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Weizsäcker bewegte sich in seiner viel beachteten Rede in den Bahnen eben dieser Geschichtspolitik, als er grundsätzlich feststellte: "Wir dürfen den 8. Mai nicht vom 30. Januar 1933 trennen." Diese mittlerweile zum Glaubenssatz erhobene Feststellung wird seither in allen Variationen wiederholt, aber sie wird deshalb nicht wahrer - auch wenn das immer weniger Menschen wissen. Wahr ist hingegen, daß der 30. Januar 1933 nicht von 1914 und 1919 - dem Beginn des Ersten Weltkrieg es und dem Versailler Vertrag - zu trennen ist. Bei der Nennung dieser Jahresdaten - oder vielmehr der Schicksalsdaten - geht es nicht etwa um historische Besserwisserei, sondern um eine fundamentale Einordnung der deutschen Geschichte in den europäischen Kontext im 20. Jahrhundert. Mehr noch: Es geht um die Korrektur eines ganzen Geschichtsbildes, das uns von außen - und mittlerweile auch von innen - zu bestimmten Zwecken auferlegt wurde und noch wird. Die Korrektur solcher Geschichtsbilder - selbst wenn diese aufgrund neuer, zweifelsfreier Fakten erfolgt - wird immer dann als "Revisionismus" verurteilt, wenn damit politische Weltbilder und ideologische Herrschaftsansprüche in Gefahr geraten. Der Verzicht auf solche neuen historischen Forschungserkenntnisse bedeutet jedoch das Ende dieser Wissenschaft und den Beginn ihrer Transformation in die Theologie oder vulgär in die Ideologie. Dieses Stadium haben nicht wenige Autoren und ihre Publikationen bei uns erreicht.
Daß insbesondere nach verlorenen Kriegen Tatsachen manipuliert und verfälscht werden, das mögen zwei Zitate zweier sehr unterschiedlicher Autoren veranschaulichen. Erstens Bertolt Brecht: "Immer noch schreibt der Sieger die Geschichte des Besiegten. Dem Erschlagenen entstellt der Schläger die Züge. Aus der Welt geht der Schwächere und zurück bleibt die Lüge." Zweitens der amerikanische Publizist und Politiker Patrick A. Buchanan: "Die Welt weiß alles, was die Deutschen getan haben. Die Welt weiß nichts von dem, was den Deutschen angetan wurde." Buchanan war übrigens zu vornehm, um zugleich zu erwähnen, daß es auch die Deutschen selbst seien, die nichts von dem an ihnen verübten Unrecht wissen wollen beziehungsweise diesen Zustand des Nichtwissens, also letztlich den der eigenen Desinformation, selber aufrechterhalten. Wie die Herbeiführung von zunächst Lüge und dann Vergessen funktioniert, das hat gleichfalls ein Amerikaner beschrieben. Mit Blick auf Deutschland in der Nachkriegszeit sagte der bekannte Publizist Walter Lippmann zu den Zielen der "re-education", der "Umerziehung": Der Sieg über ein Land sei erst dann vollständig, wenn die Kriegspropaganda der Sieger Eingang in die Schulbücher des besiegten Landes gefunden hat und sie von den nachfolgenden Generationen als unbestreitbare Wahrheit geglaubt wird. Diesen Zustand volkspädagogischer Geschichtspolitik oder geschichtspolitischer Volkspädagogik haben wir seit langem erreicht.
Dagegen befanden britische Politiker und Wissenschaftler schon seit längerem, daß die Westmächte einen "30jährigen Krieg gegen Deutschland" geführt hätten - das heißt, daß 1914 zu 1945 führte, ohne das Jahr 1933 als entscheidende Zäsur dazwischen. Die Erinnerungsfähigkeit - und man muß in diesem Fall sagen: die Fairneß - der Briten reicht also etwas weiter zurück, vor die Zeitmauer der sogenannten Machtergreifung. Der Historiker Fritz Fischer hatte zwar Anfang der 60er Jahre versucht, eine dominierende Rolle Deutschlands beim Kriegsausbruch 1914 zu konstruieren ("Griff nach der Weltmacht"), aber die Briten sind hier weitaus zurückhaltender. Und sie haben auch jeden Grund dazu, selbst wenn man nur die europäische Geschichte betrachtet. Dabei geht es nicht nur um die gezielte britische Einkreisungspolitik gegen Deutschland von 1914 - sowohl politisch wie militärisch - mit Hilfe Frankreichs, das seit 40 Jahren ununterbrochen Revanche, das heißt den Krieg mit Deutschland forderte, sondern auch mit Hilfe des antidemokratischen, imperialen Rußland. Diese Politik wiederholte sich vor und während des Zweiten Weltkrieges. Was die verfälschte, manipulierte Erinnerung an jene Epoche betrifft, die Ernst Nolte als die des "Europäischen Bürgerkrieges" bezeichnete, so sei dies kurz anhand von drei zeitgeschichtlichen Begriffen illustriert, die bis