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Der russische Ölkonzern Jukos steht vor seiner Zerschlagung. Alle Bemühungen seitens der Unternehmensführung, die Behörden zum Einlenken zu bewegen, haben nichts genützt. Eine Beschwerde bei Gericht gegen die Beschlagnahmung der Konten von "Juganskneftegas", der letzten erfolgreichen Tochter des Jukos-Konzerns, wurde abgewiesen. Statt dessen wurden seit Mitte Oktober die Zeugenbefragungen fortgeführt. Nun legte das Gericht den Termin für die Zwangsversteigerung der Jukos-Tochter fest: Es ist der 19. Dezember. Bis zum 18. Dezember können Interessenten sich registrieren lassen. Das Startgebot wurde auf 8,65 Milliarden Dollar festgesetzt. Als offiziellen Wert gab das Justizministerium 10,4 Milliarden Dollar an. Nach einer Schätzung der Investionsbank Dresdner Kleinwort Wasserstein liegt der mögliche Erlös bei 14,7 bis 17,3 Milliarden Dollar. Da der Fiskus nun auch die Steuern für 2003 nachfordert, beläuft sich die Steuerschuld insgesamt auf 24,4 Milliarden Dollar. Damit dürfte der Konzern Jukos nicht mehr zu retten sein. Die Ankündigung der neuerlichen Forderung von Steuermilliarden führte prompt zum Einbruch der Aktien um 28 Prozent. Die Gesamtforderungen des Staates entsprechen fast dem Fünffachen des derzeitigen Börsenwertes von Jukos. Konzernchef Steven Theede sprach von einer Enteignung großen Maßstabs, da zur Tilgung der Steuerschulden nach geltendem Recht zunächst nicht unbedingt benötigte Firmenaktiva hätten herangezogen werden müssen.
Viele halten den Fall immer noch für eine politisch motivierte Machtdemonstration der russischen Regierung gegen den zum politischen Gegner avancierten Jukos-Chef Chodorkowskij, der seit einem Jahr in Untersuchungshaft sitzt. Die Kommission für Juristische Fragen und Menschenrechte der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) will auf ihrer Januar-Tagung über den Fall Jukos beraten, da sie in ihrem Bericht zu der Einschätzung kommt, daß hier das "Prinzip der Gleichheit vor dem Gesetz" durch die russischen Behörden verletzt worden sei, und es Hinweise auf Mängel in der Arbeit der Justiz Rußlands gebe. Konkret kritisierte die Kommission die Behinderung von Kontakten der Jukos-Anwälte zu ihren Mandanten sowie die Beschlagnahmung von Dokumenten der Verteidigung.
Präsidentschaftsberater Igor Schuwalow kündigte an, daß Jukos erst der Anfang sei, die russische Regierung eine groß angelegte Offensive gegen alle Steuersünder der russischen Wirtschaft plane. Er riet deshalb allen Unternehmen, sich intensiv mit ihren Steuerabrechnungen zu befassen. Vor allem Ölkonzerne hatten in der Vergangenheit Schlupflöcher im Steuergesetz genutzt, um ihre Steuerlast zu minimieren. Diese Methoden seien jedoch illegal, so Schuwalow, und die Unternehmen seien gut beraten, ihre Erklärungen schnellstens in Ordnung zu bringen.
Die Firmenleitung von Jukos hält sich zur Zeit in London auf. Finanzdirektor Bruce Misamore ist bei Gericht nicht zum Verhör erschienen, weil er seine Verhaftung befürchten mußte. Er kündigte an, nicht eher nach Rußland zurückzukehren, bis ihm seine Freiheit garantiert werde. Auch andere Führungskräfte des Konzerns haben Rußland in weiser Voraussicht verlassen, offiziell, um an der Sitzung des Direktorenrates in London teilzunehmen; die Top-Manager jedoch, weil sie ihre Verhaftung in Moskau ernsthaft befürchten mußten. Tatsächlich wurden in der vergangenen Woche zwei Jukos-Anwältinnen verhaftet. Die Anwältin Swetlana Bachmina, Mutter zweier Kinder, wurde am 8. Dezember verhaftet und drei Tage lang verhört. Die Behörden gaben sich keinerlei Mühe, den wahren Grund für die Verhaftung zu verbergen: Sie waren äußerst empört über die Flucht des Leiters der Jukos-Rechtsabteilung, Dmitrij Gololobow, der ebenfalls nach London abgereist war. Einen Tag später wurde die Anwältin Elena Agranowskaja verhaftet, weil einer ihrer Partner der Anwaltskanzlei ALM, Pawel Iwlew, ins Ausland gereist war. Selbst die Anwältin, die ihre beiden Kolleginnen vertreten wollte, sollte anschließend verhört werden. Als diese gegen solche illegalen Methoden protestierte, hieß es seitens der Behörden: "Dann verletzen wir eben das Gesetz."
