des CFR kann nicht überschätzt werden: Die Gesellschaft wurde 1921 in New York von Edward Mandell House im Auftrag von David Rockefeller gegründet. Ihr wird seit ihrer Entstehung eine herausragende Bedeutung bei der Entwicklung außenpolitischer Strategien zugesprochen. Das CFR agiert allerdings eher im Hintergrund und ohne Kontrolle von außen und lehnt eine ausführliche Publizierung seiner Aktivitäten ab. Laut CFR entwickelten sich die Beziehungen zwischen Rußland und den USA eindeutig "in eine falsche Richtung". Die Idee einer "strategischen Partnerschaft" erscheine nicht länger realistisch. Unterzeichnet ist dieses Papier von Exsenator John Edwards (Demokraten) und dem Ex-Abgeordneten Jack Kemp (Republikaner). Die Argumente, die in diesem Papier aufscheinen, sind in etwa deckungsgleich mit denen, die Bush und Cheney in der Folge benutzten.

Nachdenklich dürften Putin die Forderungen stimmen, die in diesem Papier erhoben werden. Da ist unter anderem die Rede davon, daß die Finanzmittel regierungskritischer Organisationen in Rußland erhöht werden müßten, beziehungsweise davon, daß die russische Regierung zu konkreten Schritten verpflichtet werden müsse, damit die Präsidentschaftswahlen 2008 "offen, vertragsgemäß und pluralistisch" verliefen. Darüber hinaus müßten die USA energiepolitisch über Alternativen nachdenken, damit der russische Anteil an der Energieversorgung Europas verringert werden könne. Rußland müsse weiter gedrängt werden, die atomare Zusammenarbeit mit Teheran zu beenden. Bei den Verhandlungen über die Aufnahme Rußlands in die Welthandelsorganisation (WTO) sollte auf eine forcierte "Liberalisierung" der russischen Wirtschaft gedrängt werden. Schließlich sollten die USA im Hinblick auf die Beziehungen zu den Nachbarn Rußlands russische Interessen hintenanstellen. Das alles liest sich nicht nur wie eine Kampfansage an Putin, es ist eine. Das CFR-Papier dürfte diejenigen Kreise in Rußland bestätigen, die schon länger darüber mutmaßen, daß die Vereinigten Staaten in Rußland eine neue "samtene Revolution" à la Ukraine oder Georgien zur Ablösung Putins planten. Wohl auch deshalb hat Putin den Aktionsradius der Nichtsregierungsorganisationen in Rußland deutlich einengen lassen.

Selbst wenn man davon ausgeht, daß es sich bei dem besagten CFR-Papier um das Dokument explizit antirussischer Kräfte innerhalb der politischen Elite der Vereinigten Staaten handelt, ist dieses Papier ein Reflex auf die Grundsätzlichkeit der Interessengegensätze, die in den letzten Monaten zwischen der "einzigen Supermacht" und Rußland evident geworden sind. Vor gut neun Jahren konnte die "graue Eminenz" der US-Außenpolitik, nämlich Zbigniew Brzezinski, noch in seinem Buch "The great chessboard", "Die einzige Weltmacht", 1997, befriedigt darüber räsonieren, daß Amerika "nun der Schiedsrichter Eurasiens" sei; kein "größeres eurasisches Problem" lasse sich "ohne Beteiligung der USA oder gegen ihre Interessen lösen". Einschränkend stellte Brzezinski schon damals fest, daß die Mitte Eurasiens nur solange "ein Schwarzes Loch" bleiben werde, wie sich "Rußland zu keiner postimperialen Selbstdefinition durchgerungen" habe. Für die USA gelte es sicherzustellen, daß "kein Staat oder keine Gruppe von Staaten die Fähigkeit erlangt, die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen". Heute wird man feststellen dürfen, daß Rußland unter Putin diese "postimperiale Selbstdefiniton" gefunden hat und als "Globalplayer" im eurasischen Raum wieder eine feste Größe darstellt. Ähnliches kann mit Blick auf China gesagt werden, dessen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten sich, ähnlich wie im Falle Rußlands, in dem Maße verschlechtern, in dem es als Großmacht auf den Plan tritt und damit einem "expansionistischen Impuls" folgt, der sich zu einer "Gefahr für die Stabilität des internationalen Systems" auswachsen könne, wie es der einflußreiche US-Publizist Robert Kaplan in der Mai-Ausgabe 2005 der Zeitschrift "The Atlantic" ausdrückte. Kaplan erwartet deshalb einen "zweiten Kalten Krieg" zwischen China und den USA und die Rückkehr "einer traditionellen Machtpolitik", womit er eine Politik meint, die auf "liberale Grundwerte" und "multilaterale Konfliktbewältigung" verzichtet.

