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Am 22. September sollen wir also zur Wahlurne schreiten und unsere Stimme abgeben. Doch wozu die Anstrengung? Zugegeben, unsere Vor- fahren haben für das Privileg, die uns Regierenden selber auszuwählen, lange gekämpft. Doch so mancher fragt sich, was wir eigentlich davon haben. Nicht, daß unser staatliches System an sich angezweifelt würde, aber die heutigen Repräsentanten unserer Demokratie überzeugen den Durchschnittsbürger nicht allzu sehr.
Politiker reden viel, tun nichts, pflegen ihren Wanst und ihre eigenen Interessen, haben keine Ahnung von irgend was, sind weltfremd, nicht vertrauenswürdig und maßlos überbezahlt - so oder so ähnlich sieht das (Zerr)-Bild des Politikers in der deutschen Öffentlichkeit aus. Und dies dürfte wohl auch ein gewichtiger Grund dafür sein, daß viele Wahlberechtigte die Gunst, ihre Abgeordneten zu wählen, nicht nutzen. Der Durchschnittsbürger hat den Eindruck, daß die hohen Herren in der Politik ihr Geld schlichtweg nicht wert sind.
Doch was ist dran an dieser allgemeinen Politikerverdrossenheit? Wer kann Genaueres über die Aufgaben und Aktivitäten eines Abgeordneten berichten? Die Presse? Nur bedingt, denn auch sie hat nur in bestimmte Bereiche der Politik Einblick - und nimmt auch da vorzugsweise die negativen, kritikwürdigen Dinge wahr. Man müßte einem unserer Volksvertreter einmal direkt auf die Finger schauen, einen Blick hinter die Kulissen des im Fernsehen so oft gezeigten Plenums des Deutschen Bundestages werfen können. Genau dies ermöglichte mir der hessische Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann (CDU). Eine Sit- zungswoche lang konnte ich ihn begleiten und so den Alltag eines MdB kennenlernen.
Da nur ungefähr die Hälfte der 52 Wochen im Jahr Sitzungen in Berlin sind - die verbleibende Zeit ist der Arbeit im Wahlkreis zugedacht -, wurde eine für die Arbeit eines Abgeordneten repräsentative Sitzungswoche ausgewählt.
Und so mache ich mich auf in das Zentrum der Macht, die Bundeshauptstadt Berlin. Doch schon an der Pforte zu den Abgeordnetenbüros Wilhelmstraße 68a werde ich gestoppt, denn aus Gründen der Sicherheit kommt dort noch lange nicht jeder herein. So muß ich warten, bis ich abgeholt werde. "Mein" Abgeordneter nimmt sich aber sofort meiner an und erzählt zunächst ein wenig zu seiner Person und über das Programm der nächsten vier Tage. Sein wissenschaftlicher Assistent, Gunnar Digutsch, gibt mir weitere Informationen.
Am frühen Abend begleite ich Martin Hohmann zum Treffen der CDU-Landesgruppe Hessen im Gebäude der hessischen Landesvertretung nahe dem Potsdamer Platz. Die hessische CDU hat 17 Abgeordnete im Bundestag, von denen allerdings nur vier direkt gewählt sind und die anderen erst dank der Zweitstimme über die Landesliste in den Bundestag gelangt sind. Dieses nicht gerade glorreiche Ergebnis will die CDU dieses Jahr selbstverständlich nicht wiederholen, und so wird über Möglichkeiten der Wählerakquise diskutiert.
Martin Hohmann ist vom Wahlkreis Fulda in den Bundestag entsandt worden. Er ist einer von den vier direkt Gewählten, und seine Gelassenheit läßt darauf schließen, daß er seine Chancen der Wiederwahl nicht allzu schlecht einschätzt. Aber auch bei den anderen Abgeordneten ist die Stimmung gut. Sie glauben an einen Wahlsieg der bürgerlichen Parteien.
An diesem Abend besucht Michael Spreng, der Wahlkampfmanager und Medienberater des Kanzlerkandidaten Edmund Stoiber, die hessischen Parteifreunde. Er beantwortet Fragen, bittet um Ideen und Ratschläge, wie das gesteckte Ziel auch sicher zu erreichen ist. Die Abgeordneten haben gegenüber dem hohen Besuch aus München keine Berührungsängste. Nach über drei Stunden, als der Gast diese Berliner Runde verlassen muß, ist die Liste der Wortmeldungen immer noch nicht abgearbeitet.
