|
Quer durch die verschiedenen politischen Strömunge und Richtungen zieht sich die Linie der Verehrer undBewunderer Thomas Manns. War er seine Zeitgenossen stets und nicht zu Unrecht eine ambivalente Figur geblieben, so hatte sic die Nachwelt zum Teil bemüht, Mann im nachhinein gänzlich der Demokratie und letztlic der Linken allgemein zuzuordnen. Sein Leben erschien so im Rückblick als Bildungsroman in der Tradition der Aufklärung: düstere, reaktionär e Wurzeln, aus denen aber schließlic noch der Pazifist und Freund der Sowjetunion erwuchs. Ein Leben, ganz im Geschmack eine propagierten demokratischen Läuterung: aus dem ungläubigen Thomas wird noch de Weltverbesserer.
Thomas Mann selbst hat viel dafür getan, von verschiedenen, zum Teil entgegengesetzte Seiten für ihre Zwecke eingespannt zu werden. Dabei war er trotz aller politische Aktivität seit den zwanziger Jahren im Grunde das, was er schon zu Beginn seine Schriftstellerkarriere bekannte: ein zutiefst Unpolitischer. Als zweiter Sohn eine Lübecker Patriziers am 6. Juni vor 125 Jahren geboren, wuchs Thomas Mann in bürgerliche Verhältnissen auf. Im Gegensatz zu seinem älteren Bruder Heinrich nahm er die Grundzüg des Bürgertums der damaligen Zeit Ordnung, Tugend, Arbeitsmoral, Sittenkode vorbehaltlos an und kultivierte sie auch als Künstler ein Leben lang. Gern sah e sich als "Papas Bester", und noch im Alter reklamierte er eine psychologisch Sonderbeziehung zu seinem Vater. Dagegen verkörperte die Mutter, eine exotisch Deutsch-Brasilianerin, ein beunruhigendes unbürgerliches Element, welches Thomas Man letztlich auch immer dafür verantwortlich machte, daß keines der Kinder nach dem Tod de Vaters das Lübecker Kontor weiterführte und statt dessen auf das fremde Terrain de Kunst drängte. Die Mutter siedelte mit den fünf Kindern 1894 nach München über, wo si einen künstlerischen Salon eröffnete.
Heinrich und Thomas Mann, befreit von des Vaters strenger Führung, begannen in de bayrischen Residenz ihre Laufbahnen als Schriftsteller, wie sie unterschiedlicher kau sein könnten. Während sich Heinrich schnell den vorherrschenden Kunstrichtungen de Dekadenz und der Neu-Renaissance untertwarf und den unbürgerlichen Lebensstil der Bohem annahm, grenzte sich Thomas gerade von ihr deutlich ab. Anstatt an absinthverklebte Tischen in Schwabing über die ästhetische Erneuerung der Menschheit zu diskutieren, zo er in sei-ner Junggesellenwoh-nung die Lektüre seiner Hauptmentoren Schopenhauer un Nietzsche vor. Beide waren wesentlich für sein Selbstverständnis als Künstler, prägte aber auch sein politisches Weltbild. Im Fall Nietzsches jedoch in entschlossen moralische und demokratiekritischer Hinsicht; die gerade gängige Modephilosophie der "blonde Bestie" und des Übermenschen, der Heinrich noch in seinen frühen Romanen huldigte lehnte er ab. Nietzsches "Genealogie der Moral" zog er sein Leben lang de "Zarathustra" vor. In Anlehnung an Nietzsche suchte sich Thomas Mann zu Begin seiner Karriere als Literat in deutlicher Abgrenzung zu Heinrich zu etablieren. Der früh Erfolgsroman "Buddenbrooks" von 1901 zeigte dabei die Richtung an: mit de Mitteln der nietzscheanischen Entlarvungspsychologie sollten die althergebrachte Moral un die Konventionen der Zivilisation durchleuchtet und demaskiert werden, ohne daraus jedoc eine politische Aussage zu treffen. Thomas Mann sah den Niedergang seiner eigenen Schicht des Bürgertums, sehr wohl und auch sehr scharf, allein er hielt um so stärker an ih fest. Diesem Mißverständnis ist mit Georg Lukacs die gesamte marxistisch Literaturwissenschaft aufgesessen, indem sie den Trugschluß wagte, der Skribent de absterbenden bürgerlichen Zeitalters sei bereits ein Parteigänger der Neuen Zeit.
