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Die deutschen Vertriebenen und der Irak-Krieg

 
     
 
Auf den ersten Blick mag der im Titel hergestellte Zusammenhang verwundern, doch ist er in der unterschiedlichen Mitwirkung der US-Regierenden zu verschiedenen Vorgängen seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts begründet.

Beginnen wir mit dem Irak-Krieg. Der den deutschen Heimatvertriebenen sehr verbundene US-amerikanische Völkerrechtler
Prof. Alfred Maurice de Zayas (neben zahlreichen Veröffentlichungen vgl. besonders sein 1977 in erster Auflage erschienenes Buch "Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen) rügt den anglo-amerikanischen "Präventivkrieg" gegen den Irak als völkerrechtswidrige Annexion. In verschiedenen Beiträgen, so auch in dieser Zeitung (Folge 13, Seite 3), beschreibt de Zayas die sich aus der IV. Genfer Konvention und dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes sowie dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte für die USA, Großbritannien und Spanien ergebenden Konsequenzen.

Folgt man dem Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Berthold Kohler, in seinem Leitartikel vom 10. April 2003, so "erwächst nach klassischem Völkerrecht aus der Errichtung einer Diktatur in einem Staat für andere Länder nicht das Recht, diese Herrschaftsform von außen zu beseitigen. Spätestens seit die westlichen Staaten, darunter auch Deutschland, sich aber sogar in der Pflicht sehen, bei besonders schweren Fällen von Menschenrechtsverletzungen wie Massenmord und Vertreibung notfalls auch militärisch zu intervenieren (wie im Kosovo), stellen Souveränität und Integrität eines Staates keine unüberwindbaren Grenzen für das Handeln anderer Völkerrechtssubjekte mehr dar, insbesondere wenn, wie im Fall Saddam Husseins, die Verbrechen unstrittig sind."

So beurteilt Prof. Wolfgang Seiffert, vielfach als Referent und in wissenschaftlichen Beiträgen der "Kulturstiftung der deutschen Vertrie- benen" hervorgetreten, heute am Zentrum für deutsches Recht der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, das Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten im Irak aufgrund der UN-Resolution 1441 als legitim.

Bundesaußenminister Joseph Fischer waren die aus der Vertreibung der Deutschen von 1945 sich ergebenden politischen und rechtlichen Konsequenzen so suspekt, daß er Auschwitz als Begründung für den militärischen Einsatz Deutschlands im Kosovo heranziehen mußte!

Doch wenden wir uns chronologisch vier maßgebenden Fehlverhalten der US-Regierungen im 20. Jahrhundert zu, welche die heutige Situation sehr stark verschuldet haben:

1. Der Eintritt der USA in den von Serbien und Rußland ausgelösten Ersten Weltkrieg, initiiert auch durch Frankreichs Ziel, Elsaß-Lothringen zurückzugewinnen. Beschämend war auch das Londoner Geheimabkommen von 1915 zwischen Rußland, England, Frankreich und Italien, das Italien binnen eines Monats zu einem Angriffskrieg zwecks Gewinnung von Südtirol und Triest verpflichtete. Für die Teilnahme der USA gilt das gleiche, was der britische Historiker Niall Ferguson in seinem Buch "Der falsche Krieg" (Stuttgart 1999) beschreibt: "Wären die britischen Expeditionsstreitkräfte nicht über den Kanal geschickt worden, dann hätten die Deutschen ohne Zweifel den Krieg gewonnen" (S. 395). "Wäre Großbritannien - auch nur für ein paar Wochen - im Abseits geblieben, hätte Kontinentaleuropa in etwas umgebildet werden können, das der Europäischen Union, wie wir sie heute kennen, nicht unähnlich gewesen wäre, jedoch ohne die massive Schwächung der britischen Macht in Übersee als Konsequenz der Beteiligung an zwei Weltkriegen. Vielleicht hätten sich auch der Zusammenbruch Rußlands, die Schrecken des Bürgerkriegs und der Bolschewismus vermeiden lassen" (S. 397).

2. Wahrheitswidrig mußte Deutschland mit Art. 231 des Versailler Vertrages und Deutsch-Österreich mit Art. 177 des Vertrages von Saint-Germain ein uneingeschränktes Schuldanerkenntnis unterschreiben. Aufgrund der 14 Punkte des damaligen amerikanischen Präsidenten Wilson hatten die Mittelmächte die Waffen niedergelegt, die Widersprüche zur Wirklichkeit waren eklatant und führten zu einer Entwicklung, maßgebend bestimmt durch die verheerenden Inhalte der beiden Pariser Vorortdiktate, eine Entwicklung, an deren Ende Hitler als Reichskanzler stand.

3. Trotzdem wäre 1939 der Ausbruch des Polenfeldzuges - man vergleiche mit dem Angriff auf den Irak (!) - zu verhindern gewesen, wenn die US-Regierung die ihr zugegangenen Informationen über den Inhalt des Geheimen Zusatzprotokolls zum Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt sofort der Weltöffentlichkeit mitgeteilt hätte. In diesem Zusatzprotokoll vereinbarten die beiden Diktatoren Hitler und Stalin am 23. August 1939 die Aufteilung ihrer Interessensphären in Osteuropa.