Am nächsten Tag trifft sich am frühen Vormittag die CDU/CSU-Arbeitsgruppe "Innenausschuß". Die Atmosphäre dort ist überraschend locker. Der Vorsitzende der Arbeitsgruppe, Erwin Marschewski, leitet die Sitzung munter, aber bestimmt. Kaffeepause? Gibt es nicht! Was besprochen werden muß, wird besprochen, denn schließlich muß man für die bevorstehende Sitzung des Innenausschusses, zu der alle im Bundestag vertretenen Parteien anteilig Abgeordnete entsenden, vorbereitet sein. Einige Abgeordnete haben viel zu sagen, einige halten sich im Hintergrund. Die verschiedensten deutschen Dialekte sind zu hören, was zwar das Zuhören ein wenig erschwert, dem ganzen aber auch einen besonderen Charme verleiht und belegt, daß hier Menschen aus allen Regionen Deutschlands sitzen. Am Ende der Diskussionen fragt Marschewski, wer denn am nächsten Tag gern im Plenum zum gerade wieder mal anstehenden Thema "Antisemitismus" reden möchte. Ich fühle mich ein wenig an die Schule erinnert, wenn der Lehrer fragt, ob jemand freiwillig ein Referat halten möchte. Auch hier ist die Begeisterung verhalten. Der eine will nicht, der andere kann aus Termingründen nicht, der Dritte hat genug von diesem Thema, der Vierte hingegen meint, die Redezeit sei viel zu knapp, um alles zu sagen, was er zu diesem Thema zu sagen hätte. So bleibt die Frage, wer sprechen wird, vorerst ungeklärt.
Sofort geht es weiter, denn die CDU/CSU-Arbeitsgruppe "Petitionsausschuß" wartet. Sie ist allerdings nicht so gut besucht wie die Arbeitsgruppe "Innenausschuß". Im Schnelldurchlauf werden alle Punkte besprochen, dann reicht die Zeit gerade für eine eilige Mahlzeit in der hausinternen Mensa. Martin Hohmann eilt zum nächsten Termin. Hier kann ich allerdings nicht mit hin, und so habe ich Gelegenheit, mir von Gunnar Digutsch die Gebäude zeigen zu lassen.
Die Abgeordnetenbüros sind alle überirdisch und unterirdisch miteinander und mit dem Reichstagsgebäude verbunden. "Hier ist dies, und hier ist jenes", höre ich nur, merke, wie ich die Orientierung verliere und die Füße zu schmerzen beginnen. Mir drängt sich die "ketzerische" Frage auf, ob die Abgeordneten Kilometergeld für die zu bewältigenden Fußmärsche erhalten.
Fraktionssitzung! Hier dürfen nur die Abgeordneten teilnehmen. Selbst die engsten Mitarbeiter haben keinen Zutritt. Vor den Sitzungssälen der verschiedenen Fraktionen im Reichstagsgebäude drängeln sich die Journalisten. Die Meute ist beson- ders wild darauf, von der FDP etwas zu erfahren - Jürgen Möllemann hat gerade mal wieder auf sich aufmerksam gemacht. Aber auch von Angela Merkel und Friedrich Merz wollen die Journalisten Aussagen zu aktuellen Themen.
Zwar bin ich als Mitarbeiterin des es / ebenfalls "Presse" - in diesem Moment bin ich aber ganz froh, mich nicht auf die mit den Fahrstühlen zu den Fraktionssälen hinauffahrenden Abgeordneten stürzen zu müssen. Aus sicherem Abstand beobachte ich die eintreffenden Politiker, erkenne bekannte Gesichter, sehe aber auch viele unbekannte (das sind wohl die legendären "Hinterbänkler"). Amüsiert stelle ich fest, daß Norbert Blüm sich in natura genauso verhält, wie man ihn vom Fernsehen her kennt, während Wolfgang Thierse, der ein wenig verspätet zur Fraktionssitzung der SPD eilt, eher wie ein verwirrter Professor wirkt.
Es summt wie in einem Bienenkorb, die vielen Politiker aller Parteien, die Journalisten und das Sicherheitspersonal wuseln durcheinander. Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft, und ich denke "Streß". Doch dann schließen sich die Türen zu den Fraktionsräumen, die Journalisten schalten ihre Kameras und Tonbandgeräte aus, legen die Mikrofone und Schreibgerät weg und fragen sich, ob sie nach den Sitzungen bessere Informationen erbeuten können.
