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Das Schwein ist weg. Einfach ausgebüchst. Ein peinliches Mißgeschick. Drei Männer stehen da wie begossene Pudel. Sie waren im Auftrag eines deutschen Filmemachers unterwegs. Das Geschäft bereits erfolgreich abgewickelt, stellte sich auf der Heimfahrt plötzlich Bierdurst ein. Während der Fahrpause sprang das Borstenvieh vom Pritschenwagen.
Der Regisseur sah es gelassen: „Stefan, da hast du endlich mal eine lustige Geschichte für die Dorfchronik.“ Sprach‘s und drückte den Männern noch einmal fünftausend Kronen in die Hand. Das zweite Schwein hatte kein Schwein. Im Film wird es in zwei Hälften geteilt und anschließend zu Wurst verarbeitet.
Der Dokumentarfilm zeichnet das Leben im Dorf Anfang der 90er Jahre nach. Ein knappes Jahrzehnt später wirkt das Video bereits archaisch. Hopgarten hat sich in die Gegenwart katapultiert. Die meisten Dörfler haben sich vom Vieh getrennt, die Feldarbeit besorgen oft nur die Älteren.
Die Wohnhäuser legten das einst allgegenwärtige Grau ab. Viele Eigenheime entstanden neu. Das Geld stammt oft aus Erbschaften. Um die vorletzte Jahrhundertwende waren viele Hopgartner aus Hunger nach Amerika ausgewandert. Viele haben es in der Neuen Welt zu Wohlstand gebracht.
Heute scheint Hopgarten ein ganz normales Dorf zu sein, in slowakischen Augen ein unbedeutendes Nest, in Deutschland völlig unbekannt. Warum das Fernsehteam ausgerechnet hierher kam, lag nur für Eingeweihte auf der Hand. Zwischen Spätsommer 1944 und Herbst 1946 erwarb sich Hopgarten nämlich den Ruhm eines ostmitteleuropäischen Kuriosums.
Rundherum, in der ganzen Slowakei, aber auch in der benachbarten Tschechei und im polnischen Machtbereich, wurden Deutsche massenhaft vertrieben. Hier aber widersetzte sich ein komplettes Dorf den in Jalta und Potsdam festgelegten Bestimmungen der Großmächte. Es ist fast eine Geschichte nach Art der Comic-Helden Asterix und Obelix, die ihr gallisches Kaff gegen das römische Weltreich Julius Cäsars verteidigen. Im Fall Hopgarten jedoch ohne Zaubertrank, ohne Waffen, aber mit ebenso viel List, Mut und Beharrlichkeit.
Von der Widerspenstigkeit dieses Dörfchens hatte der tschechoslowakische Präsident Edward Benesch auf der fernen Prager Burg wohl kaum etwas geahnt, als er die Absprachen mit den Alliierten verschärfte, die seinen Namen tragen. Die Benesch-Dekrete sahen das Aussiedeln aller Deutschen im Lande vor, alle Bürgerrechte wurden ihnen aberkannt.
Ausnahmen für ein Bleiberecht in der Slowakei gab es nur für dringend benötigte Spezialisten oder aktive Widerstandskämpfer, aber nicht für ein komplettes Dorf. Daß es Hopgarten bis heute gibt, ist einem glücklichen Zufall zu danken. Oder einer göttlichen Fügung, wie viele in Hopgarten glauben.
Die außergewöhnliche Dorfgeschichte begann im August 1944, als Partisanen während des Slowakischen Nationalaufstandes vorrückten. Zum Schutz vor befürchteten Terroraktionen kamen deutsche Soldaten nach Hopgarten und verteilten Waffen an die Dörfler. Die Partisanen erfuhren davon und bestellten Bomben bei den Sowjets. Doch das Flugzeug explodierte mit seiner Fracht ohne erkennbaren Grund an einem nahen Hügel. Mitte Dezember 1944 ordnete die profaschistische Regierung der Slowakei eine Evakuierung vor der nahenden Front an. Als Soldaten das Dorf umzingelten, waren die Gesuchten schon in die Nachbarorte geflohen. Danach hatten die Behörden das Dorf einfach vergessen. Die Front zog vorbei. Die Leute arbeiteten auf ihren Feldern und hatten ihre Ruhe.
Doch die Stille, das sollte sich bald zeigen, war trügerisch. „Im Frühsommer 1946 umstellten tschechische Soldaten unser Dorf. Haus für Haus trieben sie die Menschen heraus und brachten sie in das Sammellager Alt-Lublau. Bereits am nächsten Morgen protestierte der slowakische Dorfpfarrer beim Bezirksamt gegen den Willkürakt. Weil sich auch die slowakischen, ruthenischen und goralischen Bürgermeister der Nachbardörfer mit den Hopgartnern solidarisierten, kamen wir wieder frei“, berichtet Ortschronist Kozák. Offenbar hatte die neue slowakische Behörde noch keine rechte Kenntnis von den gesetzlichen Bestimmungen des Herrn Benesch.
Aber die Beamten bekamen wohl doch kalte Füße, deshalb schickten sie die tschechische Soldateska abermals aus. Die Hopgartner erfuhren davon, packten das Nötigste zusammen und versteckten sich im Gemeindewald. Den Sommer bestellten sie tagsüber ihre Äcker, nachts schliefen sie im Dickicht. Das Militär rückte im Schutz der Dunkelheit vergeblich aus, die Hopgartner waren immer rechtzeitig verschwunden.
Im September 1946 hatte der Befehlshaber die Nase voll. Man ließ sie in Ruhe. 1948 wurde ihnen das Angebot unterbreitet, sich zur slowakischen Nationalität zu bekennen. Die meisten faßten die Gelegenheit beim Schopfe und erklärten sich kurzerhand zu Slowaken. Für die Behörden war der Fall damit erledigt, das deutsche Dorf geriet allmählich in Vergessenheit.
