A B C D E F G H I J K L M N O P Q R S T U V W X Y Z
     
 
     
 

Ministerpräsident

 
     
 
Im Heimatgefühl liegt auch der Anspruch, unverwechselbar zu bleiben." Das ist ein Satz aus dem großen Roman "Heimatmuseum" von Siegfried Lenz, und dieser Satz trifft natürlich auch voll und ganz auf Ostdeutschland zu.

Ich war bewegt von den Worten von Nanette Kaiser, die im Grunde genommen uns einen Satz immer wieder ins Gedächtnis ruft: Wer nicht weiß, woher er kommt, der weiß auch nicht, wohin er will. Es ist gerade in der International
isierung, der Globalisierung das Bewußtsein, wohin man gehört, die Heimat, eines der wichtigsten Elemente, die Globalisierung, diese Weitläufigkeit überhaupt, offen zu gestalten.

Sie sind heute hier in Leipzig zusammengekommen, weil Sie Ihre Heimat auch 57 Jahre nach Flucht und Vertreibung im Herzen tragen.

Sie sind zusammengekommen, weil Sie als Ostdeutschland unver-wechselbar in Deutschland blei-ben wollen.

Und Sie sind zusammengekommen, weil Sie genau dies vor der Welt, vor den Deutschen, den Polen, den Russen, weil Sie das vor Europa zeigen wollen.

Ich bin hier, weil ich Sie in Ihrem friedlichen Bekenntnis zu Ihrer Heimat, in Ihrem Bekenntnis zu Ihrer unverwechselbaren Kultur stärken und unterstützen möchte.

Sie wissen, daß ich die letzten zehn Jahre seines Lebens Franz-Josef Strauß erlebt und eng an seiner Seite gelebt habe. Es wird viel von ihm immer wieder erzählt werden. Ein Satz, den er einmal in einer zweieinhalbstündigen Rede vor der Landtagsfraktion der CSU in München gesagt hat, als es darum gegangen ist, wie wir uns zu unserer Geschichte bekennen - das war ja in den 70er und 80er Jahren nicht so ganz leicht -, da hat er gesagt: "Wir werden uns immer zu unserer deutschen Geschichte gerade auch als Bayern bekennen, und notfalls werden wir Bayern die letzten Preußen sein."

Daß wir heute Gott sei Dank andere Zeiten erleben als damals, darauf können wir stolz sein und glücklich sein. Deutschland ist eine große, eine vielgestaltige Kulturnation. Und dazu gehört untrennbar Ostdeutschland mit seiner reichen Geschichte.

In diesem Sinne grüße ich Sie zusammen mit meiner Frau ganz herzlich. Ich grüße Sie hier in der Messehalle und die gesamte ostdeutsche Familie in Deutschland. Ich grüße Sie vom Paten-land Bayern. Wir in Bayern bekennen uns zu unseren eingegangenen Verpflichtungen und wir halten sie ein. Herr Meier und seine Vorstandskollegen wissen dies von unseren regelmäßigen Gesprächen.

Ich will vor Ihnen - denn ich habe noch nie vor so vielen Ostdeutschland gesprochen - diese Patenschaft mit der Freundeskreis Ostdeutschland gerne nachdrücklich bekräftigen. Die Gründe, die vor 24 Jahren zu der Besiegelung der Patenschaft geführt haben, gelten auch heute unverändert weiter. Dieses Bekenntnis, das können Sie mir glauben, kommt von Herzen.

In der Patenschaftsurkunde von 1978 heißt es: "Die Übernahme der Patenschaft will ein Zeichen der Verbundenheit mit den ostdeutschen Landsleuten sein." Diese Verbundenheit mit Ihnen will ich heute erneut zum Ausdruck bringen.

Verbundenheit haben Sie, die Ostdeutschland, aber auch alle Heimatvertriebenen, in der Tat verdient. Alle Deutschen stehen ins-gesamt in der historischen Verantwortung für das, was von Hitler-Deutschland den Völkern Europas angetan wurde. Gerade Polen und die Sowjetunion haben unter der deutschen Herrschaft gelitten wie keine anderen Nationen.

Aber bei und nach Kriegsende hatten gerade die Deutschen im Osten unter den Kriegsfolgen in besonderer Weise zu leiden. Schon der Einmarsch der Roten Armee in Ostdeutschland war insbe-sondere für die Kinder und die Frauen mit ungeheuren Demüti-gungen, Vergewaltigungen, mit Qualen und Leiden verbunden. Ich denke an unsere Landsleute, die auf dem Haff erfroren sind, in der kalten Ostsee ertranken, auf den Trecks überrollt wurden oder an Erschöpfung und Hunger starben.

Meine Damen, meine Herren, ich sage das gerade auch als jemand, der in Süddeutschland geboren und aufgewachsen ist. Je östlicher die Deutschen gelebt haben, um so bitterer haben sie für Hitler-Deutschland bezahlt. Deswegen gibt es natürlich auch für alle Deutschen die Verpflichtung, sich dessen immer bewußt zu sein. Denn Gerechtigkeit ist ja ein Wesensmerkmal unserer Gesellschaft, jedenfalls der Anspruch auf Gerechtigkeit. Deswegen muß man immer wieder deutlich machen: Die Menschen in den östlichen Teilen haben mehr dafür bezahlt für die Verbrechen von Adolf Hitler als andere Menschen, je weiter sie westlich gelebt haben. Das ist kein Verdienst, das ist ein Faktum.