Der Mittwochmorgen beginnt gleich mit dem Petitionsausschuß. Die insgesamt 187 Petitionen, zu denen sich die Berichterstatter der verschiedenen Parteien einig waren, werden gar nicht mehr erwähnt. Die verbleibenden zehn Bittschriften werden kurz besprochen. Da die jeweiligen Berichterstatter in der Materie drin sind, ist es schwer, den verschiedenen Themen zu folgen. Mal geht es um ein Gesuch der Innung des Fliesen-, Platten- und Mosaiklegerhandwerks zur Verbesserung der Durchsetzung ihrer Forderungen, mal um einen Antrag ausgewiesener Armenier zur Wiedereinreise nach Deutschland. Die Themengebiete sind sehr vielfältig, die Meinungen der Parteien ebenfalls.
Dennoch ist die Sitzung des Petitionsausschusses schnell beendet, und es bleibt sogar eine halbe Stunde Zeit bis zum Beginn des Innenausschusses. Hohmann holt aus seinem Leinenbeutel eine Wurststulle hervor und verspeist sie schnell auf den Gängen des Paul-Löbbe-Hauses. In der Zwischenzeit betrachte ich das Gebäude. Hoch, graue Betonwände, viel Glas, imposant, wohl auch ziemlich praktisch, aber schön?
Weiter zur Innenausschuß-Sitzung. Hier herrscht wieder eine gewisse Spannung, denn was hier entschieden wird, betrifft nicht nur einzelne Petenten, sondern die ganze Nation. Als erstes steht der Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid auf der Tagesordnung. Die ablehnende Haltung der CDU/CSU wird schon hier deutlich, aber da hier noch keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit notwendig ist, geht der Entwurf schließlich mit einfacher Mehrheit eine Entscheidungsebene weiter, ins Plenum.
Im Ausschuß werden nun Gesetzentwürfe zu den unterschiedlichsten Themen von Jugendschutz, Verbraucherschutz, Ge- werbeordnung, Geldwäsche, EU, Globalisierung, Steuern und vielem mehr angesprochen, bei Bedarf diskutiert und dann per Abstimmung abgelehnt, vertagt oder ans Bundestagsplenum weitergeleitet. Die noch recht junge Ute Vogt, Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg, leitet die Sitzung, bei der es teilweise recht temperamentvoll hergeht. Häufig stimmen SPD, Grüne und PDS gegen CDU/CSU und FDP - und umgekehrt. Der Antrag der PDS, die Gehälter im öffentlichen Dienst im Osten bis 2007 auf Westniveau zu heben, wird von allen anderen abgelehnt, die CDU/CSU reicht aber einen Antrag mit dem gleichen Ziel, der ein Jahr zuvor abgelehnt wurde, erneut ein, den nunmehr die PDS ablehnt. Vermutliche Begründung: Unterschiedliche Argumentationen und natürlich unüberbrückbare Parteigrenzen!
Martin Hohmann begibt sich zum Hubschrauber, mit dem er zur Innenministerkonferenz der Länder fliegt. Es geht um Änderungen des Waffengesetzes; der Innenpolitiker aus Hessen soll hier die Position der Bundes-CDU vertreten.
Ich besuche in der Zwischenzeit die Frage- und Antwortstunde des Deutschen Bundestages. Im Plenarsaal befinden sich nur ganz wenige Abgeordnete. Die heute aufgerufenen Fragen sind offenbar so unbedeutend, daß die weitaus meisten Abgeordneten es vorgezogen haben, sich anderen Dingen zuzuwenden. Dem schließe ich mich an.
Zurück im Büro Hohmann schaue ich dem Assistenten Digutsch und der Sekretärin Elke Freier bei der Arbeit zu. Beide sind eifrig am Schreiben und arbeiten so dem Abgeordneten zu, der zwischen all den Sitzungen nicht viel freie Zeit für seine Korrespondenz hat. Schnell wird klar, daß gerade hier mitdenkendes, gut organisierendes Personal unerläßlich ist.
Am Nachmittag ist dann die "Antisemitismus-Debatte" im Plenum, das nun allerdings recht gut gefüllt ist. Besonders die FDP ist, anteilig betrachtet, sehr stark vertreten. Die Ober-Liberalen Wolfgang Gerhard und Guido Westerwelle äußern sich zu dem Thema, während die SPD und die Grünen nur kleinere Parteigrößen antreten lassen, die dafür aber "ordentlich auf den Putz hauen". Ich halte es da eher mit dem CDU-Abgeordneten Schäuble, der zutreffend meint, man habe in diesem Lande doch Wichtigeres zu tun, als mit den Formulierungen des Herrn Möllemann wertvolle Zeit zu vergeuden.