Ähnlich fällt die Analyse im Hinblick auf Rußland aus. Wenn Rußland auch derzeit den Vereinigten Staaten militärisch nicht Paroli bieten kann, entfaltet es doch als Energie-Großmacht beziehungsweise als "Ressourcenstaat" mehr und mehr Einfluß. Als "Ressourcenstaaten" werden die Staaten bezeichnet, bei denen die Ressourcensektoren mehr als 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes und mehr als 40 Prozent der Exporte ausmachen. Diese Position versetzt Rußland in die Lage, in der Außenpolitik deutlich selbstbewußter aufzutreten. Die Drohungen von Gasprom in Richtung Europa, nämlich die Energieversorgung zurückzufahren, wenn dessen Interessen "nicht genügend beachtet" würden, tangieren eine Maxime amerikanischer Geopolitik, nämlich den "Brückenkopf Europa", "von dem aus sich eine internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit nach Eurasien hinein ausbreiten läßt", wie es Brzezinski ausdrückte. Deshalb kann eine steigende energiepolitische Abhängigkeit Europas (insbesondere Deutschlands), mit der auch ein steigendes politisches Einflußvermögen verbunden ist, nicht im US-Interesse sein.

Vor diesem Hintergrund sind wohl auch die oben zitierten rußlandkritischen Attacken von Bush und Cheney zu sehen. Dazu kommt ein weiteres: Nicht wenige westliche Beobachter sind der Überzeugung, daß Rußland sein Potential als Energiegroßmacht nutzen könnte, um in den GUS-Staaten wieder nachhaltig Einfluß zu nehmen, sich von westlichen Werten abzuwenden und um mit China ein strategisches Bündnis gegen den Westen einzugehen. In der Tat ist das offene Eintreten für eine "multipolare Welt" sowohl von Rußland als auch von China, die deshalb auch die Kooperation mit Indien suchen ("Triadenbildung"), eine Infragestellung der hegemonialen Ansprüche der USA. Die USA haben diese Triadenbildung zuletzt dadurch zu durchkreuzen versucht, daß sie Anfang März dieses Jahres Indien den Status einer Atommacht verliehen haben, obwohl das Land sich weigert, den Atomwaffensperrvertrag zu unterzeichnen. Auf die "Internationale Atomenergiebehörde" (IAEO) wurde nachhaltig Druck ausgeübt, die Regularien so zu verändern, daß der Export von nuklearem Brennstoff und ziviler Nukleartechnologie möglich wird. Eindeutigen Versuchen seitens der USA, Indien in ein breiteres strategisches Bündnis einzubeziehen, hat sich Indien trotz dieser Zugeständnisse bisher erfolgreich entziehen können. Dies dürfte auch auf die erfolgreiche Politik Putins zurückzuführen sein, der es bisher verstanden hat, daß weder die Intensivierung der Beziehungen zwischen Indien und den USA noch die Kontakte zwischen Moskau und Islamabad das gute Verhältnis zu Indien beeinträchtigt haben.

Wie auch immer die Entwicklung im umkämpften asiatischen Teil Eurasiens weitergehen wird: Festgehalten werden kann, daß die USA ihre Rolle als Hegemon und Schiedsrichter auf absehbare Zeit, wenn nicht für immer, eingebüßt haben.

Die USA werfen Putin vor, Nachbarstaaten mit Gas zu erpressen

Gegenseitige Beleidigungen sind an der Tagesordnung

Uneins in Sachen Aufteilung der Einflußbereiche: Rußlands Kremlchef Putin und der US-Präsident Bush
 
     
     
 
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