Auf die Besatzung folgten De-portation und Zwangsarbeit, folgten Enteignung und Vertrei-bung. 15 Millionen Menschen, darunter zweieinhalb Millionen Ostdeutschland, wurden aus ihrer Heimat geworfen, wurden hineingestoßen in eine ungewisse Zukunft. Mehr als zwei Millionen überlebten dieses grauenhafte Geschehen nicht.

"Es ist gut und richtig, daß wir nicht nur um die eigenen Toten, sondern auch um die anderer Länder trauern, die einem Krieg zum Opfer fielen, der von Deutschland ausgegangen war. Aber wir sollten dabei nie die eigenen Toten übergehen, sollten ihrer immer gedenken, weil sie in einer kalten Welt am meisten vergessen sind, wenn auch wir uns ihrer nicht erinnern." Diese zutiefst menschlichen Sätze sagte Prof. Arnulf Baring vor wenigen Wochen auf dem Sudetendeutschen Tag in Nürnberg. Und ich stimme ihnen aus vollem Herzen zu.

Und beim Treffen aller Danziger am letzten Maiwochenende dieses Jahres sagte der Vizepräsident des Sejm, Donald Tusk, daß die Gesellschaft den gemeinsamen Respekt vor den Toten wieder zu finden habe, wenn sie eine Zukunft erlangen möchte.

Das gemeinsame Erinnern der ehemaligen und der heutigen Danziger an die Toten "schloß die Herzen auf", so die Frankfurter Allgemeine Zeitung.

Verbundenheit haben Sie aber auch deswegen verdient, weil Sie nicht an Ihrem Schicksal verzweifelt sind, weil Sie nicht jene Rolle übernommen haben, die Ihnen Stalin zugedacht hatte: als Mittellose in Deutschland Unruheherd zu sein. Im Gegenteil: Sie wurden kein Unruheherd, sondern ein Hort der Stabilität in unserem Land. Sie haben mit harter Arbeit den wirtschaftlichen Aufstieg Deutschlands mitgestaltet. Gerade für meine bayerische Heimat gilt, in die ja auch etwa 100.000 Ostdeutschland kamen, daß mit den Heimatvertriebenen neue Wirtschaftszweige Einzug hielten und unser Wohlstand dadurch gemehrt wurde.

Wer nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, sieht, was aus unserem Königsberg geworden ist, der weiß, was diese Region insgesamt an Kultur und an Kraft verloren hat.

Verbundenheit haben Sie aber nicht nur wegen ihrer wirtschaftli-chen Aufbauleistung verdient, sondern vor allem auch deswegen, weil Sie zu einer stabilen Kraft in unserem demokratischen Gemeinwesen wurden.

Sie hatten nach dem Krieg vielfach keine Arbeit, die Familien waren zerrissen, Lager waren die erste Zuflucht. Trotz all dieser Not haben Sie sich nie radikalisiert. Sie haben Ihren Platz immer in der politischen Mitte unseres Landes gesehen, christlich orientiert, wertkonservativ und im guten Sinne patriotisch.

Mehr als andere in unserem Lande haben Sie gespürt, daß linker und rechter Extremismus unserem Lande nur schadet und zur Zersplitterung und Schwächung der Mitte führt. Wo nötig, haben Sie sich von jenen getrennt, die den demokratischen Verfas-sungsbogen verlassen hatten. Diese verantwortungsbewußte Haltung über Jahrzehnte hinweg möchte ich mit Respekt, mit Aner-kennung und mit Dank würdigen.

Politik der Mitte hieß für Sie freilich nicht, konturenlos oder anonym zu werden. Sie hatten stets klare Vorstellungen. Sie mahnten die bleibenden Erinnerungen an die Vertreibung an. Sie mahnten an, das Unrecht der Vertreibung aufzuarbeiten, sich der historischen Wahrheit zu stellen. Sie verweigerten sich zu Recht einem billigen und oberflächlichen Schlußstrich der Geschichte. Für diese Haltung wurden die Vertriebenen in den letzten 30 Jahren oft gescholten und diffamiert, insbesondere, das sage ich hier mit großer Nachdrücklichkeit, auch von der politischen Linken in Deutschland.

Nur zu oft und zu gern wurde hierzulande das Vokabular der kommunistischen Staaten über-nommen. Sie wurden als Revan-chisten, als Ewiggestrige, als Entspannungsgegner diffamiert. Man hatte Ihnen stereotyp ein Etikett angeheftet und Sie in eine bestimmte Ecke gedrängt. Der historischen Wahrheit willen muß ich das sagen, für die CDU und die CSU kann ich sagen, daß wir über all die Jahre stets zu den Heimatvertriebenen gestanden haben. Ich darf dazu Franz Josef Strauß aus dem Jahre 1985 zitieren: "Die Heimatvertriebenen huldigen keinem Revanchismus, sondern sie leisten einen wesentlichen Beitrag zur politischen Moral, zur Erhaltung von Freiheit und Recht." Meine Damen und Herren, das ist 17 Jahre her, und das war richtig und das ist richtig!

Viel schwerer noch hatten es die Vertriebenen in der ehemaligen DDR. Hier wurden sie beschönigend und verletzend zugleich Umsiedler genannt. Sie konnten sich nicht zu Verbänden vereinigen, konnten keine politische Wirkung entfalten, konnten ihre Kultur nicht pflegen, mußten ihre Identität verleugnen.