Die deutsche Sprache wurde 1945 im ganzen Land verboten, das Dorf Hopgarten in Chmelnica umbenannt. Von einem auf den anderen Tag bekamen die Schulkinder einen nur slowakisch sprechenden Lehrer vorgesetzt. Insgeheim sprachen sie doch in ihrer deutschen Mundart, der slowakische Pfarrer nahm die Beichte in deutscher Sprache ab. In den Spinnstuben sang man deutsche Volkslieder, ebenso bei Hochzeiten, Geburtstagsfeiern und auf der Viehweide.
Heute wird im Dorf noch immer deutsch gesprochen, jedoch in der Hopgartner Mundart. Sprachwissenschaftler fanden heraus, daß die Hopgartner Ahnen aus der oberschlesischen Sprachinsel Kostenthal stammen. Die liegt heute in Polen und heißt Gosciecin.
Außer der schlesischen Mundart sind in der Umgangssprache Wörter aus vielen Teilen Deutschlands vertreten, aus Bayern, Franken, Mecklenburg, Sachsen, Schwaben und Thüringen: ein Beweis für die Herkunft und die Vermischung der Kolonisten in dieser Gegend.
Von den heute knapp 900 Einwohnern sind gut zwei Drittel Deutsche. Wer heiratet, bleibt hier. Fällt die Entscheidung für einen slowakischen Partner, muß er nach Hopgarten ziehen. Jeder Zugezogene sieht sich genötigt, die Mundart zu erlernen, um dazuzugehören.
Doch die neue Zeit verändert jahrhundertelang gewachsene Strukturen auch hier. Obwohl sich die Ausläufer mehrerer Gebirge wie ein Bollwerk um die Ortschaft legen, dringt die moderne Welt mit dem Satellitenfernsehen in jedes Wohnzimmer. Ob jeder Heranwachsende die Überredungskünste der Eltern akzeptieren wird, im Dorf zu bleiben, erscheint in Zukunft doch sehr fraglich.
Wer die Dorfgemeinschaft von Hopgarten noch erleben will, sollte sich in jedem Fall beeilen. Die Hopgartner Mundart hat das gleiche Problem wie beispielsweise das Sorbische. Beides sind alte Sprachen, die kaum weiterentwickelt werden. Moderne Begriffe fehlen, vieles klingt angestaubt.
Der Jugend gefällt das nicht, auf der Straße unterhält man sich lieber slowakisch. Für die Älteren bedeutet das Deutsche Identifikation mit dem heimatlichen Ort, mit der eigenen Vergangenheit, mit Brauchtum und Kultur.
Zwar werden die Schüler in Hopgarten sieben Stunden wöchentlich in deutscher Sprache unterrichtet. Doch Finanzhilfen für deutsche Unterrichtsmittel gibt es nicht. Die Gemeinde organisiert alles in Eigenregie. Staatliche Stellen in Deutschland haben sich bislang noch nicht für diese Sprachinsel interessiert.
Ohne Unterstützung von außen haben die Hopgartner im vergangenen Jahr ihre Pfarrkirche herausgeputzt. Die Wandmalereien wurden aufgefrischt, ein kunstvolles Gitter aus Schmiedeeisen schützt nun die Orgelempore, und eine Fußbodenheizung sorgt für warme Füße. Umgerechnet 170 000 Mark hat das alles gekostet. Bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von etwa 500 Mark ist das ein wirkliches Opfer.
Immerhin bringt der Tourismus ein wenig Geld ins Dorf. Reisegruppen aus Österreich und Deutschland, zumeist ältere Heimatvertriebene, besuchen Hopgarten inzwischen regelmäßig. „Kürzlich haben wir über tausend Piroggen mit der Hand gefüllt, keine einzige blieb übrig. Eine Woche später ließen sich die Gäste fünfzig Liter Gulasch schmecken. Manch einer hat vier Teller verputzt.“
Emilie Kozák, die Frau des Ortschronisten, kocht gern, oft zusammen mit anderen Frauen aus dem Dorf. Nach dem Festschmaus werden im Kulturhaus die Schürzen gegen bunte Trachten getauscht. Der örtliche Chor singt voller Inbrunst, und den jugendlichen Tänzern steht der Spaß an dem Ganzen ins Gesicht geschrieben.
Das Gasthaus heißt wie überall im Land „hostinec“. An den Tischen mit rot-weiß karierten Wachstuchdecken sitzen laut schwatzende Männer im Zigarettenqualm. Dazu dudelt ein deutscher Fernsehsender. Ortsunkundige wähnen sich vielleicht in einem slowakischen Dorf, denn die Hopgartner Mundart ist nur schwer zu verstehen. Aber schnell beginnen die Dörfler hochdeutsch zu reden, sobald sich ein Besucher als Deutscher zu erkennen gibt.
„Wenn sich im nächsten Jahr bei der Nationalitätenbefragung mehr als zwanzig Prozent als Deutsche bekennen, können wir ein zweisprachiges Ortsschild aufstellen. Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben aber viele immer noch Angst, auch offiziell deutsch zu sein.“ Stefan Kozák ist jedenfalls optimistisch: Dann werde das unweit der polnischen Grenze gelegene Dorf hoffentlich öfter von sonst vorbeifahrenden Touristen aus Deutschland besucht.
Hausschlachtung: Ein Bild, das auch in Hopgarten bald der Vergangenheit angehören könnte, da sich schon im ersten Nach-Wende-Jahrzehnt die meisten Dörfler von ihrem Vieh getrennt haben Foto: Schmidt
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