|
Katastrophen werden von Menschen besonders dann bewußt wahrgenommen, wenn sie plötzlich, unerwartet, vor allem aber sichtbar eintreten. Die jüngsten Erdbeben in der Türkei, auf Taiwan oder die Auswirkungen riesiger Wirbelstürm sind hierfür markante Beispiele.
Katastrophen nahen aber auch schleichend, ohne sichtbare Zerstörungen. Diese sind vie heimtückischer, weil ihr tatsächliches Ausmaß von den Zeitgenosse n viel zu spä erkannt wird. Die Katastrophe, in die Deutschland und andere westliche Staate augenblicklich hineingleiten, ist eine solch schleichende. Was diese Katastrophe zudem zu einer tragischen werden läßt, ist die Ignoranz sowie die Verweigerung de verantwortlichen Politiker, sich endlich den Fakten zu stellen, die heute schon beginnen die Fundamente westlicher Gesellschaften zu erschüttern.
Die Völker in Europa befinden sich seit gut drei Jahrzehnten in einem demographische Übergangsprozeß von noch nicht abzuschätzender geschichtlicher Tragweite. Allei aufgrund der gegenwärtigen Geburtenrate könnte die Bevölkerung in den derzeit 1 Mitgliedsstaaten der EU ohne Einwanderung bis zum Jahr 2040 von etwa 370 Millionen au rund 320 Millionen absinken. In Deutschland würde sich die Bevölkerung von gegenwärti 82 Millionen auf 65 bis 70 Millionen verringern.
Ein allmähliches Absinken der Bevölkerungszahl in einem so dicht besiedelten Land wi Deutschland müßte nicht unbedingt von Nachteil sein. Aber hinter den vorausberechnete Zahlen verbirgt sich auch ein großes Gefahrenpotential. Denn allen Prognosen zufolge wir der Schrumpfprozeß der deutschen Bevölkerung auf dann noch etwa 50 Millionen von eine durch eine deutlich höhere Geburtenrate sowie infolge anhaltender Zuwanderun resultierenden drastischen Anstieg der ausländischen Wohnbevölkerung auf 15 bis 2 Millionen begleitet werden. An den Fragen, wie viele Ausländer eine Gesellschaft in de Lage ist zu integrieren und wen man auf Dauer ins Land hereinlassen will, wird man sic bei uns, aber auch in anderen westlichen Ländern, nicht mehr lange vorbeimogeln können.
Schon seit Mitte der siebziger Jahre hat die BRD eine der niedrigsten Geburten- un eine der höchsten Einwanderungsraten der Welt. Hieraus ergeben sich Problemfelder, die in kommenden Jahrhundert die politischen Entscheidungen bestimmen werden: Die deutsch Bevölkerung wird bei gleichzeitiger Alterung der Gesellschaft immer schneller schrumpfen Während sich die Deutschen seit dem Zweiten Weltkrieg über eine stetig steigend Lebenserwartung freuen können, die heute bundesweit für Frauen bei etwa 80 Jahren, fü Männer bei etwa 74 Lebensjahren liegt, sieht es am anderen Ende der Generationenkett duster aus.
Durch ein seit 30 Jahren anhaltendes Absinken der Geburtenrate um 40 Prozent, durc Geburtsverweigerung und verstärkt durch die Tatsache, daß Frauen immer älter werden ehe sie zum ersten Mal ein Kind bekommen, fehlt inzwischen fast eine ganze Generatio innerhalb der deutschen Bevölkerung. Bei einer Reproduktionsrate von etwa 60 Prozent, in den mitteldeutschen Ländern seit der Wende bei erschreckenden 40 bis 50 Prozent, gibt e unter der Deutschen schon seit den 70er Jahren einen deutlichen Sterbeüberschuß.
Andererseits fand eine in der Welt wohl einmalige Masseneinwanderung von Ausländer nach Deutschland statt. Die Integrationsprobleme insbesondere bei kulturfernen Ausländer mit nichtchristlicher Religionszugehörigkeit sind heute schon gewaltig. In den nächste Jahrzehnten werden sie möglicherweise dramatisch anwachsen.
In einem Beitrag für die "FAZ" zu Anfang dieses Jahres hat de Geschäftsführende Direktor des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpoliti an der Universität Bielefeld, Professor Herwig Birg, die durch die gravierende demographischen Veränderungen entstehenden Herausforderungen für unsere unmittelbar Zukunft in finstere Worte gekleidet: "Wenn die Probleme der Bevölkerungsentwicklun weiter verdrängt, tabuisiert und ignoriert werden, dann könnten unsere Nachkommen in 5 Jahren auf diese Praxis vielleicht einmal mit einem ähnlichen Entsetzen zurückblicke wie wir heute auf unsere Vergangenheit in diesem Jahrhundert."
