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Der große Protest war ausgeblieben. Die reale Macht im Iran hatte jedes Aufbegehren des Volkes auf der Straße mit dem Aufmarsch brutaler Schlägertrupps und paramilitärischer Verbände im Keim erstickt. Die Studenten blieben zuhause, auf dem Campus oder in ihren Wohnheimen. Selbst dort waren sie vor den Schergen des Regimes nicht sicher. Trupps stürmten Wohnheime, in denen sie Protestzellen vermuteten, verwüsteten die Zimmer und verhafteten Studenten. Der 9. Juli, seit der blutigen Unterdrückung der Studentenunruhen vor vier Jahren eine Art National tag des Protests gegen die Diktatur der Mullahs, blieb nach außen relativ ruhig.
Aber der Protest nimmt andere Formen an. Lange Zeit hatten die Studenten geglaubt, mit dem Reformerflügel unter den Mullahs, an ihrer Spitze Staatspräsident Chatami, die mittelalterlichen Herrschaftsformen der Mullarchie mit ihren Bevormundungen bis in das ganz persönliche Leben hinein aufbrechen zu können. Sie wollten eine Reform von innen. Der Hoffnungsträger, mit triumphal vielen Stimmen ins Amt gehoben, erwies sich als Enttäuschung. Weder gelang es ihm, die Justiz im Sinne einer echten Gewaltenteilung zu reformieren - immer noch bestimmen die Mullahs, was als Recht und Gesetz zu gelten hat -, noch konnte er das Parlament zu Gesetzen bewegen, die den Menschen mehr Selbstbestimmung und Freiheit zugestanden hätten. Vor allem die jungen Menschen sehnen sich danach. Sie machen den größten Teil der Bevölkerung aus, mehr als zwei Drittel der rund siebzig Millionen Iraner sind jünger als dreißig Jahre. Sie wollen selber bestimmen, welche Musik sie hören, wie sie sich anziehen und wo sie sich treffen dürfen. Sie wollen heiraten, ohne von den Mullahs oder den Eltern dazu bestimmt zu werden, sie wollen auch eigene Wohnungen und Arbeit ohne strikte Vorschriften des großen Bruders und Revolutionsführers Chamenei. Während der Proteste vor dem 9. Juli erklangen erstmals Rufe nach dem Rücktritt der Geistlichen an der Staatsspitze.
Die neue Form der Proteste ist friedlich und dennoch revolutionär. Die Studenten schrieben an den Generalsekretär der Uno, er möge das Regime zur Einhaltung der Menschenrechte ermahnen. Der Ruf nach draußen ist das Revolutionäre. Bisher hatten sich die Proteste in vielen Teilen des Landes, selbst die Rebellionen in Teheran vor vier Jahren, immer an die eigene Bevölkerung und an die Männer an der Spitze des eigenen Staates gewandt. Man glaubte, aus eigener Kraft die Reformen in die Wege leiten und zu mehr Freiheit und Demokratie gelangen zu können. Diese Hoffnung haben die Studenten offenbar aufgegeben. Jetzt erhoffen sie sich Hilfe von außen. Der Brief an Generalsekretär Kofi Annan war ein Hilferuf. Er ist auch in deutlichen Worten gehalten. Von einer "herrschenden politischen Apartheid", der das Volk "schutzlos ausgeliefert" sei, ist die Rede. Man habe die Menschen "des Rechtes beraubt, über unser Leben und unser Schicksal selbst zu bestimmen. Wir leben in einem Land, in dem jedes Individuum im privaten wie im gesellschaftlichen Leben die gewaltige Hand der Herrschaft spürt ... Die Freiheit der Rede, der Meinung, das Recht auf Religion, das Recht der Frauen, sich nach Gutdünken zu kleiden, also all das, was in der Charta der Menschenrechte der Vereinten Nationen festgeschrieben ist, wird in unserem Land mit Füßen getreten, obwohl Iran die Charta unterzeichnet hat."