In den Jahren des Kaiserreichs war Thomas Mann ein treuer Monarchist nicht vo ungefähr wurde er 1911 Mitglied der Münchener Zensurbehörde. In seinem zweiten, wenige geglückten Roman "Königliche Hoheit" hatte er 1909 nicht zuletzt ei apolitisches Märchen, eine romantische Verklärung des Gedankens der Monarchie zu Papie gebracht. Erst durch den Ausbruch des Weltkriegs sah sich Thomas Mann erstmals auf die politische Bühne gedrängt. Hatte ihn bis dahin in seinem Werk vor allem das Verhältni des Künstlers zur Gesellschaft beschäftigt, so änderte sich das nun schlagartig. Wie s viele seiner Kollegen ergriff er vorbehaltlos die Partei des Reiches. Im Krieg sah e einen Akt der Reinigung und Befreiung. Mit den "Gedanken im Kriege" begann 191 Manns wechselvolle politische Essayistik, die zunächst zum Bruch mit dem Pazifiste Heinrich führte. Die Gedanken gipfelten in dem Aufsatz "Friedrich und die groß Koalition". Indem er die Leistungen des preußischen Königs im Siebenjährigen Krie in den Mittelpunkt rückte, suchte er einen positiven Mythos und ein Vorbild für de aktuellen Waffengang zu schaffen. Den von außen kritisierten Einmarsch deutscher Truppe in das neutrale Belgien setzte er mit Friedrichs Einmarsch in Sachsen gleich. In diese Sinne ist auch sein offener Verteidi-gungsbrief der deutschen Kriegsführung an die Redaktion des "Svenska Dagbladet" in Stockholm zu lesen.
Den Höhepunkt seiner Auseinandersetzungen mit der Gegenwart im Krieg bildeten die "Betrachtungen eines Unpolitischen". Über drei Jahre schleppte sich die Niederschrift seines Bekenntnisbuches hin. Diesem Frondienst während des Frontkriege unterzog er sich in der Regel unrasiert und lediglich mit einer einfachen russische Litewka bekleidet die Maskerade von Askese und Zucht. Einer eigenen Aussage zufolg befand sich Thomas Mann während des Ersten Weltkrieges in der "Kris sei-nes Lebens". Mit dem Kaiserreich fürchtete er di Grundzüge seiner gewohnten Lebensordnung zu verlieren. Die "Betrachtungen" lassen sich auf den zu dieser Zeit kulminierenden Bruderstreit zurückführen und stelle zunächst die Antwort auf Heinrichs Zola-Essay dar. Unter Rekurs auf dessen öffentliche Eingreifen in die Dreyfus-Affäre hatte Heinrich Mann von den deutschen Dichtern in Allgemeinen und seinem Bruder im Besonderen zum Kriegsbeginn ein politisches, mithin linkes Engagement gefordert. Dies führte nun dazu, daß Thomas Mann zur breitgefaßte Verteidigungsrede des unpolitischen, deutschen Künstlertums anhob. Wie gewohnt uferte da Manuskript immer mehr aus; die Arbeit ging dem Romancier schwer von der Hand. Letztlic sind die "Betrachtungen eines Unpolitischen" ein großangelegtes Bekenntnisbuc seinens Denkens und Fühlens der ersten Hälfte seines Lebens. Das Gewissen, so erklär es Thomas Mann in der Vorrede, trieb ihn zu diesem Dienst für die Nation. Es war die Transformation des Stellungskrieges in die sublime Welt des Geistes: was hier wie da au die Verteidigung einer spezifisch deutschen Kultur gegen die westliche Idee der Demokrati hinauslief. Parlamentarismus, Egalität, Zivilisation, Freimaurerei nichts entgin dabei seinem kritischen Blick.
Die Ablehnung des Westens führte automatisch zur Sympathie mit Rußland. Mi Versailles hatte im Grunde auch Heinrich gewonnen: dies trieb Thomas Mann nun selbst in die Arme des Kommunismus allerdings im nationalen Sinne. Den deutsche Zusammenbruch erlebte er als Schock; zahlreiche Tagebucheintragungen aus dem Herbst 191 zeigen seine Schwankungen. Letztlich blieb nur die Ironie; die deutsche Niederlage sei s komisch, heißt es an einer Stelle, "daß man sie gar nicht ernst nehmen kann" Die Novemberrevolution in Berlin und vor allem vor seiner Haustür in München beobachtet Mann nur mit Widerwillen. Immer wieder mokierte er sich über deren Pöbelhaftigkeit un deren Faschingscharakter.