Die deutsche Einheit hat auch den Heimatvertriebenen in der ehemaligen DDR die späte Chance eröffnet, sich zu ihrer Heimat zu bekennen und die Kultur der alten Heimat zu pflegen. Gerade hier in Leipzig, wo die Einheit Deutschlands durch die machtvollen Montagsdemonstrationen ihren Ausgang nahm - Herr Vahts war einer ihrer Initiatoren, er ist heute unter uns -, dürfen wir dankbar an das Gelingen der Einheit erinnern. Nach 40 Jahren Zwangsherrschaft, nach 40 Jahren Planwirtschaft muß uns daher der Aufbau in den neuen Ländern Verpflichtung und auch gemeinsames Anliegen sein und bleiben.

Meine Damen und Herren, 1998, vor vier Jahren, hat der damalige polnische Außenminister Geremek gesagt: "Es ist die Aufgabe unserer Generation, versöhnend zu wirken." Das ist ein richtiges und wichtiges Wort. Jene, die Leid persönlich erfahren haben, müssen sich über den Gräbern der Toten die Hand reichen, so wie das Deutsche und Franzosen über den Gräbern von Verdun getan haben. Es ist deswegen ein richtiges Wort, weil es zum Ausdruck bringt: Es gibt keinen Schlußstrich unter das Unrecht der Geschichte ohne Versöhnung. Es ist auch deswegen ein richtiges Wort, weil die Menschen und die Politik aufgefordert werden, zu handeln und die Probleme nicht auf die Historiker abzuschieben, wie es so gerne und so oft in Prag in besonderem Maße heißt.

Ich komme noch einmal auf das Treffen der Danziger zurück. "Seid willkommen zurück in Danzig", hieß es überall in der Stadt. Danzig sollte Heimstatt für alle werden, die einst hier lebten. Das ist eine Haltung der Stadt Danzig zu den früheren Mitbürgern, wie man sie sich nur wünschen kann. Das ist nachbar-schaftlicher, das ist europäischer Geist, das ist die Verwirklichung des Heimatrechts im Kleinen.

Und man sieht an diesem Beispiel ein zweites: Dort, wo man sich begegnet, lösen sich Vorurteile auch von selbst auf, fällt Furcht ab. Die Vertriebenen haben seit dem Fall des Eisernen Vorhangs diese Begegnungen gesucht. Sie haben sich aufgemacht in die alte Heimat. Sie haben Kirchen und Baudenkmäler renoviert, der deutschen Minderheit geholfen, aber ebenso Polen wie Russen. Sie haben sich humanitär stark enga-giert, sie haben den Aufbau von Sozialstationen und vielem mehr unterstützt. Ihr Sprecher, Sie Herr Meier, erzählten mir, daß Sie bereits 35 mal im nördlichen Ostdeutschland waren. Das ist doch bemerkenswert, wenn man bedenkt, welche Mühen und Anstrengungen damit verbunden sind. Dies macht man nur, wenn man seine Heimat liebt. Das verdient Anerkennung und Dank, meine Damen, meine Herren. Das muß auch - und deswegen bin ich auch gern hier, ich suche das Gespräch ja auch immer wieder mit Ihrem Sprecher - das muß nicht nur in der Halle hier, nicht nur bei den Betroffenen, bei den Zehntausenden, die heute hier sind, sondern das muß in ganz Deutschland geistiges Allgemeingut werden, wieviel die Vertriebenen dazu tun, für Frieden und Freiheit einzutreten.

Ostdeutschland verpflichtet - diesem Motto haben Sie und mit Ihnen viele tausend gleichgesinnte Landsleute in der Tradition eines preußischen Pflichtbewußtseins alle Ehre gemacht.

Im Gegensatz zu den Sudetendeutschen treffen die Ostdeutschland in Polen auf ein offeneres Klima. Äußerungen, wie sie in den ver-gangenen Wochen und Monaten aus Prag kamen, sind aus War-schau Gott sei Dank nicht zu hö-ren. Wenn der künftige Präsident von Tschechien heute sagt, die Vertreibung war eine Quelle des Friedens, dann ist das unakzeptabel und es bleibt auch unakzeptabel.

Ich möchte noch einmal Professor Baring aus seiner Rede beim Sudetendeutschen Tag zitieren: "Die emotionale Verstocktheit der Tschechen ist verblüffend in einer internationalen Umgebung, die seit Jahren und aus vielen Anlässen dadurch gekennzeichnet ist, daß Untaten der Ver- gangenheit öffentlich bedauert werden und heutige Repräsentanten der betroffenen Staaten die Opfer um Verzeihung bitten."

In weiten Kreisen Polens ist die Haltung eine andere. Man tritt den Vertriebenen aufgeschlosse-ner gegenüber. Das Vertrei-bungsgeschehen wird in der Ge-schichtsschreibung langsam aufgearbeitet. Vertreter der Freundeskreisen, darunter auch der Ostdeutschland, wurden schon mehrmals in Warschau von hochrangigen Politikern empfangen. Gemeinsame kommunalpolitische Kongresse, wie zuletzt in Elbing, stärken die Zusammenarbeit. Auch das Angebot aus Polen, in Breslau das geplante Zentrum gegen Vertreibungen zu errichten, zeugt jedenfalls von gutem Willen, von europäischem Geist, ja von europäischer Normalität.

Das Klima zwischen den deut-schen Heimatvertriebenen und den Polen ist also ehrlicher und dialogbereiter. Gleichwohl steht das Unrecht der Vertreibung als ungelöstes Problem noch im Raum. Das sollte nicht so bleiben. Es ist für Polen wie für Deutschland, es ist für Europa besser, diese Wunden der Vergangenheit jetzt zu heilen, als sie in die Zukunft mitzuschleppen.