Es mag Zufall sein, obwohl es in der Geschichte nach einem Wort von Roosevelt so etwas nicht gibt, daß ein anderer Brief an den Generalsekretär etwa zwei Wochen zuvor den gleichen Duktus hatte. Absender war Mister Reza Pahlevi, der Sohn des letzten Schah. Pahlevi will sich selbst nicht mit Adels- oder Herrschaftstiteln anreden lassen. Er sei iranischer Bürger. Natürlich verkörpert er für die meisten Exil-Iraner auch die Hoffnung auf eine Demokratie in Form einer konstitutionellen Monarchie nach dem Vorbild Großbritanniens. Dazu schweigt er, aber nicht zu den Zuständen in seinem Land. In seinem Brief vom 16. Juni beschreibt er die brutalen Methoden der Unterdrückung, weist auf die "Verpflichtung des klerikalen Regimes" hin, als Unterzeichner der UN-Charta die "Grundrechte des Volkes" zu achten. Er stellt auch eine Forderung auf, die in dem späteren Brief des Studentenbundes ebenfalls enthalten ist, ein Referendum abzuhalten: "Iraner haben das Recht auf Rede- und Meinungsfreiheit und das Recht, ihre politischen Wünsche durch freie Wahlen und ein nationales und transparentes Referendum in die Wirklichkeit umzusetzen". Deshalb bitte er den Generalsekretär "dringend, seine guten Dienste und alles in seiner Macht stehende zu tun, um weitere Verluste an unschuldigen Menschenleben zu verhindern und energisch für die Rechte des Volkes in dem legitimen Wunsch nach Selbstbestimmung einzutreten. Das islamische Regime im Iran muß für die Verletzung der Menschenrechte und für sein Versagen, die UN-Charta zu erfüllen, verantwortlich gemacht werden."
Der 42jährige Reza Pahlevi lebt in der Nähe von Washington. Ihm ist, ähnlich wie den Studenten, offenbar klar geworden, daß ein Umsturz von innen, so wie die Bush-Regierung sich das erhofft, sehr unwahrscheinlich ist. Die Mullahs wissen, was sie erwartet, wenn sie erst einmal die Macht aus den Händen geben. Ihr Machtapparat hat die gesellschaftlichen Strukturen und Schichten so dicht durchdrungen, daß ein organisierter Widerstand nicht möglich ist. Und gegen die spontanen Erhebungen reichen die Schlägertrupps der Polizei und der Revolutionswächter allemal aus. Es fehlt schlicht an einer landesweiten, internen politischen Organisation mit einem Programm, das die Interessen der Landbevölkerung, der Arbeitslosen oder der ethnisch und religiösen Minderheiten berücksichtigt und so eine Alternative zum Regime bieten könnte. Ohne Hilfe von außen wird der Protest, der vor allem aus der mittelständischen Jugend erwächst, nicht zur Revolution mit dem Sturz des Regimes gestaltet werden können, sondern eine Rebellion ohne Folgen bleiben, mit passiven Streiks tagsüber und mitternächtlichen Hupkonzerten.
Allerdings vermischt sich seit dem Irak-Krieg die Hoffnung der amorphen Protestbewegung mit dem Sicherheitsinteresse der westlichen Führungsmacht Amerika und seiner Verbündeten, vor allem Israels. Immer deutlicher wird, daß das Regime der Mullahs beim Bau der Atombombe erhebliche Fortschritte zu verzeichnen hat. Auch die westlichen Sicherheitsdienste zeichnen mit. Und ganz offensichtlich und konkret beobachtbar ist auch der Fortschritt der dazugehörigen Trägersysteme. Erst vor ein paar Tagen hat Teheran eine Rakete mit einer Reichweite von 1.500 Kilometer getestet, in deren Radius nicht nur Israel liegt, sondern auch Ägypten, Saudi-Arabien, die Türkei und Teile Rußlands. Im Radius einer bereits vorher getesteten Rakete (Shehab 4) liegen auch der Balkan, Österreich und Teile Polens und Italiens. Je nach Stationierung könnte auch Deutschland, insbesondere Berlin in die Reichweite geraten. Das mag Außenminister Fischer bewogen haben, deutliche Worte gegen das Atomprogramm Irans auszusprechen. Teheran müsse seine Atomwaffen-Pläne aufgeben. In etwa zwölf bis achtzehn Monaten wird nach Schätzungen von Experten das Regime seine Fähigkeit zum Bau der Atombombe erreicht haben, übrigens mit russischer Hilfe, was die diplomatischen Bemühungen nicht unbedingt erleichtert.