Um so erstaunlicher dann die berühmte Rede "Von deutscher Republik" in Berliner Beethovensaal. Anläßlich des 60. Geburtstages Gerhart Hauptmanns bekannte sic Thomas Mann erstmals öffentlich zur Republik. Auffällig ist, daß er selbst die Bedeutung dieser Rede nie so hoch gehängt hat wie die Deuter im nachhinein. Mi Sicherheit war nicht nur Heinrichs schwere Erkrankung, die den leidigen Bruderzwis beendete, Auslöser für Thomas Manns Einlenken gewesen. Eher war es die Sucht nac Anerkennung, sein ewiger Narzißmus, der ihn an die Tore Weimars klopfen ließ. Gerhar Hauptmann war der gefeierte Dichter der Republik, auch Heinrich Mann reüssierte nu verspätet mit seinem Vorkriegsroman "Untertan" wo gesellschaftliche Lorbeer verteilt wurde, wollte auch Thomas Mann nicht fehlen. Aber er hatte sich ohnehi sukzessive von seinen zum Teil radikalen Nachkriegsvorstellungen gelöst, wollte nich mehr mit dem Kommunismus gegen den Westen zu Felde ziehen. Deutlich spiegelte sich das in 1924 beendeten Roman "Zauberberg" wider: Hatten 1921 noch seine Sympathie teilweise auf Seiten des kommunistischen Jesuiten Naphta gelegen, so distanzierte er sic zunehmend von seiner ambivalenten Figur. Auch die am Anfang große Begeisterung fü Oswald Spengler und andere Vordenker der Konservativen Revolution legte sich immer mehr Viele seiner alten Weggefährten haben ihm diesen "Verrat" nie verziehen.
Mann hatte nun seinen Frieden mit der Republik gemacht und entfernte sich immer weite von seinen einstigen, zum Teil radikal demokratiefeindlichen Positionen. Zwar legte e stets Wert darauf, wie vor dem Krieg "sein Deutschtum" zu vertreten, doch au der anderen Seite ließ er sich gerade in der Spätphase der Weimarer Republik zu deutlichen sozialdemokratischen Bekenntnissen hinreißen so etwa in seine berühmten Rede vor Wiener Arbeitern 1929. Auch im amerikanischen Exil während de Dritten Reiches sah er sich als Vertreter der deutschen Kultur ("Wo ich bin, is Deutschland") in Abgrenzung zu den Nationalsozialisten. Da seine Romane zunächst in Deutschland weiter erschienen, zögerte er lange, bis er sich 1939 im Essay "Brude Hitler" erstmals öffentlich zu den Vorgängen in seiner Heimat äußerte. Währen des Zweiten Weltkriegs folgten dann seine Rundfunkansprachen an die deutschen Hörer, in denen er politisch naiv wie so oft ungeprüft die Behauptungen de alliierten Kriegspropaganda verbreitete, etwa die Verharmlosungen des Dresdener Infernos Bald nach dem Tode Roosevelts 1945 flammte dann jedoch noch einmal wie schon nach de Ersten Weltkrieg der alte Haß auf den Westen auf. Auslöser war der Feldzug McCarthy gegen den Kommunismus. Angestachelt von seiner Tochter Erika setzte Mann nun zu Verteidigung der Sowjetunion an und entfernte sich wieder von den libertären Idealen de Westens, den er als platt und kulturlos empfand. Die Distanzierung von de antisowjetischen Linie der USA ließ ihn mit seiner Familie wieder nach Europ zurückkehren nicht mehr nach München, aber in die Schweiz, wo er 1955 starb.
Thomas Mann war zeit seines Lebens ein Schriftsteller des bürgerlichen Zeitalter geblieben, allerdings dauerhaft durch die Ereignisse von 1918 aus der Bahn geworfen. Sein verschiedenen politischen Positionen suchte er bis zum Alter mit dem ewigen Dreigestir Schopenhauer-Nietzsche-Wagner zu verbinden, um so anzuzeigen, seiner Linie stets treu zu bleiben. Doch damit ging er natürlich auf mehr oder weniger einsamen Wegen. "Man über Bord" war der bittere Kommentar der Konservativen, die ihm seine Parteinahm für die Republik nie verziehen. Doch auch bei den Linken ist Thomas Mann nie angekomme Brecht etwa verhöhnte ihn lediglich als "bürgerlichen Autor mi Stehkragen".
|
|