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Ulrike Meinhofs "erstem Leben" bis 1968 hat deren Tochter Bettina Röhl ein epochales Buch von 641 Seiten plus Anhang gewidmet. Mit flotter Feder und literarischem Talent hat die Hamburger Journalistin zahlreiche Interviews mit Zeitzeugen und Weggefährten ihrer Mutter und ihres Vaters geführt und sie beweist, daß ein Sachbuch nicht langweilig sein muß. Das 1,1 Kilogramm schwere Buch ist leicht lesbar, lebhaft und spannend. Einfach faszinierend!
Es ist der fakten- und dokumentenreiche Roman des Lebens der tragischsten Figur der linken deutschen Szene vor 30 Jahren mitsamt Umfeld und Ambiente der damaligen Gesellschaft. Die Tochter, die den Namen ihres Vaters trägt, ist mit dem Thema seit über zehn Jahren, eigentlich seit ihrer Geburt konfrontiert. Irgendwann mußte die Nabelschnur durchschnitten werden. Das Odium einer solchen Mama abzuschütteln war sicher nicht einfach. Sie tut es in Liebe zur politisch Gestrauchelten und mit Respekt vor einem Menschen, der später seinen Irrtum, ja seinen Wahn, bis zur Selbstvernichtung durchlebte. Die post mortem Anamnese ist einfühlsam.
Die Ulrike M. erscheint dort als eine hochintelligente, aber vereinsamte und wenig zum Lachen neigende und im Kern starrsinnige, komplizierte Person, die - typisch deutsch - alles Einfache schwer machte und die Schicksalsschläge (ihre Operation an einem Hirntumor und die Trennung von ihrem Mann) nicht locker verarbeitete, sondern im Sinne Nietzsche s mit einem Kraftakt "überwand". Bei allen Details einer mit viel Humor aufgezeichneten Familiengeschichte verliert Bettina Röhl jedoch den Wald vor lauter Bäumen nicht aus dem Blick.
Bettina Röhls Schreibe ist weder subjektiv noch emotional. Der Ton ist gesetzt, sachlich, oft eine Idee ironisch. Der Drang nach Gerechtigkeit und die Lust zum Risiko treiben die Verfasserin zwar wie ihre Mutter an, aber sie hat die Frohnatur, den Spieltrieb und die Lässigkeit ihres Vaters geerbt.
In diesem, in bestimmter Hinsicht autobiographischen Buch kann man Bettina Röhl jedenfalls keine familiäre Parteinahme vorwerfen. Streng und stringent geht die begabte Tochter gegen die Eltern vor. Der Vater hat sich aber geläutert, er hat rechtzeitig Buße getan. "Ich wußte zum damaligen Zeitpunkt von dem kommunistischen Hintergrund meiner Eltern nur wenig", schreibt Bettina. Die Schuppen sind ihr während der Arbeit von den Augen gefallen.
Es war Zufall, Glück sogar, daß sie bei der Suche nach der Story der Zeitschrift ihrer Eltern "Konkret", die über Jahre die meistgelesene und einflußreichste Studentenzeitschrift war und über die Studenten hinaus von der linken Schickeria gelesen wurde, Ungeheuerliches entdeckte, und zwar, daß "Konkret" ein mit 40000 D-Mark monatlich - damals ein kleines Vermögen - von der Stasi dotiertes Instrument der verdeckten kommunistischen Agitation zur Destabilisierung der Bundesrepublik Deutschland war. Diese Zeitschrift hat "eine Schlüsselrolle beim Aufbau des Kommunismus in Westdeutschland gespielt".
Anders als viele irregeleitete Studenten von damals, die sie wissentlich hinters Licht führten, waren Klaus Röhl und seine Frau Ulrike keine jugendbewegten intellektuellen Romantiker, sondern harte Kommunisten, die zur Geburt ihrer Zwillinge 1962 einen Strauß roter Rosen aus Ost-Berlin erhielten. Sie waren DDR-Einflußagenten, Illegale. Sie erhielten regelmäßig in konspirativen Wohnungen Ost-Berlins ihre Anweisungen von der verbotenen KPD, die all diese Gespräche protokolliert hat. Die professionellen Besserwisser, sprich die Kommunisten, hielten ihre Desinformationsvermittler an der kurzen Leine.
