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Visionärer Wanderer zwischen Kunst und Politik

 
     
 
An einem Erfurter Gymnasium scheiterte 1895 der zweit Versuch eines jungen Mannes namens Arthur Moeller, sich dem Abitur entgegenzuarbeiten un damit die Bahnen gehobener bürgerlicher Existenz zu gewinnen. In dem Gymnasiasten gärt der aufrührerische Geist einer Jugend, die sich gegen die als zu eng empfunden wilhelminische Zeit auflehnte und nach neuen Lebensformen drängte. Saturiert Bürgerlichkeit war genau das, was diese Generation zu überwinden trachtete. Der am 23 April 1876 in Solingen geborene Moeller van den Bruck entstammte väterlicherseits eine Familie, aus der zahlreiche Offiziere und Pastoren
hervorgegangen waren. Sein Vater hatte von ihm stets als Makel empfunden und für seine Auflehnung nicht ohne Bedeutung, als preußischer Baurat das damals modernste Gefängnis gebaut. Der Mutter, die sich vo spanischen Emigranten in den Niederlanden herleitete, verdankte er sein künstlerische Erbteil. Aufschlußreich ist, wie er seine Veröffentlichungen zeichnet: Er läßt den ih vom Vater, einem Schopenhauerverehrer, zudiktierten Vornamen fallen und erweitert de Namen Moeller durch den Mädchennamen seiner Mutter.

Wie ein brausender Sturm hatte ihn der aufrührerische Geist der Jahrhundertwend erfaßt, so daß er bereits als Schüler in einen unversöhnlichen Gegensatz zu Elternhaus und zur Autorität allgemein geriet. Er war von jenen Empfindungen erfüllt wie sie Max Halbe in seinem Milieustück "Jugend" (1893) und Frank Wedekind in seinem Jugenddrama "Frühlingserwachen" (1891) zum Ausdruck bringen. Ei hymnischer Aufsatz über den symbolistischen Maler Edvard Munch mit ketzerische Bemerkungen über die Düsseldorfer Malschule in einer Düsseldorfer Zeitung waren Anlaß ihn mit der offiziellen Begründung "ungenügender Leistungen" des dortige Gymnasiums zu verweisen. Die verzweifelten Eltern schickten ihn zu Großmutter und Tant nach Erfurt, nicht ohne daß er vorher noch das Abenteuer einer Verlobung eingegangen war Aber auch die Erfurter Gymnasialzeit endete mit einem Fiasko. Nach programmatische Schwänzen tauchte Moeller in die Leipziger Bohème ein. Doch bald erschien ihm auc dieser Kreis noch zu bieder, und er siedelte im August 1896 nach Berlin über, wo sich die intellektuelle Abneigung gegen die wilhelminische Fassadenkultur in eine überschäumenden Künstlerleben austobte. In Künstlerlokalen wie dem "Schwarze Ferkel" in der Dorotheenstraße oder der "Schmalzbacke" in de Tauentzienstraße traf sich Moeller jetzt mit Weltveränderern, Zukunftspropheten Lebensreformern und Sezessionisten wie Frank Wedekind, Richard Dehmel, Detlev vo Liliencron, Peter Hille, Max Dauthendey, Rudolf Steiner und dem Jugendstilmaler Fidus. I zeittypischer Weise verbinden sich in ihm dabei leidenschaftliche Willensphilosophie un morbide Dekadenz. Die Bewunderung Napoleons geht einher mit dem Idol George Brummel, de englischen Urbild aller Dandies und Flaneure. Bereits hier zeigen sich widersprüchlich mentale Befindlichkeiten, die für seinen Lebensweg wie auch für sein Werk bezeichnen werden sollten.