heute unser historisches Bewußtsein ganz entscheidend prägen. Hier geht es nicht um die "Kunst des Erinnerns", sondern im Gegenteil um die des Fälschens. Es sind dies die Begriffe "Friedensvertrag von Versailles", die "Anti-Hitler-Koalition" und das "Potsdamer Abkommen". Sie betreffen die Zwischenkriegszeit, den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit, also jenen mehr als zweiten "30jährigen Krieg gegen Deutschland". Wie sehr die Erforschung dieses zeitlichen Terrains nach wie vor tabuisiert, ja geradezu vermint ist - und dies ausgerechnet von uns Deutschen selbst zu unserem eigenen Schaden -, das zeigen unter anderem die strikt ablehnenden Reaktionen auf die Bücher von Gerd Schultze-Rhonhof "1939 - Der Krieg, der viele Väter hatte", und von Stefan Scheil: "Fünf plus Zwei. Die europäischen Nationalstaaten, die Weltmächte und die vereinte Entfesselung des Zweiten Weltkrieges". Hier nur sehr kurz eine Demaskierung jener drei Begriffe. Erstens: Der Versailler Vertrag - in unseren Geschichtsbüchern nach wie vor irreführend als "Friedensvertrag" bezeichnet - war, in Umkehrung der Formel von Clausewitz, eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. In der Weimarer Republik hatte man dies durchaus noch so gesehen, und selbst der französische Ministerpräsident Clemenceau hatte diesen "Vertrag" so charakterisiert. Der "polnische Korridor" wie auch die Annektion des Sudetenlandes durch die Tschechoslowakei waren faktisch Kriegserklärungen von Kleinstaaten an die europäische Zentralmacht. Jeder andere größere europäische Staat hätte jedenfalls solche völkerrechtswidrigen, militanten Maßnahmen gegen sich so verstanden. Polen galt im übrigen damals - ganz im Gegensatz zu seiner bis heute anhaltenden Geschichtspropaganda - in den 20er Jahren als der aggressivste Staat Europas, der sogleich nach seiner Wiedergründung - unter anderem durch das Deutsche Reich selbst - mit jedem seiner Nachbarn den politischen oder militärischen Konflikt zwecks weiteren Landraubs suchte. Man denke nur an seinen unprovozierten Angriffskrieg gegen die noch junge Sowjetunion und das riesige, von Polen im Osten eroberte Gebiet, dessen Wiederherausgabe 1945 die Begründung für Polens sogenannte "Westverschiebung" und die Vertreibung von über neun Millionen Deutschen wurde. Eine Argumentation, die bis heute bei uns geglaubt wird. Ähnlich ist es mit der Tschechischen Republik und den Benesch-Dekreten. Eine gute Nachbarschaft, die wir alle wollen, wird durch eine solche zutiefst unwahrhaftige Geschichtspolitik sehr erschwert.
Zweitens: Die sogenannte "Anti-Hitler-Koalition". Sie war das Bündnis von zwei Demokratien mit einer Diktatur, welche nichts weniger als die Vernichtung eben dieser Demokratien zum Programm hatte, und mit einem Diktator, dessen Verbrechen diejenigen Hitlers bei weitem überstiegen. Und eine dieser Demokratien hatte den Krieg erklärt, weil die Deutschen dasjenige Unrecht beheben wollten, welches diese Demokratie zuvor selbst herbeigeführt hatte. Von den geradezu ungeheuren Kriegs- und Nachkriegsverbrechen beider Demokratien gemeinsam mit jener Diktatur ganz zu schweigen. Das alles verbirgt sich also in Wahrheit hinter diesem scheinbar so positiven, "antifaschistischen" Begriff für die "Wiederherstellung von Freiheit".
Drittens: Das "Potsdamer Abkommen". Mit diesem geradezu skandalös verharmlosenden, bürokratischen Terminus werden Nachkriegsverbrechen verdeckt, die in ihrer Art einzigartig sind - es geht hier um die Dimension eines Völkermords sowie um den größten Landraub der neueren Geschichte. Dabei galt dieses sogenannte "Abkommen" selbst den Deutschen in der Emigration als ein Verbrechen. So verurteilte Hubertus Prinz zu Löwenstein, der Generalsekretär der American Guild for German Cultural Freedom, es mit äußerst scharfen Worten und zog eine Parallele zum Morgenthauplan: "Niemals waren Arroganz, Schamlosigkeit, Verrat von Grundsätzen, Dummheit und Schuld so eng mit einander verflochten ... Und dann reden sie von einem ,gerechten Frieden ! Das ist bewußter Betrug am amerikanischen Volk, welches all dies, wäre die ganze Wahrheit offenbar, nicht hinnehmen würde."
In jeder Hinsicht ein Beleg für die deutsche Neigung zu Extremen: Das Mitte Mai eingeweihte Holocaustmahnmal in Berlins Mitte |
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