"Bewußt wurde mir auch", schreibt die Autorin, "daß Ulrike Meinhof, lange bevor sie 1970 in den Untergrund ging und bis zu ihrem Tod, vor allem Kommunistin gewesen war und dies nicht nur in ihrem Parteibuch. Der Kommunismus war ihre große Leidenschaft, ohne die ihr Tun kaum zu erklären ist." Der Mythos der freien Anarchistin bricht zusammen.
Mit der Entdeckung der "Akte Konkret" im Bundesarchiv beweist die hoch motivierte Verfasserin, daß der angeblich "spontane Zorn der Studenten" und deren scheinbar "antiautoritäre Bewegung" einem poststalinistischen Masterplan entsprachen. Die Unterwanderung aus Ost-Berlin beschränkte sich nicht auf Sonderfälle wie "Konkret". Die Dokumente sprechen für eine breit angelegte Stasi-Offensive in den intellektuellen Jetset im Westen, der sich recht infantil und gutgläubig benahm. Die Studentenrevolte der 68er, die nicht in Berkeley wie behauptet, nicht in Paris, sondern in der Frontstadt Berlin startete, sproß nicht plötzlich aus dem Nichts hervor. Sie wurde von langer Hand mit Geld und von Agenten aus dem Osten vorbereitet.
Der marxistische Agitator und Journalist Erich Kuby hielt im Januar 1959 in der FU eine virulente Schimpfrede gegen diese "alma mater" und bekam Hausverbot. Im Februar 1959 (dokumentiert durch ein Bild in Bettina Röhls Buch) machte "Konkret" darauf aufmerksam, daß die sogenannten "Studenten" die "Adenauer-Politik" angeprangert und die ulbrichtsche, "deutsche Konföderation" propagiert hatten, natürlich immer ganz spontan ... Später kamen die Spaltung des SDS und der Kampf gegen die Notstandsgesetze. Bettina Röhl, die die Aussagen ihrer Zeugen mit den Dokumenten vergleicht, hat den "Führungsoffizier" ihrer Eltern, Manfred Kapluck, befragt.
Als "Tochter von Ulrike" ist sie für diese Leute ansprechbar. Er erklärte ihr, wie "zwischen 1956 und 1960 ausgesuchte Jugendliche aus Westdeutschland, ausgewiesen gute Schüler", in die DDR zum Studium geschickt wurden und später im Westen politisch tätig wurden. "Wir reisten, von der Stasi, die damals noch nicht so hieß, mit Ausweisen ausgestattet", gesteht der ehemalige Agent. Er erzählt von der Unterwanderung der Naturfreunde, der Jusos und der Falken, von den "großen Friedenskongressen, die uns Hunderte von neuen Parteimitgliedern einbrachten, die dann wieder als Illegale für uns arbeiteten."
Es ist das Verdienst von Bettina Röhl, den Sumpf von damals durchleuchtet zu haben. Sie nennt bekannte Namen. Es werden aus der Birthler-Behörde noch Namen herauskommen. Man hat die kommunistische Durchdringung der Antiatomtod-, Friedens-, Emanzipations- und APO-Bewegung durch die Stasi einfach ignoriert, bis nach 1990 die Akten sprachen. Die Universitäten und später die Schulen waren ein Schwachstelle, das "schwächste Glied der Kette", gewesen. Der lange Marsch durch die Institutionen, den Dutschke empfohlen hatte, während Ulrike Meinhof und die RAF den bewaffneten Kampf vorzogen, ist zum Glück im wesentlichen im Sand verlaufen.
Bettina Röhl: "So macht Kommunismus Spaß! Ulrike Meinhof, Klaus Rainer Röhl und die Akte Konkret", Europäische Verlagsanstalt, Hamburg. 2006, 677 Seiten, 29,80 Euro 5606
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