Eine Steigerung des ekstatischen Lebensgefühls war nur noch in Paris möglich. 190 verließ Moeller unter bislang ungeklärten Umständen fluchtartig Berlin unte Zurücklassung seiner Frau, die ein Kind von ihm erwartete, und reiste über die Schwei nach Paris. Vier Jahre verbrachte er hier gleichsam als intellektueller Clochard, ein Zeit, die seine Denkrichtung bestimmte. Während Paris vor politischem Esprit vibrierte mußte er immer wieder die politische Instinktlosigkeit des saturierten deutsche Bürgertums konstatieren. Angesichts einer kunstvollen und gedankenreichen Politi Frankreichs wurde für ihn die Phantasielosigkeit und Unbeweglichkeit insbesondere de wilhelminischen Außenpolitik deutlich. Vor allem fand er ausgerechnet aus westliche Perspektive Zugang zum Osten. Die enge Freundschaft mit den livländischen Schwestern Les und Lucie Kaessick machte ihn mit den politischen Problemen des östlichen Mitteleurop vertraut. Die Schwestern wiederum brachten ihn in Verbindung mit Dimitri Mereschkowski der ihn in die russische Geisteswelt einführte. Alle zusammen besorgten die deutsch Gesamtausgabe des Werkes von Dostojewski. Die bleibende Bedeutung dieser gewaltige Übersetzungsleistung lag für Moeller darin, daß er sich fortan ständig mit de russischen Denken auseinandersetzen sollte. Schon früh zeichnet sich in seinen Schrifte eine sowohl den Westen als auch den Osten umfassende Perspektive ab. So richtet er ei Jahr nach Kriegsausbruch in seiner politischen Flugschrift "Belgier und Balten" seinen Blick gleichzeitig nach Westen und Osten: "Es wird unser Ziel in Europa sein uns kräftig genug und im Ausgleich unserer eigenen Gegensätze zu erhalten, um dereins den Kontinent ... gegen fremde Machtansprüche zu verteidigen, von denen de englisch-französische im Belgikum, der russische im Baltikum bereits geltend gemach wurden und denen, wenn wir in Deutschland nicht mitteleuropäisch fest bleiben, dereins asiatische und amerikanische Machtansprüche folgen werden." Hier formuliert e Gedanken, die seitdem nur noch an Aktualität gewonnen haben. Gerade in de Doppelperspektive, in der umfassenden Spannweite des Blickwinkels, der beide Flüge Europas ganzheitlich umgreift und Deutschland dabei in seiner Mittellage einordnet, lieg die überzeitliche Bedeutung seines Denkens.

Was sich in Paris an ungestümer Leidenschaft entzündete, gewinnt 1906 durch eine einjährigen Italienaufenthalt, den er zusammen mit Ernst Barlach und Theodor Däuble verlebte, einen korrigierenden Ausgleich durch das Streben nach Form. Frucht der Begegnun mit Italien war das kunsthistorisch bedeutsame Werk "Die italienisch Schönheit" (1913). Es folgte ein reges Reiseleben, das ihn in fast alle Lände Europas führte. Von besonderer Bedeutung war neben einem längeren Sizilienaufenthal eine 1912 unternommene Reise ins Baltikum, nach Finnland und vor allem nach Rußland. Mi leidenschaftlicher Hingabe und großem Kunstverständnis nahm er auf diesen Reisen de Geist und die Kultur der besuchten Völker auf. In diesem Sinne war er ein Musterbeispie dessen, was Friedrich Nietzsche einen "guten Europäer" nennt.

Etwa 1907 hatte Moeller sich die Hörner abgestoßen, ohne jedoch etwas von seine geistigen Elan zu verlieren. Nunmehr versuchte er, den Militärdienst, dem er sich bislan entzogen hatte, in Küstrin nachzuholen. Wegen seines Gesundheitszustandes wurde er jedoc nach kurzer Zeit wieder entlassen. Auch konnte er als empfindsamer Intellektueller nac Kriegsausbruch den an einen Landsturmmann gestellten Anforderungen nicht gerecht werde und wurde deshalb auf Betreiben von Freunden auf einen Schreibtischposten in de Auslandsabteilung der Obersten Heeresleitung versetzt. Hier arbeitete er u. a. zusamme mit Waldemar Bonsels, Herbert Eulenberg, Hans Grimm, Friedrich Gundolf und Börries vo Münchhausen daran, insbesondere im neutralen Ausland Sympathien für Deutschland zu wecken. Ganz offensichtlich erweist sich dieses Amt als Wiege seiner spätere Publizistik, denn die hier entstandene und 1919 verbreitete Schrift "Das Recht de jungen Völker" enthält bereits im Kern alle grundlegenden Gedanken ebenso wie die charakteristischen Stilmerkmale. Auch bildete dieses Amt die Keimzelle für die Vereinigungen und Klubs, in denen sich Moeller in der kommenden Zeit bewegte.

