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Mihajlo Ramac, Chefredakteur der Belgrader Tageszeitung "Danas", verriet in der Wahlnacht, wie sein Leitartikel vom nächsten Morgen lauten würde: "Sieg des europäischen Serbiens". Übertrieb der freundliche ältere Herr da nicht etwas?
Am 21. Januar 2007 fanden in Serbien zum siebenten Mal Parlamentswahlen statt - erstmalig in einem Serbien, das zu keiner "Bundesrepublik Jugoslawien" und zu keinem "Staatenbund Serbien-Montenegro" mehr gehört. 6653851 Wahlberechtigte sollten entscheiden, wer von den 3795 Kandidaten aus 20 Listen die 250 Sitze in der "Skupschtina" (Parlament) einnehmen wird.
Ausländische Auguren hatten den Wahlen vorab schlechteste Noten erteilt: "Schicksalswahlen" würden sie, von "nationalistischer Erhitzung" gekennzeichnet, begleitet von Kriegspropaganda um das Kosovo und mit einem Sieg der Ultranationalisten des Vojislav Seselj (Insasse des Kriegsverbrecher-Gefängnisses im Haag) und seiner "Serbischen Radikalen Partei" (SRS) endend.
Um 20 Uhr schlossen die Wahllokale, um 21 Uhr öffnete das "Serbische Fernsehen" (RTS) sein Wahlstudio, wo Demoskopen und Soziologen laufend gute Nachrichten kommentierten: Die Wahlbeteiligung war mit über 60 Prozent unerwartet hoch ("Das bestraft die Extremisten"), der Wahlkampf war erfreulich friedlich verlaufen, die Wahlkundgebungen kamen ganz ohne "historische" Reminiszenzen und "schicksalshafte" Beschwörungen aus. Das Kosovo war überhaupt kein Thema, Arbeitslosigkeit und europäische Integration dominierten, und am Ende war absehbar, daß "die Wähler die Populisten bestrafen" (wie es der Parteienforscher Milan Nikolic formulierte).
Taten sie es? Zwar hat die radikale SRS erstmalig im Kosovo verloren, aber in der Hauptstadt Belgrad zum ersten Mal die "Demokratische Partei" (DS) geschlagen. Mit 28,7 Stimmenprozenten und 81 Sitzen wurde sie zudem stärkste Partei. Na und? Mitbegründer der DS war der charismatische Zoran Djindjic (*1952), der ob seiner exzellenten Deutschkenntnisse, als Student in Konstanz erworben, Liebling deutscher Medien war. Er hat es oft genug erläutert: Wer in Serbien Reformen will, braucht Mehrheiten; wer Mehrheiten will, muß sich in "sozialen" Fragen "links" anlehnen, in "nationalen" jedoch rechts.
Djindjic wurde im März 2003 von Killern des gestürzten Milosevic-Regimes ermordet, aber seine DS hat nun ihr Stimmenaufkommen auf 22,9 Prozent und 65 Sitze fast verdoppelt und ist zweitstärkste Partei, ohne sich irgendwo deutlich "anzulehnen". Das ist das Verdienst von DS-Führer Boris Tadic, seit Juni 2004 auch Staatspräsident Serbiens, der noch in der Wahlnacht Klartext redete: Die DS will Regierungsmacht, um Serbiens Weg nach Europa zu beschleunigen, der durch eigene Schuld verschlampt wurde.
Ging das gegen den amtierenden Premier Vojislav Kostunica? Kostunica (*1944) führt die "Demokratische Partei Serbiens" (DSS) und gilt allgemein als "Nationalist". Zu Unrecht, denn im Grunde ist er ein harter Legalist, der erst Verfassung und Gesetze ordnen will, dann Reformen angehen. Einst hatte er sich mit Djindjic zerstritten, gibt sich jetzt aber versöhnlich: Serbiens neue Verfassung ist seit November 2006 unter Dach und Fach, "Systemgesetze" sind auf gutem Wege, über alles andere besteht "Konsens im Parlament".