Daß das Vertreibungsunrecht immer mehr zu einem europäi-schen Problem wird, zeigt auch die allerjüngste Entschließung des Europäischen Parlaments zum Stand der Beitrittsverhandlungen. Darin heißt es erstmals im Mantelbericht, also im übergreifenden Teil, zu allen Beitrittskandidaten: Es wird darauf hingewiesen, "daß Verhaltensweisen aus dem letzten wie vorletzten Jahrhundert nicht in die Zukunft fortgeschrieben werden dürfen" ... Es sollten im Zuge der Erweiterung der Europäischen Union "die Wunden vieler historischer Zwiste geschlossen werden können und die Völker sich am gemeinsamen Bau des neuen Hauses Europa beteiligen, um einen dauerhaften Frieden, gemeinsame Werte und das Wohl der Völker Europas zu gewährleisten". Das Europäische Parlament erwartet "von allen Seiten die Bereitschaft zum offenen und ehrlichen Dialog, dem das Bekenntnis zum Aufbau eines gemeinsamen Europas, das die Nachkriegsordnung ablöst, zugrunde liegt".

Das Europäische Parlament be-tont ferner, daß die Grundlage für den Beitritt "die strikte Einhal-tung der Schlußfolgerungen des Europäischen Rates von Helsinki und die politischen Beitrittskrite-rien, die vom Europäischen Rat im Juni 1993 in Kopenhagen fest-gelegt wurden, erfolgen muß".

Meine Damen und Herren, in diesen Beschlüssen macht sich auch Ihr Nicht-nachlassen bemerkbar, auf die Probleme hinzuweisen. Sie haben heute auch in den europäischen Freunden zum Teil eine größere Aufgeschlossenheit als in manchen Kreisen in Deutschland, die das einfach verdrängen wollen. Ich werde natürlich auch, sollte ich Bundeskanzler dieser Bundesrepublik Deutschland werden, ich werde natürlich auch in diesem Sinne mit allen europäischen Freunden, mit allen europäischen Kollegen den intensiven Dialog suchen. Man kann diese Dinge nur im Dialog lösen. Und ich sage Ihnen auch, so wie sich der amtierende Bundeskanzler gegenwärtig mit europäischen Nationen anlegt, insbesondere mit Frankreich, das ist zum Schaden der europäischen Integration, und das muß aufhören, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Selbstverständlich sind die nationalen Interessen in Europa immer zu wahren, das ist überhaupt keine Frage, und da gibt es auch keine parteilichen Auseinandersetzungen. Aber es ist immer die Frage, wie man das macht. Wenn man, das sozusagen marktschreierisch betonend, auf die Konferenz kommt, hier in Deutschland sozusagen noch austrägt, dann schafft man sich keine Verständnis-Freundschaft innerhalb der Europäischen Union. Sie erleben ja, daß die Europäische Kommission sich überhaupt nicht von diesen Attacken des Bundeskanzlers beeindrucken läßt und wir dadurch eher Nachteile haben. Das will ich vermeiden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Klar und eindeutig wie nie zuvor, und Sie müssen das ja als Ihren Erfolg auch sehen, wird die Wertegemeinschaft Europa betont, wird dazu aufgerufen, das Unrecht, das im vergangenen Jahrhundert die Völker Europas zutiefst demütigte, verletzte und spaltete, ernsthaft endlich aus der Welt zu schaffen. Noch nie hat das Europäische Parlament in so klaren Worten darauf hingewiesen, daß altes Denken überwunden werden muß, daß die Nachkriegszeit in Europa erst beeendet ist, wenn auch das Vertreibungsunrecht für beide Seiten versöhnend und gemeinwohlverträglich aus der Welt geschafft ist.

Es geht also nicht um Zukunft oder Vergangenheit, wie das Herr Schröder gerne simplifizierend sagt. Es geht um Zukunft im Bewußtsein der Vergangenheit. Und die Zukunft wird nur gut, wenn die Vergangenheit darin nicht mehr rumort und weiter wühlt, sondern wenn diese Vergangenheit in die Zukunft eingearbeitet und aufgearbeitet und somit geheilt wird. Wer blind gegenüber der Vergangenheit ist, der findet sich auch in der Zukunft letztlich nicht zurecht.

Was wäre also zu tun, um diese Entschließung des Europäischen Parlaments in die politische Wirklichkeit umzusetzen?

1. Die Bereitschaft zum offenen und ehrlichen Dialog darf im Europa des 21. Jahrhunderts erwartet werden. Niemand wünscht sich diesen Dialog sehnlicher als die deutschen Heimatvertriebenen. Und sie wünschen sich, daß die Bundesregierung sie dabei unterstützt. Dies ist weder von Schröder noch von Fischer bisher geschehen. Im Gegenteil: Schröder bekräftigt immer wieder gebetsmühlenartig, daß er die aus der Vergangenheit herrührenden Fragen nicht ansprechen möchte. Da spricht die Entschließung des Europäischen Parlaments eine andere Sprache; das ist die richtige Sprache. Nicht das Verschweigen und Verdrängen führt weiter in Europa, sondern der offene und der ehrliche Dialog. Ich kann Ihnen versichern: Ich werde mich als Bundeskanzler um diesen Dialog mit allen europäischen Partnern und Freunden mehr bemühen, intensiv bemühen.