Der Ausgang des Ersten Weltkriegs erschütterte auch Moeller zutiefst. Unverzüglic konzentrierte er alle seine Energien darauf, einen neuen Weg aus der politischen Ohnmach aufzuzeigen und die geistigen Grundlagen für ein neues Reich der Deutschen zu legen. De Zusammenbruch des Kaiserreiches löst bei ihm kaum Trauer aus, war in seinen Augen doch s viel marode gewesen, daß dessen Untergang nur noch eine Frage der Zeit war. Um s tragfähiger mußte der Entwurf eines neuen Reiches sein. Anstöße hierzu erhielt e durch Stimmen, die der kleindeutschen Lösung Bismarcks eine Reichsidee entgegenstellten die auf dem Mythos eines Dritten Reiches beruhte. Dieser Mythos blickt auf eine lang Tradition zurück. Er speist sich einmal aus christlich-trinitarischer Quelle und ha zudem mit der Vorstellung vom Sacrum Imperium Romanum Nationis Germaniae eine mittelalterlich-historischen Hintergrund. In unterschiedlichen Ausformungen läßt er sic durch die Geistesgeschichte über Otto von Freising, Thomas Münzer, Lessing, Fichte un Schelling bis in die jüngste Zeit verfolgen. Um die Jahrhundertwende, die aus ihre Endzeitbewußtsein nach einer neuen Ordnungsform strebte, übte dieser Mythos eine gan besondere Faszination auf die Literatur aus, so z. B. Johannes Schlafs Roman Da dritte Reich (1899) oder Martin Wusts kulturphilosophische Analyse Das dritte Reic (1905). Auch auf europäischer Ebene finden sich zahlreiche Beispiele der Übertragung de mythischen Reichsgedankens in die Politik, so bei Charles Sorel in Frankreich, Alfred Oriani in Italien und Fjodor Dostojewski in Rußland. Besonders beeinflußt wurde Moelle jedoch durch die Abhandlung "Die drei Reiche: Ein Versuch philosophische Besinnung" (1916) von Gerhard von Mutius, dem späteren Vorsitzenden der deutsche Friedenskommission in Paris. Moeller erkannte die magische Kraft dieses Begriffes un stellte ihn deshalb in das Zentrum seines Werkes "Das dritte Reich" (1923). Doc es ist ein langer Weg, ehe er hier zu seiner neuen Staatsidee vorstößt. Sieben der ach Kapitel kritisieren den Parteienstaat sowie den Parlamentarismus, und erst das letzt Kapitel widmet sich der neuen Vorstellung. Moeller ist sich dabei dessen bewußt, daß e eine Art politische Utopie propagiert, denn das Dritte Reich "... ist immer nu verheißen. Und es wird niemals erfüllt. Es ist das Vollkommene, das nur in Unvollkommenen erreicht wird." So wie für Nietzsche der Übermensch eine ni erreichbare, jedoch extrem verpflichtende Projektion ist, so bleibt das Dritte Reich Idee die gerade aufgrund ihrer utopischen Qualität auch die letzten Kräfte herausfordert Stärkste Triebfeder ist dabei der Nationalismus. Gestaltungsprinzipien sind die über de Staat stehende Gemeinschaft und die hierarchisch gegliederte ständische Ordnung Bedeutsam ist, daß er die Gemeinschaft als Ideenträger nicht biologisch, sonder ausschließlich kulturell definiert. Moeller führt damit den Begriff der Kulturnation in sein Konzept ein. Mit seiner aristokratischen Ausrichtung zielt der neue Staat au Elitebildung ab. Die Mitwirkung der Masse im liberalistisch-parlamentarischen System ode der politische Anspruch des klassenbewußten Proletariats werden ersetzt durch "ein Bewegung von oben". In diesen Vorstellungen kulminieren die Ideen de "Konservativen Revolution", so wie sie insbesondere von den Jungkonservative vertreten wurden.