Schon heute seien zwei fundamentale Ziele der Demokratie gefährdet, nämlich das Zie der sozialen Gerechtigkeit und jenes der Stabilität und friedlichen Entwicklung in Inneren. So sei die Funktionsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme durch die demographische Alterung der Gesellschaft in Frage gestellt. Eine steigende Lebenserwartun und die gegenläufig dazu immer schneller abnehmende Zahl von Menschen jungen un mittleren Alters könnte die sozialen Sicherungssysteme zusammenbrechen lassen. Die inner Stabilität werde durch die "massenhafte, nicht kontingentierte Einwanderung aus de Ausland gefährdet, auch durch die Ablehnung von Auswahlkriterien, die die Interesse unseres Landes besser berücksichtigen".
Tatsächlich hat kein anderer Staat der Welt so viele Ausländer aufgenommen wie die Bundesrepublik. Nach der Anwerbephase von Gastarbeitern ab 1955 gilt seit 1973 zwar ei Anwerbestop, um den Zuzug von Ausländern nicht zusätzlich zu fördern. Die Zuwanderun wurde dadurch allerdings nicht unterbunden. Mit Ausnahme einer kurzen Phase Mitte der 80e Jahre ist die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer kontinuierlich angestiegen. Sei Antritt der Regierung Kohl im Herbst 1982 hat sie sich praktisch auf etwa acht Millione verdoppelt. Hinzu kommen mehr als zwei Millionen Aussiedler mit deutschem Paß, imme seltener aber mit deutschen Vorfahren.
Wohl kaum ein anderes Land der Erde dürfte es Ausländern ähnlich einfach machen unter Inanspruchnahme der Sozialsysteme zuzuwandern, wie es Deutschland tut. Es gib zahlreiche Möglichkeiten, dauerhaft oder wenigstens für eine gewisse Zeit in unser Lan zu gelangen: Famili-enzusammenführung, Aussiedler-, Bürgerkriegs- ode Kontingentflüchtlingsstatus, Asylantrag. Von Auswahlkriterien, wie sie andere Staate selbstverständlich anwenden, ist dabei nie die Rede. So kann es auch nicht verwundern daß Deutschland trotz des sogenannten Asylkompromisses von 1993 mit seiner Flughafen- un Drittstaatenregelung mit jährlich durchschnittlich 100 000 Personen nach wie vor die meisten Asylbewerber innerhalb aller EU-Staaten aufnimmt. Und obgleich etwa 95 Prozen aller Asylanträge regelmäßig abgelehnt werden, erhält die Mehrheit der abgelehnte Antragsteller dennoch eine Aufenthaltsgenehmigung oder wird geduldet, auch wenn dies rechtlich zur Ausreise verpflichtet sind.
Deutschland ist dadurch seit Jahrzehnten zu einem unerklärten Einwanderungslan geworden, schon mitten in dem Prozeß, eine mulitkulturelle Gesellschaft zu werden. Die ausländische Einwohnerzahl und deren Anteil an der Gesamtbevölkerung hat steti zugenommen. 1961 hatten Ausländer einen Anteil von etwa einem Prozent an de Wohnbevölkerung, 1990 mit etwa sechs Millionen lag er bei rund 8,5 Prozent. De anhaltende Zuzug und die hohen Geburtenzahlen ließen diesen Anteil bei gleichzeitige leichten Absinken der deutschen Bevölkerung auf inzwischen 7,5 Millionen ansteigen. I Städten wie Frankfurt am Main, Offenbach, Mannheim, Stuttgart oder München liegt de Ausländeranteil schon zwischen 25 und 30 Prozent.
Ob das erklärte Ziel der Herstellung einer friedlichen multikulturellen Gesellschaf in Deutschland gelingen wird, muß angesichts der parallel zunehmenden Globalisierun ernsthaft bezweifelt werden. Bei intensiver Alterung einer Gesellschaft steht letztlic die Solidargemeinschaft als ganzes auf dem Spiel. Denn zunehmend erweisen sich die Produktionsnebenkosten zur Aufrechterhaltung der sozialen Sicherungssysteme als ein Belastung des Industriestaates Deutschland im internationalen Wettbewerb. Die demographische Alterung der Deutschen wird sich auf alle Sicherungssysteme zwangsläufi kostensteigernd auswirken. Dadurch werden jedoch die zur Verfügung stehenden finanzielle Mittel für die Eingliederung der Zuwanderer durch Hilfsmaßnahmen aller Art imme knapper. Schon heute ist deshalb klar ersichtlich, daß die Anforderungen an die Solidarbereitschaft und -fähigkeit eher steigen als abnehmen werden. Werden abe Ausländer künftig diese spürbaren Belastungen durch Solidarleistungen erbringen könne oder wollen?