Durch den deutschen Botschaftsrat von Herwarth (unter Adenauer deutscher Botschafter in London) war die Moskauer US-Botschaft informiert worden. Am 24. August, also sieben Tage vor Kriegsausbruch, war die US-Regierung im Besitz des Geheimtelegramms. "Die Kenntnis von der geheimen Interessensphären-Aufteilung in Osteuropa mit der überaus entlarvenden Vorstellung von der ‚territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete , das heißt von einem besiegten Polen, ... hätte Roosevelt geradezu herausfordern müssen, die hinterhältige Diktatoren-Allianz öffentlich anzuprangern" (Dr. Alfred Schickel: Die reichsdeutsche Tschechen- und Ostpolitik im Spiegel amerikanischer Diplomatenberichte aus den Jahren 1937 bis 1939, Ingolstadt 1983, S. 66). Der Polenfeldzug wäre sicherlich, möglicherweise auch der Zweite Weltkrieg verhindert worden.

4. Ein besonders trauriges Kapitel für die Westmächte ist das Ausmaß ihrer Verantwortung für die Vertreibung von 15 Millionen Deutschen bei zusätzlich über zwei Millionen Toten. In seinem eingangs erwähnten Buch zitiert de Zayas den US-Außenminister James F. Byrnes vom 19. Oktober 1945: "Wir sahen ein, daß gewisse Aussiedlungen unvermeidlich waren, aber wir beabsichtigten in Potsdam nicht, zu Aussiedlungen anzuregen oder in Fällen, wo andere Regelungen praktikabel waren, Verpflichtungen einzugehen" (Foreign Relations of the United States, 1945, Bd. 2, S. 1294). De Zayas schließt sich der Auffassung an, zweifellos trügen die westlichen Mächte ihr Maß an Verantwortung für die massenweise Entwurzelung der Deutschen, aber größer sei das der Sowjetunion, Polens und der Tschechoslowakei (S. 108).

Rund 45 Jahre später zeigten sich bemerkenswerte Veränderungen in der amerikanischen Politik gegenüber Deutschland mit der Entsendung von Vernon Walters, Bonner Botschafter der USA während der 2+4-Verhandlungen. Er prägte das Wort "vom kleinsten Deutschland seit 1000 Jahren". Walters, der im bundesrepublikanischen Bonn vor dem Fall der Mauer praktisch niemanden entdeckte, der ernsthaft die Vereinigung mit Mitteldeutschland anstrebte, hat die Lage in seinem 1994 erschienenen Buch "Die Vereinigung war voraussehbar" beschrieben. Anfang 1990 weilte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, enger Vertrauter Kohls, in Washington und führte ein Gespräch mit US-Außenminister Baker. In dem Buch Schäubles "Der Vertrag" ist leider nachzulesen, daß Schäuble ohne irgendwelche Bedenken sich im Zusammenhang mit der Vereinigung für die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze samt Grenzgarantie und für die Streichung des Art. 23 Grundgesetz aussprach (s. Herbert Czaja, Unterwegs zum kleinsten Deutschland, 1996, S. 673). Folgt man den Autoren Philip Zelikow und Condoleezza Rice, beide Mitglieder im Nationalen Sicherheitsrat von Präsident George Bush, in ihrem Buch "Sternstunde der Diplomatie" (1997, amerikanische Originalausgabe 1995), so waren es die Präsidenten George Bush und Michail Gorbatschow, denen die Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland zu verdanken war, angestoßen von den Bürgern Mitteldeutschlands, die mit "Wir sind das Volk" auf die Straßen gegangen waren.

In dem von Milosevic vom Zaun gebrochenen Krieg gegen Kroatien, Slowenien und Bosnien-Herzegowina war es schließlich die militärische Unterstützung Kroatiens durch die USA, die eine Wende herbeiführte. EU-Europa sah tatenlos zu. Beim Eingreifen der NATO im Kosovo waren die USA führend. Das militärische Vorgehen war allerdings völkerrechtswidrig.

Zur Stunde, da Polen, Slowenien und Tschechien ohne Vorbehalte gegen die Menschenrechtsverbrechen von 1945 in die EU aufgenommen werden, sollten sich die Verbände der deutschen Heimatver- triebenen neu orientieren. Wenn die Vereinigten Staaten in Konsequenz ihrer Irak-Politik einen gerechten Ausgleich zwischen Israelis und Palästinensern anstreben, darf ihnen die europäische Parallele - die Vertreibung der Deutschen - nicht gleichgültig sein.

Versailles, Saint-Germain und Potsdam bedürfen einer in die Zukunft gerichteten Revision: Der "2+4-Vertrag" muß um eigenständige europäische Regionen aus den deutschen Vertreibungsgebieten ergänzt werden. Nur so könnte der Vertreibungs-Genozid geheilt und wiedergutgemacht werden.
 
     
     
 
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