Inzwischen mehren sich die Gerüchte über mögliche Interessenten für die bevorstehende Versteigerung der Jukos-Aktienpakete. Neben der staatlichen Chinesischen Nationalen Öl- und Gasgesellschaft CNPC, die aufgrund ihrer umfangreichen Ölimporte aus Rußland schon im Vorfeld ihr Interesse bekundet hatte, signalisierten nun auch zwei indische Gesellschaften, die Oil and Natural Gas Corp. und die Indian Oil Corp. die Bereitschaft, an der Versteigerung teilzunehmen. Allerdings sind die finanziellen Möglichkeiten der Inder sehr begrenzt. Sie könnten lediglich Anteile der Aktien erwerben. Als mögliche weitere Interessenten gelten die deutsche Eon, die italienische ENI sowie Chevron Texaco und Shell. Letztere haben entsprechende Meldungen bereits dementiert. Die russischen Behörden favorisieren eine Übernahme durch Gasprom, damit das Aktienpaket in russischer Hand bleibt.
Jukos will laut Presseberichten nicht mehr unbedingt an seinen Überlebensplänen festhalten, sondern erwägt die Auflösung des Konzerns zum Jahresende. Am 20. Dezember will die Unternehmensleitung auf einer außerordentlichen Sitzung über die Zukunft des Restunternehmens entscheiden. Ganz gleich, wie die Entscheidung ausfällt: Für Bankrott oder Auflösung von Jukos trügen die russischen Behörden die Verantwortung, heißt es aus den Reihen der Firmenleitung.
Insgesamt schadet der Fall der russischen Wirtschaft. Investoren verhalten sich vorsichtig, ausländisches Kapital wird trotz ansonsten gutem Investitionsklima aus Rußland zurückgezogen. Die russische Führung wäre gut beraten, diese an sich günstigen Bedingungen weiter auszubauen, indem sie nicht nur Gesetze erläßt, die mehr Rechtssicherheit schaffen, sondern auch für eine Gerichtsbarkeit sorgt, die rechtsstaatliche Prinzipien verinnerlicht. Daß Steuersünder verfolgt werden müssen - auch in Rußland - steht dabei außer Zweifel, denn ohne Steuereinnahmen ist kein Staat zu machen. Würden russische Firmenbosse zu der Einsicht gelangen, daß sie durch ihre Abgaben helfen, die Gesamtsituation ihres Landes zu verbessern, und sei es nur, um ein funktionierendes Sozialsystem zu schaffen, das nach dem Zerfall der Sowjetunion faktisch nicht mehr besteht, wäre schon viel erreicht. Im Moment befindet Rußland sich jedoch - nach den für viele enttäuschenden Erfahrungen von Glasnost und Perestrojka - eher auf dem Stand eines Chicagos der 20er Jahre: Was zählt, ist Erfolg um jeden Preis, auch wenn die Methoden manchmal kriminell sind.
So läßt sich denn auch die große Zustimmung der Bevölkerung für die Maßnahmen der Regierung erklären. Oligarchen gehören zur verhaßten Spezies der Neureichen, die Vermögen für ihre eigenen Taschen erwirtschaften, für die breite Masse jedoch keine Werte schaffen.
Firmensitz ohne Führung: Die Firmenleitung von Jukos hat sich aus Angst vor Verhaftung nach London abgesetzt.
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