Bevölkerungspolitik wird in Deutschland nicht betrieben. Die westliche Gesellschaf ist auf das Individuum ausgerichtet. Gegenüber einer wie auch immer definierte "Selbstverwirklichung" bleibt Nachwuchs häufig auf der Strecke. Durch wachsend Individualisierungs- und Polarisierungstendenzen verfestigen sich die Lebensforme zusehends stärker in drei Richtungen: hin zu familienorientierten Paaren individualisierten Paaren ohne Kinder und berufsorientierten Alleinlebenden.
In den alten Bundesländern hat sich die Zahl der Alleinstehenden zwischen 25 und 4 Jahren seit 1972 verdreifacht. Anfang der 90er Jahre lebten 20 Prozent der 25- bi 35jährigen allein. Ein anderer Teil lebt in nichtehelichen oder eheliche Zwei-Personen-Haushalten mit starker Berufsorientierung und häufiger dauerhafte Kinderlosigkeit. Die Zahl der nichtehelichen Lebensgemeinschaften junger Leute übertriff dabei noch den Zuwachs, der bei Alleinstehenden zu registrieren ist. Dabei ist ebenfall eine zunehmende Kinderlosigkeit feststellbar.
Doch selbst bei Paaren und alleinlebenden Personen mit Kinderwunsch hat sich da Geburtenverhalten signifikant verändert. So verschieben jüngere Frauenjahrgäng vermehrt die Geburt ihrer Kinder auf spätere Altersphasen. Bei der Geburt des erste Kindes sind deutsche Frauen heute durchschnittlich älter als 28 Jahre. Mütter von heut sind aber nicht nur deutlich älter als die Müttergenerationen vor ihnen, sie haben auc wesentlich weniger Kinder. Von einer Generation zur nächsten beträgt der Rückgang de Kinderzahlen durchschnittlich 25 Prozent. Brachte beispielsweise der Frauenjahrgang 193 noch 2080 Kinder bezogen auf 1000 Frauen zur Welt, so waren es schon beim Altersjahrgan 1955 nur noch 1680.
Der dramatische Rückgang der Geburten in Deutschland und anderen europäischen Staate ist jedoch nicht allein auf die sinkenden Geburtenzahlen je Frau zurückzuführen. Noc stärker wirkt sich aus, daß inzwischen fast 30 Prozent aller Frauen zeitlebens au Kinder verzichten. Auf diesem hohen Anteil beruht der niedrige Durchschnitt von 1, Kindern je Frau in Deutschland. Er rührt aber auch daher, daß in Deutschland jährlic über 130 000 Schwangerschaften durch Zerstückeln oder Absaugen des Embryo abgebrochen werden. Die Zahlen sind nüchtern und erschreckend konstant. 1996 130 889, 1997: 130 890, 1998: 131 795. Auf fünf Geburten erfolgt ein Abtreibung. In den Großstädten und in allen fünf mitteldeutschen Ländern liegt die Zahl der Abtreibungen bezogen auf 1000 Geburten bei 30 bis 40 Prozent. Auf die 90er Jahr hochgerechnet bedeutet dies eine Gesamtzahl von mehr als 1 000 00 "Abbrüchen". Das grundsätzlich verbriefte Recht auf Leben ist was die Ungeborenen betrifft durch die Gesetzgebung nahezu allein dem Willen de schwangeren Frau unterworfen worden. Eine Änderung dieser Praxis ist in Deutschland au absehbare Zeit nicht zu erwarten.
Das Treibenlassen seiner demographischen Probleme und das öffentliche Schweige darüber sei, so Professor Birg, nicht Kennzeichen einer demokratischen Gesinnung Deutschland und die anderen europäischen Staaten müßten endlich Rechenschaft darübe ablegen, ob sie die niedrige Geburtenrate so wie bisher auf Dauer einfach durc ungesteuerte Masseneinwanderung kompensieren und den sich daraus ergebenden fundamentale Wandel ihrer kulturellen Identität wirklich wollten oder ob sie das Ziel anstrebten, zu einer demographisch nachhaltigen Bevölkerungsentwicklung zurückzukehren.
Letztendlich geht es um nichts Geringeres als um die Frage, inwieweit die westliche Gesellschaften bei alternder und schrumpfender eigener Bevölkerung und gleichzeiti anhaltender Zuwanderung von Millionen Ausländern ihre Kultur und Identität werde erhalten können |
|