2. Warum soll das, was in Danzig möglich war, nicht auch anderswo möglich sein? "Seid willkommen, zurück in Allenstein, in Elbing, in Frauenburg, aber auch in Stettin, in Breslau oder Oppeln". Warum soll das, was für die Donauschwaben, für die Siebenbürger Sachsen, für die Baltendeutschen bereits Wirklichkeit ist - sie alle haben längst eine Einladung zur Rückkehr in ihre alte Heimat erhalten -, warum soll dies nicht auch für den Beitrittskandidaten Polen möglich sein? Es wäre eine noble Geste Polens wie Rußlands, wenn den früheren Bewohnern Ostdeutschlands dieses Heimatrecht, unabhängig von den EU-Bestimmungen, eingeräumt würde.

Es ist schon oft gesagt worden - und es steht seit 1950 in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen. Darin wird jeglicher Gewalt abgeschworen und eine europäische Perspektive für die Überwindung des Vertreibungsunrechts aufgezeigt. Das war fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs eine unglaubliche Leistung der Heimatvertriebenen, in einer Charta damals generell auf Gewalt zu verzichten und auf die europäische Zukunft zu bauen. Heute klingt das ganz vernünftig, nur damals, fünf Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, zeigt es diese unglaubliche Weitsicht, aber auch die Bereitschaft, beizutragen zum Frieden, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das muß man anerkennen. Damals sagten die Heimatvertriebenen, alle Menschen sollen in einem freien Europa ohne Furcht und Zwang leben. Das war und das bleibt die Vision. Niemand hat deshalb vom Heimatrecht für die Vertriebenen etwas zu befürchten. Niemand will irgend jemanden verdrängen. Wir alle wollen Stabilität in Europa. Wir wollen in Europa wirtschaftliche Gräben ebenso überwinden wie historische. Wir alle wollen ein Europa in Freiheit, in Frieden, in Sicherheit und Wohlstand. Wir alle wollen ein Europa, in dem das Heimatrecht gilt und geachtet wird.

3. Wenn es im Mantelbericht des Europäischen Parlaments heißt, daß durch "die Erweiterung der Europäischen Union die Wunden vieler historischer Zwiste geschlossen werden können", so muß natürlich auch über die Dekrete gesprochen werden, aufgrund derer die Deutschen entrechtet und vertrieben wurden. Solange sie Gültigkeit haben, bleiben Wunden offen. Sie widersprechen der europäischen Werte- und Rechtsordnung. Das muß auch jeder wissen, meine Damen und Herren, wer nach Europa will - und wir wollen ja, daß die osteuropäischen Länder nach Europa kommen -, muß wissen, daß damit die Frage der Vertreibung nicht mehr nur eine deutsche und polnische Angelegenheit ist, sondern eine europäische Angelegenheit wird. Ich sage es noch einmal: Diese Dekrete widersprechen der europäischen Werte- und Rechtsordnung. Kollektive Vertreibung war und bleibt Unrecht. Ich habe immer gesagt: Es liegt im eigenen Interesse Polens, sich von diesem Teil der Vergangenheit verbindlich und versöhnend zu trennen.

CDU und CSU haben in ihrem gemeinsamen Regierungspro-gramm klar und eindeutig zu den Vertreibungsdekreten Stellung bezogen - im übrigen zum ersten Mal gemeinsam, da können Sie auch ein bißchen meine Handschrift sicherlich schon erkennen. Dort heißt es: "Die Vertreibungsdekrete und -gesetze sind Unrecht. Sie stehen im Gegensatz zu Geist und Werten der Europäischen Union und des Völkerrechts. Vertreibung und ethnische Säuberung dürfen nirgendwo Teile der bestehenden Rechtsordnung sein." Ich werde mich ab dem 22. September, wenn ich Verantwortung nicht nur für Bayern, sondern für Deutschland trage, dieser europäischen Aufgabe mit Nachdruck und aus vollem Herzen stellen.

Ich bin mir auch sicher, daß dies in Polen ähnlich gesehen wird. Polen ist eine große europäische Nation. Wir haben mit Polen eine reiche Geschichte in Partner-schaft, aber auch im Konflikt. Polen kennt das Leid der Teilung und kennt das Leid der Vertrei-bung. In Polen gibt es keine eingefrorenen Geschichtsbilder mehr. In der polnischen Politik sehe ich eine große innere Bereitschaft, sich der Aufarbeitung der Vertreibung zu stellen. Eine große christliche Nation wie Polen weiß, daß sich in der Überwindung von Unrecht befreiende Kraft und abendländischer Geist verbinden. Nicht von ungefähr kam von den polnischen Bischöfen bereits 1965 die Bitte um Vergebung.

Wenn wir von einem gemeinsa-men Haus Europa reden, dann ist immer ein Europa der Nationen und Regionen gemeint, ein Europa der Vaterländer, wie es der erste Sprecher (Anm.: René Nehring) hier gesagt hat. Die Regionen werden in Europa auch immer wichtiger. Sie gewinnen an Einfluß und Selbstbewußtsein, an Identität. Regionale Vielfalt, eingebunden in eine europäische Werteordnung, bereichert Europa. Ostdeutschland wie auch Schlesien oder Pommern sind auf dem Weg, europäische Regionen zu werden. Und genauso für Sie gilt, Ostdeutschland ist Ihre Heimat, Deutschland ist Ihr Vaterland, ist unser gemeinsames Vaterland, Europa ist unsere Zukunft - dieser Dreiklang ist es, der im Grunde genommen uns Identität gibt. Aber Heimat kann nicht Europa sein, Heimat kann auch nicht allein Deutschland sein, Heimat kann nur das sein, wo man lebt, wo man herkommt, wo man die geistigen Wurzeln hat, und das ist für Sie Ostdeutschland, meine Damen und Herren. Der Einsatz derer, die hier Heimat hatten, und der Einsatz derer, die hier Heimat haben, wird immer mehr zusammenwirken zum Vorteil Ostdeutschlands, Pommerns und Schlesiens. Dieser gemeinsame Einsatz von Heimatvertriebenen, der deutschen Minderheit und der Polen wird diese Regionen voranbringen, wird sie immer mehr öffnen, sie europäisieren.