In Moeller einen Wegbereiter des Nationalsozialismus sehen zu wollen, wäre jedoch ein völlige Verkennung des Sachverhaltes. Nach einem Auftritt Hitlers 1922 in "Juni-Klub" urteilte Moeller über ihn: "Er war verkörperte Leidenschaft aber ganz ohne Abstand und Augenmaß." Vor allem störte ihn Hitler "proletarische Primitivität". Diese persönliche Abneigung gab er nie auf Bedeutsamer sind hingegen die unüberbrückbaren geistigen Gegensätze. Nicht nur, da Moeller dort, wo der Nationalsozialismus Biologie forderte, den Geist einsetzte, sonder es ging ihm in der politischen Praxis vor allem auch um die Überwindung von Gegensätzen während der Nationalsozialismus diese Gegensätze im Sinne kämpferische Selbstbestätigung geradezu suchte und sogar brauchte. Nach anfänglichen Bemühungen Gedanken von Moeller zu vereinnahmen, ging der Nationalsozialismus auf entschieden Distanz. Eine 1939 herausgekommene offiziöse Schrift von Helmut Rödel mit dem Tite "Moeller van den Bruck. Standort und Wertung" kommt zu dem Schluß: "Nich Seher und Künder des Dritten Reiches ist Moeller van den Bruck, sondern letzte Konservativer. Von seiner politischen Welt führt kein Weg in die deutsche Zukunft, wei von ihm kein Weg zum Nationalsozialismus führt." Am 10. Juli 1939 untersagt Goebbels die Verwendung des Begriffes "Drittes Reich" als Staatsbezeichnung.

Die größten Gegensätze erblickte Moeller in dem Widerstreit von Intellektualitä und Mythos, von Ost und West sowie von Nationalismus und Sozialismus. Seine Versuche diese sich vielfach überlagernden Spannungen zu lösen, führten ihn zu eine Ostorientierung, die bis zu nationalbolschewistischen Positionen reichte. Mit diese Orientierung war er keinesfalls ein einsamer Denker, denn jungkonservative Kreise un selbst erzkonservative Vertreter der Wirtschaft wie Hugo Stinnes mit seinem mächtige "Reichsverband der deutschen Industrie" entwickelten ganz ähnlich Vorstellungen. Auch erwuchs der Blick nach Osten nur teilweise auf eine literarisch-romantischen Grundlage. Nach Versailles bot sich das gleichermaße ausgegrenzte sowjetische Rußland als natürlicher Bundesgenosse an, selbst wenn man da Blutvergießen und den Terror der Revolution mit äußerstem Mißbehagen betrachtete. I welchem Maße sich gegensätzliche Positionen aufeinander zubewegten, illustriert da Beispiel Karl Bernadowitsch Sobelsohns, genannt Radek, sehr anschaulich. Radek, der 191 illegal über Ostdeutschland eingereist war, wurde im Februar 1919 als Drahtzieher de Berliner Spartakusaufstandes verhaftet. Die ihm in Moabit eingeräumten Haftbedingunge waren jedoch äußerst großzügig. Seine Haftzelle wurde zu einer Art politischer Salon in dem er geradezu Hof hielt. Maßgebliche Politiker, Militärs und Industrielle scheute sich nicht, zu ihm zu pilgern, um mit dem Vertreter des offensichtlich aufstrebende Sowjetstaates zu verhandeln. Zu diesen Besuchern zählte auch Moeller.

 
     
     
 
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