Als der Grünenpolitiker Cem Özdemir bei seinem Wortbeitrag anfängt, mit der Faust auf das Rednerpult zu hauen, und nach dem angeblich neu erstarkten Antisemitismus nun auch noch Antiislamismus in Deutschland erkennen will, wird es mir zu bunt. Ich verlasse den Bundestag, nicht ahnend daß Özdemir dies bald auch tun wird, wenn auch in völlig anderem Sinne.
Wieder im Abgeordnetenbüro angekommen, treffe ich auf Martin Hohmann, der gerade aus Bremerhaven zurück ist und nun schnell noch eine Presseerklärung zu den Ergebnissen der Innenministerkonferenz verfaßt. Eigentlich sollten wir bereits um 18 Uhr zum Sommerfest der hessischen Landesregierung gegangen sein, doch müssen erst noch mit Hilfe des Assistenten Hohmanns kritische Worte zu den Unstimmigkeiten des Waffengesetzes formuliert und versandt werden. Erst als dies vollbracht ist, entspannen sich Hohmanns Gesichtzüge wieder. Jetzt, mit eineinhalb Stunden Verspätung, nach Beginn des Sommerfestes, kann man sich nach getaner Arbeit endlich auf dem Sommerfest vergnügen.
Irrtum! Kaum angekommen, rieche ich hungrig das Essen, allerdings gehen wir schnurstracks daran vorbei, denn es müssen erst noch wichtige Hände geschüttelt werden. Zuerst begrüßt Hohmann selbstredend seinen Landeschef Roland Koch, ich folge ihm wie ein Schatten: kurze Vorstellung, "Guten Abend, Herr Ministerpräsident", weiter zum nächsten Händeschütteln. Es ist anstrengend, die vielen Personen einzuordnen. Kaum habe ich mich versehen, werde ich in ein Gespräch einbezogen, wozu ich aber, um ehrlich zu sein, nicht viel beizutragen habe. Ich blocke einfach ab. Dabei wird mir bewußt, daß auch dies ein Teil des Politikeralltags ist. Während ich mir nämlich den Luxus leisten kann, mich einfach nicht am Gespräch zu beteiligen, hat ein Politiker diese Möglichkeit. Egal worum es gerade geht, er kann nicht abschalten, er muß ständig am Thema bleiben, muß sich für die an ihn herangetragenen Belange der Bürger interessieren - das ist sein Auftrag, dafür ist er gewählter Volksvertreter!
Während ich mich solchen Betrachtungen hingebe, geht es dann doch noch ans Buffet, das allerdings zu meinem Bedauern inzwischen schon ziemlich leergeräubert ist.
Am folgenden Tag, dem letzten dieses Besuchs in der Hauptstadt, kann Martin Hohmann sich leider nicht soviel Zeit für mich nehmen. Denn es gibt eben auch viele Türen, durch die nur die Abgeordneten alleine gehen dürfen. "Normalsterbliche" haben draußen zu bleiben; "nichtöffentliche Sitzung" heißt das offiziell.
Zum Gespräch der Arbeitsgruppe "Vertriebene und Flüchtlinge" der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit der thüringischen Wissenschaftsministerin Prof. Dr. Dagmar Schipanski, die zu diesem Zeitpunkt Vorsitzende der Kultusministerkonferenz ist, kann ich Hohmann dann wieder begleiten.
Harmut Koschyk, Vorsitzender der Arbeitsgruppe, befindet, daß die Geschichte der Vertreibung der Deutschen fester Bestandteil des Geschichtsunterrichts in den Schulen werden solle. Vor dem Hintergrund der Osterweiterung der Europäischen Union sei es unabdingbar, die eigene Geschichte zu kennen und zu reflektieren. Die Vertreibung der Deutschen sei eben ein Teil dieser Geschichte, der nicht ausgeklammert werden dürfe.
Dagmar Schipanski stimmt dem zu, stellt aber fest, daß die Aufarbeitung der Vertreibungsgeschichte im Schulunterricht in den einzelnen Bundesländern sehr unterschiedlich in Inhalt und Intensität erfolge. Während einige Bundesländer das Thema allenfalls anrissen, habe das Land Baden-Württemberg eine ganz neue Konzeption "Flucht und Vertreibung der Deutschen" für den Schulunterricht erstellt. In diesem Konzept würden umfangreiche Materialien für Lehrer und Schüler sowie für die breite Öffentlichkeit ausgearbeitet, wobei vor allen Dingen auf neue Medien wie Datenträger, insbesondere das Internet, zurückgegriffen werde. Frau Schipanski verspricht, das Thema bei der nächsten Kultusministerkonferenz anzusprechen, und so geht man guter Dinge und hoffnungsvoll auseinander.