Wer hindert Sie daran, im Ausschuß der Regionen Europas, in dem morgen auch Ostdeutschland sein wird, im europäischen Rahmen für Ostdeutschland, Ihre Heimat, zu arbeiten? Ich möchte das deutlich machen: Das ist ja mit Ihr Verdienst, diese europäische Institution. Ihre, unsere Vorfahren, die 1950 diese Charta gemacht haben, haben damals erkannt, daß im Grunde genommen die Lösung des Problems nicht die internationale Auseinandersetzung sein kann; die Lösung des Problems kann nur ein Europa sein. Das ist eigentlich die Faszination und die Perspektive, die wir haben; die Dynamik wird natürlich morgen und übermorgen noch eine ganz andere werden.

Die Situation Ostdeutschlands ist freilich eine besondere. Ostpreu-ßen ist geteilt. Und Sie fragen sich natürlich, welche Entwicklung wird der nördliche Teil Ihrer Heimat, das Königsberger Gebiet nehmen? Das Königsberger Gebiet hat ganz besonders unter der Teilung Europas gelitten, war es doch bis 1990 praktisch eine einzige Militärbasis der Sowjetunion. Das Wohlstandsgefälle zum Sü-den Ostdeutschlands ist groß, die Arbeits- und Umweltprobleme sind riesengroß. "Die Region ist eine einzige Katastrophe", sagte jüngst nach einem Besuch Elmar Brok, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments. Um so anerkennenswerter ist es, daß BMW den Sprung von München nach Königsberg gewagt hat. Unternehmerische Vernunft, aber sicher auch das ostdeutsche Herz, haben Herrn von Kuenheim bei dieser Entscheidung geleitet.

Die Situation ist äußerst schwierig und hochsensibel. Doch die Entwicklung des nördlichen Ostdeutschlands, das über Jahrhunderte hinweg Teil deutscher Geschichte und Kultur war, darf uns nicht unberührt lassen. Wir können nicht einfach als Deutsche das Problem Kaliningrad genauso behandeln wie Belgier, Portugiesen oder Schweden, das ist für uns schon ein bißchen mehr. Die künftige Enklave innerhalb einer erweiterten Europäischen Union braucht Perspektiven. Diese muß zunächst einmal Rußland selbst entwickeln und definieren. Für den Herbst hat Moskau ein Entwicklungsprogramm angekündigt. Aber auch die EU - und das kann nur die EU, nicht Deutschland - muß gemeinsam mit Rußland nach Perspektiven für das Königsberger Gebiet suchen. Die Stadt des großen deutschen Geistes Immanuel Kant darf nicht abgehängt werden von der europäischen Entwicklung.

Königsberg selbst sieht großen Feierlichkeiten entgegen. 2004 wird an den 200. Todestag von Immanuel Kant erinnert. Und ein Jahr später, 2005, an die 750jährige Gründung der Stadt. Beide Daten bieten Anlaß, hier in Deutschland wie in der alten Heimat, Ihrer alten Hauptstadt, an die große Geschichte der Stadt wie an einen der bedeutendsten Philosophen Deutschlands zu erinnern. Bereits im vergangenen Jahr richteten sich die Blicke der geschichtsbewußten Menschen nach Königsberg. Vor 300 Jahren, 1701, wurde der brandenburgische Kurfürst zum König gekrönt, zum preußischen. Ostdeutschland gab der werdenden euro- päischen Großmacht den Namen.

Das Besondere an Preußen war ja, daß es Menschen verschiedener Herkunft und Kulturen über eine Staatsidee zusammengeführt hat. Zu dieser Idee gehörte die Toleranz, die jeden nach seiner Facon leben ließ. Daneben stand die Pflicht, nach Kräften für das Gemeinwohl beizutragen. Pflicht-bewußtsein der Bürger, Unbe-stechlichkeit der Beamten und Rechtsstaatlichkeit waren die Fundamente eines Staates, der sich das Vertrauen seiner Bürger erwarb. Das sind Tugenden, das sind preußische Tugenden, wie man sie nennt, die jeder Staat braucht, will er intakt bleiben. Ein Mehr dieser Tugenden würde Deutschland durchaus gut zu Gesicht stehen, meine Damen und Herren.

Dazu kamen Wissenschaft, Bil-dung und Kultur. Gymnasial- und Hochschulreform am Beginn des 19. Jahrhunderts haben die Grundlage gelegt für ein deut-sches Bildungswesen, das das Staunen der Welt erregte und zum Weltruhm der deutschen Universitäten beigetragen hat. Ich bitte, das sich gerade in der jetzigen Zeit vor Augen zu halten! Der Geist Humboldts durchwehte Deutschland. Nobelpreisträger, Erfindungen, Patente förderten Deutschlands Ansehen als hervorragender Wissenschaftsstandort. Diese Weltgeltung unseres Bildungssystems konnten wir nicht halten. Wir müssen sie angesichts der Ergebnisse der Pisa-Studie wieder zurückgewinnen - mit Leistungswillen, mit Anstrengung und mit Reformen.