Kostunica mußte in der Wahlnacht solche Friedensangebote machen, denn 2006 war er in die Klemme geraten: Seine Minderheitenregierung stand und fiel mit zwei Abgeordneten, sinistren Islamisten aus dem Sandshak, nachdem sie von den Ministern der wirtschaftsliberalen Partei "G17+" verlassen worden war. Deren Führer Mladjan Dinkic (*1964), exzellenter Finanzexperte (und nicht schlechterer Kopf der Rockgruppe "Währungssturz"), hatte in der Wahlnacht verkündet, daß seine Partei (6,8 Prozent, 19 Sitze) mitregieren wolle, falls Beschäftigung, Kampf gegen Korruption und EU-Integration Priorität in der Regierungspolitik hätten. Dem könnte wohl auch die "Liberal-Demokratische Partei" (LDP, 5,3 Prozent, 15 Sitze) zustimmen, in der sich die Reste der einstigen "Demokratischen Opposition Serbiens" (DOS), die im Oktober 2000 das Milosevic-Regime stürzte, gefunden haben. In der Wahlnacht traten sie als harte Gegner Kostunicas auf - aber für wie lange?
An der Fünf-Prozent-Klausel scheiterten Außenminister Vuk Draskovic und seine "Serbische Erneuerungsbewegung" (SPO) - der archaische Romancier Draskovic (*1946) hatte 2006 zuviel Kosovo-Porzellan zerschlagen, was die Wähler nicht goutierten. Knapp ins Parlament kamen Milosevics Sozialisten (SPS, 5,9 Prozent, 16 Sitze). Von Prozent-Klauseln ausgenommen waren die ethnischen und nationalen Minderheiten (Vojvodina-Ungarn, Sandshak-Muslime, Presevo-Albaner und Roma), die zusammen sieben Sitze eroberten.
Die nun folgende Regierungsbildung kann leicht werden: Mit der radikalen SRS will niemand koalieren, bleibt also der "Demokratische Block" aus DS, DSS und G17+, der über 128 Sitze verfügt, drei mehr als die nötige Mehrheit von 125, zudem noch die drei Sitze der Vojvodina-Ungarn bekommen sollte. Aber wer wird Premier? Kostunica will im Amt bleiben, die DS favorisiert Bozidar Djelic (*1965), den im In- und Ausland hochangesehenen Wirtschaftsfachmann. Da DS und DSS Neuwahlen und Minderheitsregierungen ausschließen, wird man sich zusammenraufen - zumal die bevorstehende Kosovo-Statusentscheidung ein Unsicherheitsfaktor ist: Sollte sie für Serbien extrem "ungünstig" ausfallen, gäbe das den SRS-Radikalen Auftrieb, die ihre Machtgelüste (Slogan "50 Prozent plus Deine Stimme") nicht aufgegeben haben.
Serbien steht seit drei Jahren ökonomisch gut da, ist mit seiner Reformpolitik "Primus unter allen Transitionsländern" (laut Weltbank), steht seit Ende 2006 in der "Partnerschaft für den Frieden". Seine Gespräche mit der EU um ein "Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen" (SAA) liegen zwar seit Frühjahr 2006 auf Eis, sollten aber bald wieder aufgenommen werden. Die internationale Gemeinschaft scheint einzusehen, daß balkanische Sicherheitspolitik nicht ohne oder gegen das größte slawische Land und Volk auf dem Balkan, Serbien und die Serben, zu machen ist. Das Land habe "zusätzliche Schwierigkeiten bei der Transition" zu bewältigen gehabt, sagte Premier Kostunica in der Wahlnacht, wobei er wohl an die "Geiselhaft" dachte, in welche die internationale Gemeinschaft Serbien immer wieder nimmt - vor 2000 Milosevics wegen, dann wegen der Kriegsverbrecher Karadzic und Mladic. Jetzt naht der Kosovo-Status, der den Kosovaren nur "begrenzte Souveränität" verleiht, aber dennoch im Widerspruch zur UN-Resolution 1244 vom Juni 1999 steht, die das Kosovo als Teil Serbiens definierte und die Rückkehr serbischer Polizei und Armee dorthin vorsah. Haben diese Willkürlichkeiten Serbien beeinträchtigt? "Serbien ist auf dem Weg, den ich schon 2000 prophezeite", sagte Kostunica in der Wahlnacht, "es ist eine stabile Demokratie von geradezu langweiliger Normalität".
Foto: Anhänger der radikalen SRS: In |
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