Auffallend ist bei dieser Sitzung, daß die Abgeordneten gegenüber Frau Schipanski einen gewisse Distanz wahren. Der große Respekt vor ihrer Persönlichkeit und wohl auch ihrer Position ist geradezu spürbar. Immerhin ist sie ja auch Mitglied des Präsidiums der CDU und hat auf der letzten Bundesversammlung gegen Johannes Rau für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert.
Nach dieser Arbeitsgruppe widmet sich Hohmann seiner Korrespondenz, bis es dann am frühen Abend zu einem Essen mit dem Herausgeber der Zeitschrift "Der Selbständige", Joachim Schäfer, geht. Digutsch und ich begleiten ihn. Es ist eine recht lockere Runde, fast mit "Stammtischatmosphäre", bei der aber immer wieder auch ernsthafte Themen angesprochen werden. Mit diesem Abend klingt mein Berlin-Aufenthalt aus.
Vier Tage lang durfte ich nun ein wenig "Politik-Luft" atmen, jene Luft, die für unsere derzeit 666 Bundestagsabgeordneten und ihre vielen Mitarbeiter Alltag bedeutet. Ich habe die Politiker in Aktion erlebt und mußte einige meiner vorherigen Vorstellungen revidieren. Zwar habe ich die schlimmsten Vorurteile auch früher schon für überzogen und unrealistisch gehalten. Dennoch war ich als junge Frau irgendwie auf einen langweiligen, drögen Altherrenclub in grauen Anzügen gefaßt. Die Politiker, die ich an diesen Tagen in Berlin kennenlernen und bei ihrer Arbeit beobachten konnte, waren ganz anders.
Zum Beispiel Martin Hohmann, Jahrgang 1948, Vater von drei Kindern, im Alter von 13 bis 21 Jah- ren, ein offener und freundlicher Mann, der sich auch mal über Politiker amüsieren kann, die sich selber für zu wichtig halten. Seine Aufgabe hingegen nimmt er äußerst wichtig, wobei ich den Eindruck hatte, daß er sich manchmal fast zu eifrig in seine Arbeit stürzt; Privatleben und Familie kommen da einfach zu kurz. Aber das scheint das Schicksal aller Politikerfamilien zu sein.
Die Abgeordneten, die ich kennengelernt habe, haben mich zumeist positiv überrascht. Auch zeigte sich, daß unsere Politiker gar keine Zeit zum Faulenzen haben. Das, was der Bürger im Fernsehen sieht, nämlich die Reden im Plenum, machen nur einen kleinen Teil der Arbeit eines Bundestagsabgeordneten aus. Die meiste Arbeit findet hinter den Kulissen in Arbeitsgruppen oder Sitzungen statt. Abgesehen davon gibt es ja auch immer noch die Arbeit im heimischen Wahlkreis.
Von den negativen Seiten des politischen Geschäfts habe ich in diesen Tagen zwar nichts gesehen, doch will ich deswegen nicht ausschließen, daß es diese gibt.
Am 22. September sollen wir also zur Wahlurne schreiten und unsere Stimme abgeben. Die Entscheidung, ob man die Arbeit der uns derzeit Regierenden gut findet und sie im Amt bestätigen will oder ob man die Gegenentwürfe der Opposition vorzieht und daher deren Kandidaten ins Kanzleramt befördern will, muß jeder Bürger für sich selber treffen. Eines sollte man dabei aber nicht außer acht lassen: Sie alle, die uns, das Volk, da in Berlin vertreten, tun einen anstrengenden, aufreibenden und undankbaren Job. Sie sind natürlich nicht fehlerfrei. Auf jeden Fall aber sind sie - trotz Bonusmeilen- und sonstigen Affären - besser als ihr von Politikerverdrossenheit bestimmter Ruf.
Schon deshalb weiß ich, was ich am 22. September zu tun habe: zur Wahlurne schreiten und meine Stimme abgeben.
Zusammenarbeit: Martin Hohmann (r.) und sein Landeschef, der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU)
Vertreibung thematisiert: Erika Reinhardt MdB (v. l.), Helmut Sauer, Prof. Dr. Erika Schuchardt MdB, Christa Reichard MdB, Prof. Dr. Dagmar Schipanski, Hartmut Koschyck MdB, Erika Steinbach MdB, Anita Schäfer MdB, Marion Seib MdB und Martin Hohmann MdB |
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