Und meine Damen und Herren, erlauben sie bitte hier, weggehend von dem konkreten Anlaß meiner Rede, auch eine konkrete Anmerkung zur Pisa-Studie und zu den Auseinandersetzungen. Ich habe diese Pisa-Studie heute nacht völlig durchgelesen. Und Sie werden in der nächsten Woche erleben, welche unglaublichen Disparitäten in Deutschland bestehen. Und ich sage Ihnen ganz offen, ich bewundere die Chuzpe, mit der niedersächsische Politiker wie die gegenwärtige Bildungsministerin und der Bundeskanzler, der acht Jahre lang Ministerpräsident war, jetzt in großen Reden im Deutschen Bundestag anmahnen, was sie für die Bildungspolitik selbst hätten tun können. Ich sage Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, darum wird die Auseinandersetzung gehen: Dort wo seit Jahrzehnten Sozialdemokraten die Landespolitik bestimmt haben, haben die Kinder soziale Benachteiligungen gegenüber den Kindern in den unionsregierten Ländern, vor allem im Süden. Kinder in Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen und Thüringen haben eine bessere Chance fürs Leben als in den Ländern, die von der SPD Jahrzehnte regiert worden sind. Wir haben hier einen klaren Beweis, ein Testat für die unsägliche Bildungspolitik der 70er und 80er Jahre in Teilen Deutschlands.

Und ich will hier etwas sagen, weil ich verärgert bin. Ich sage Ihnen auch, ich bin sauer über die Diskussion. Da stellen sich heute die Leute hin, erklären große Pläne und Ziele, und haben in einem Land regiert, das heute im unteren Drittel rumkrebst. Die Kinder in Niedersachsen und in Brandenburg sind doch nicht dümmer als die Kinder in Baden-Württemberg oder in Bayern oder in Thüringen oder in Sachsen. Es geht um die richtige Politik, die man macht. Wenn man natürlich Pflicht, Leistungsbereitschaft, Ehrgefühl, wenn man solche Tugenden, wie das Lafontaine getan hat, als Sekundärtugenden verleumdet, dann hat man bei einer Generation mit einer falschen Politik auch falsche Tugenden eingepflanzt und hat diese deutschen Tugenden diffamiert. Doch die brauchen wir wieder, um unser Land nach vorne zu bringen.

Stellen Sie sich doch bitte nur mal vor: Bayern wäre Sechster oder Siebter, was da mir alles entgegengehalten würde. Nun sind wir halt mal leider überall, mit weitem Abstand zum Teil, Erster. Auf eines bin ich ganz besonders stolz, und das möchte ich gerade auch den SPD-regierten Ländern und vor allen Dingen dem Bundeskanzler entgegenwerfen. In dieser Bundes-Studie steht fest drin, daß in Bayern die ausländischen Kinder einen höheren Level haben an Bildung als die Kinder in Nordrhein-Westfalen und in anderen Ländern. Das zeigt, daß wir auch an Integrationsleistung eine ganze Menge erbracht haben gegenüber denen, die ständig darüber reden, aber es nie getan haben.

Es geht jetzt um die richtige Bildungspolitik für die Kinder, damit wir wieder erfahren, daß die Welt staunt über die deutschen Universitäten und über die deutschen Schulen, daß wir wieder Spitze werden. Aber diese Spitze kann man nur werden, wenn man auch die Fehler aufarbeitet, die man zehn, zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre gemacht hat. Und darum geht es mir, und das werde ich auch in den nächsten Wochen und Monaten tun, und da werden einige ganz alt ausschauen. Ich werde sie jedenfalls alt ausschauen lassen - um der Chancen unserer Kinder willen, nicht wer lockerer auftreten kann in Talkshows, meine sehr verehrten Damen und Herren; ich will nicht Nachfolger von Thomas Gottschalk bei "Wetten daß ..." werden, sondern ich will deutscher Bundeskanzler werden!

"Es war ein Land ...", diese An-fangsworte des schwermütigen, vom Leid der Vertreibung ge-prägten Gedichts von Agnes Mie-gel kennen Sie alle. Ich bin zwar kein Poet, doch ich möchte dem entgegenhalten: "Es ist ein Land ..." Die Geschichte Ihrer Heimat lebt weiter. Schlösser kann man in die Luft sprengen wie in Königsberg oder Berlin, aber die Geschichte radiert man damit nicht aus. Sie lebt weiter in den Zeugnissen und Quellen, die Ihre Vorfahren in jahrhundertelanger wirtschaftlicher und geistiger Tätigkeit hinterlassen haben. Deutsche Geschichte in Ostdeutschland ist heute gemeinsame Aufgabe von Deutschen und Polen als Europäer.