Washington bemüht sich in dieser Situation um erstaunliche Zurück-haltung. Zwar gehöre auch die militärische Option zum Arsenal aller denkbaren Möglichkeiten zur Beseitigung der nuklearen Gefahr, aber man hoffe auf einen Umsturz von innen. Dieser Umsturz wird nicht kommen. Das weiß man auch in Washington. Und man weiß, daß die Gefährdung durch die Nuklearwaffen vor allem Israel und dann auch Europa gilt. Jetzt sind die Europäer gefordert. Sie können natürlich darauf hoffen, daß Israel wie 1981 die Kastanien für sie aus dem Feuer holt. Damals zerstörten israelische Kampfbomber die Nuklearanlagen des Saddam Hussein, der ebenfalls kurz vor der Fertigstellung der Atombombe stand. Der scheinheilige Protest war laut. Diesmal ist die Situation anders. Man weiß, daß der Irak binnen kurzem die Fähigkeit gehabt hätte, die Atombombe zu entwickeln. Elemente für Zentrifugen waren im Land, wie der deutsche Waffeninspektor und Professor für Raketentechnologie in München, Robert Schmucker, zu berichten weiß. Schmucker hält die iranische Gefahr auch für real. Teheran baue keine "Postraketen", um Briefe zu befördern. Das Argument, man wolle die teure Atomenergie friedlich nutzen, sei in einem Land, wo das Öl reichlich aus dem eigenen Boden sprudele, nicht glaubwürdig.
Alle wissen es: Die Diktatur der Mullahs will die Vorherrschaft in der islamischen Welt. Die Atombombe wäre dafür das geeignete Mittel. Wichtiger noch als die Sprengkraft der Bombe wäre die Sprengkraft, die dadurch in den Köpfen des unruhigen islamischen Krisengürtels von Casablanca bis Taschkent entfesselt werden kann. Wer will das Regime angreifen, wenn es erstmal die Bombe besitzt? Die ängstlichen Europäer wären leicht in Schach zu halten. Teheran baut auf sie und auf ihr Drängen, jede Form von Präventivschlag als gegen das traditionelle Völkerrecht gerichtet zu verurteilen. Nur: In diesem Fall geht es nicht gegen den Irak und potentielle Gefährdungen, sondern um reale Gefahren. Das Festhalten an einer historisch überholten Anti-Präventivdoktrin wird zum Urteil der Selbstentmachtung und in der Folge der Islamisierung des alten Kontinents. Solche Gedanken sind politisch nicht korrekt und deshalb hofft man klammheimlich, daß Amerika und Israel das Problem lösen werden. Washingtons Zurückhaltung aber deutet an: Ein Engagement in dieser Sache hat seinen Preis. Zum Beispiel ein Engagement der Europäer im Irak, konkret deutsche oder französische Soldaten. Dafür gibt es neuerdings Anzeichen der Bereitschaft in Paris, freilich mit dem Hinweis auf die Uno. Hier trifft man sich wieder. Die Briefe der Studenten und des Schah-Sohns Pahlevi an den Generalsekretär sind mehr als Hilferufe. Es sind die ersten Raketen gegen das Regime. Europa und Amerika werden sich früher oder später diesen Angriffen anschließen. Das umso mehr, als mit dem Schah-Sohn, anders als im Irak, auch eine Integrationsfigur für eine demokratische Alternative bereitstünde.
Studentendemonstration: Mehr als zwei Drittel der 70 Millionen Iraner sind unter dreißig Jahren. Sie wollen ihr Leben selbst bestimmen und nicht mehr den starren Regeln des religiösen Staates folgen. Foto: reuters
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