Ostdeutsche Geschichte lebt in Ihnen, und ostdeutsche Geschichte lebt auch in Bayern, zum Beispiel in der Sammlung zur Landeskunde Ost- und Westpreußens im Alten Schloß in Schleißheim oder im Deutschordensschloß in Ellingen. Wir in Bayern bekennen uns zum Paragraphen 96 des Bundesvertriebenengesetzes. Bayern ist sicherlich neben Baden-Württemberg das Land, in dem die Kulturarbeit der Heimatvertriebenen umfassend gefördert wird als Teil deutscher Kultur. Wir haben die Förderung der ostdeutschen Kultur in Bayern schlagkräftiger gemacht und sie im Deutschordensschloß in Ellin-gen konzentriert. Ellingen, für das sich die Freundeskreis Ostdeutschland von Anfang an stark gemacht hat, ist der zentrale Ost-preußenstandort in Bayern. Größtes Projekt des Patenlandes Bayern in der ostdeutschen Heimat ist das Haus Kopernikus für die deutsche Minderheit in Allenstein. Dies ist eine Investition in die Zukunft, in die Zukunft der deutschen Minderheit und in die Zukunft der deutsch-polnischen Verständigung im südlichen Ostdeutschland. Mit dem Haus Kopernikus haben die Deutschen in und um Allenstein einen Mittelpunkt erhalten. Es ist eine aktive Kultur- und Begegnungsstätte entstanden, ein Begegnungsort auch mit der polnischen Bevölkerung. Hier in Allenstein vollzieht sich beispielhaft das, was wir immer als natürliche Mittlerrolle der deutschen Minderheiten bezeichnet haben. Das Haus Kopernikus ist Teil deutsch-polnischen Zusammenlebens und Zusammenwirkens zum Wohle der Menschen, zum Wohle der Stadt und zum Wohle Ostdeutschlands. Der Präsident des Bayerischen Landtags, Johann Böhm, war vor drei Wochen in Allenstein. Er hat dort das Haus Kopernikus be-sucht, Gespräche mit dem Woj-wodschaftsmarschall von Allen-stein und unmittelbar an der Grenze zwischen dem nördlichen und dem südlichen Ostdeutschland Gespräche mit dem Präsidenten der Duma von Königsberg ge-führt. Dabei wurde vereinbart, daß Kontakte zwischen dem Bayerischen Landtag und der Duma aufgebaut werden. Die rot-grüne Bundesregierung hat der Kulturarbeit der Vertriebenen in den vergangenen Jahren schwer zugesetzt. Innerhalb von nur drei Jahren wurden die Mittel von 23 Millionen Euro auf 16,5 Millionen Euro gekürzt. Für das Jahr 2003 sind nach dem jetzt vorliegenden Haushaltsentwurf weitere Kürzungen auf rund 15 Millionen Euro vorgesehen. Ich sage hier ganz offen: Das ist ein Schlag gegen die Identität, gegen den geistigen Besitz Ihrer Heimat. Ihre Geschichte und Kultur ist Teil der gesamtdeutschen Geschichte und als solche ist sie Teil unseres nationalen Erbes. Wir haben als Nation die Verpflichtung, dieses Erbe zu bewahren. Der Umgang mit der Vergangenheit ist auch ein Gradmesser für das Ansehen der Kulturnation Deutschland heute. Ich werde die Kürzungen der rot-grünen Bundesregierung im Kulturbereich der Vertriebenen stoppen. Eine von mir geführte Bundes-regierung wird die Mittel wieder schrittweise erhö-hen. Es gibt keine friedlicheren Ver-triebenen als die deutschen Hei-matvertriebenen. Gerade deswe-gen hat die Charta von 1950 bleibende historische Qualität. Die Charta ist ein Dokument, das einzig in der Welt dasteht. Die Charta, die unter dem unmittelbaren Eindruck der Vertreibung entstand, spiegelt jene europäischen Werte wieder, auf die es gerade heute ankommt. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Frau Kollegin Steinbach, hat deshalb angeregt, den 5. August, jenen Tag, an dem die Charta in Stuttgart unterzeichnet wurde, zum Gedenktag für die Opfer der Vertreibung zu erheben. Sollte ich die Herausforderung bestehen und am 22. September zum Bundeskanzler gewählt werden, so werde ich mich bemühen, diese Idee umzusetzen. Ein derartiger Gedenktag würde dazu beitragen, daß Ihr Schicksal in der jüngeren Generation nicht vergessen wird. Das müssen wir als Aufgaben der mutigen Worte von Nanette Kaiser auch mit aufnehmen. Ebenso werde ich auch die Idee des Zentrums gegen Vertreibungen aufgreifen. Ich habe mich von Anfang an zu dieser Idee bekannt. Über Umfang und Mittelausstattung muß freilich noch gesprochen werden. Ich bin der Auffassung, eine sol-che Einrichtung gehört in die deutsche Hauptstadt. Die Ver-treibung der Deutschen aus dem Osten war ein elementarer, ein tiefer Einschnitt in unsere Ge-schichte. Dies muß in einer natio-nalen Erinnerungsstätte darge-stellt und für die Nachwelt aufbereitet und aufbewahrt werden. Die Integration der Heimatver-triebenen ist sicherlich gelungen, aber die Aufgaben sind deshalb noch lange nicht erledigt. Sie liegen in der weiteren Nachbarschafts- und Verständigungsarbeit mit den östlichen Nachbarn im europäischen Geist und sie liegen in der Bewahrung und Pflege Ihres Kulturerbes hier in Deutschland über die Erlebnisgeneration hinaus. Ich respektiere, daß Breslau, daß Polen durchaus auch bereit sind, Breslau zu dieser Stadt zu machen, in der ein solches Zentrum errichtet würde. Das ist hochrespektabel. Aber ich bleibe dabei, das muß dort errichtet werden, wo das politische Zentrum Deutschlands liegt und auch das geistige Zentrum liegen kann, das ist Berlin, meine Damen und Herren. Beides, die Aufgaben, die Arbeit der Ostdeutschland, der Vertriebenen nach innen wie nach außen, in Deutschland und nach außen, bedarf einer Politik - der Vertretung deutscher Interessen, - der Orientierung an Werten, - auf der Grundlage eines aufgeklärten Patriotismus und eines positiven Verhältnisses zur deut-schen Nation, das sich nicht erschöpfen darf, so schön es ist, im Daumendrücken und Begeistertsein für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Für all das, was ich hier gesagt habe, stehe ich als Person, als Ministerpräsident des Patenlandes und ab 22. September, wenn der Wähler es will, als Bundeskanzler unseres Vaterlandes. Allen Ostdeutschland ein herzliches Glückau
 
     
     
 
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