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Speziell die US-amerikanischen Medien zeigen nicht gerade ein heftiges Interesse an der in Europa heiß diskutierten Euro-Währungsunion. Die aus dem Blickwinkel großer geographischer Distanz und in weitgehender Unkenntnis europäischer Eigenheiten betrachteten Bestrebungen der EU-Länder reichen von nachsichtigem Lächeln bis zu bissigem Spott.
Verschiedene, wenig schmeichelhafte Äußerungen namhafter Persönlichkeiten wie des amerikanischen Notenbankpräsidenten Alan Greenspan und des Vize-Finanzministers Larry Summers sind indessen überliefert. Das bekannte amerika-nische Nachrichtenmagazin "News-week" sprach gar von einer "wahnsinnigen Idee, schlecht für Europa und wohl schlecht für Amerika und auch sonst schlecht für jedermann". Angesichts der nachhaltig positiven Konjunkturentwicklung und zahlreicher spektakulärer weltpolitischer Aktivitäten der USA schien man den Euro als Konkurrenz für den Dollar nicht ernst oder gewichtig zu nehmen. Sollte etwa diese Kunstwährung den Dollar als unbestrittene Weltwährung in Bedrängnis bringen können? Lächerlich! Als nun kürzlich auf dem Brüsseler Gipfel die letzten noch ausstehenden Entscheidungen fielen und der Euro zur vollendeten Tatsache wurde, beeilte sich Präsident Clinton mit der Feststellung: "Wir bewundern die Entschlossenheit, die Europa auf dem Weg zur Konvergenz und zur Währungsunion gezeigt hat. Ein starkes und stabiles Europa mit offenen Märkten und einem gesunden Wachstum ist gut für Amerika und die Welt. Eine erfolgreiche Währungsunion, die zu einem dynamischen Europa beiträgt, ist in unserem besten Interesse."
Wer die Worte "Dynamik" und "offene Märkte" nicht überliest, dem wird die Absicht Clintons klar, die er kürzlich in einem Interview mit einer amerikanischen Fernsehgesellschaft offenbarte: Es sei, so der US-Präsident, eine seiner wichtigsten Aufgaben, dafür zu sorgen, daß alle wichtigen Regionen der Welt wachsen, damit der Wohlstand der Vereinigten Staaten erhalten bleibe. Die wohlwollenden Worte haben also sehr wohl einen realen Hintergrund. Offenbar ist auch Bill Clinton bewußt, daß nicht alle Teilnehmerländer der Europäischen Währungsunion (EWU) bereit sind, ihre Märkte zu öffnen, wie dies Deutschland beispielhaft tat bzw. aus politischer Rücksichtnahme akzeptierte. Zumindest scheint ihm die protektionistische Haltung einiger Brüsseler Funktionäre nicht verborgen geblieben zu sein. Alles in allem betrachtet und bewertet, zeigt sich somit innerhalb der Administration eine doppeldeutige Haltung gegenüber dem Euro.
Immerhin scheint nunmehr die unmittelbar bevorstehende Einführung des Euro eine Reihe von beruflich Betroffenen (und davon gibt es eine ganze Menge: nämlich Banker, Investmentfonds-Manager, Devisenhändler und nicht zuletzt Im- und Exporteure sowie Unternehmen mit im Euro-Raum ansässigen Tochtergesellschaften) zu veranlassen, sich konkret mit den sie treffenden Konsequenzen zu befassen. Was steht zur Debatte? Zunächst die Position des Dollars als bislang dominierende Handels-, Anlage, Reserve- und Ankerwährung der Welt. Wird der Euro in diesen Verwendungsgebieten eine gefährliche Konkurrenz für den US-Dollar? Beim Thema Währung pflegen sich die Blicke und Gedanken zuerst auf die internationalen Finanzmärkte zu richten, denn auf diesem Sektor finden heutzutage losgelöst vom bilateralen Handelsaustausch die weitläufigsten und umfangreichsten Transaktionen statt. Zunächst geht es darum, welche Folgen sich aus dem Kursverhältnis des US-Dollars zum Euro ergeben. Angesichts der unterschiedlichen Meinungen über die jeweilige Unter- oder Überbewertung, Spekulationsabsichten, Prestigedenken und ökonomischen Erwägungen hinsichtlich der Export- und Importpolitik sind die zukünftigen Wechselkurse schwer vorhersehbar. Im Devisenhandel ist daher mit mehr oder minder großen Schwankungen zu rechnen. Insbesondere während der Übergangszeit bis zur definitiven Installierung des Euro im Jahr 2002 werden aggressive Aktionen der internationalen Spekulanten, die jedmögliche Chance skrupellos ausnutzen werden, nicht ausbleiben. Soros ante portas!
Auch auf den mittel- und längerfristigen Finanzmärkten, dem Kapitalmarkt, sind seit kurzem neue Weichenstellungen zu erkennen. Hinweis dafür sind die Bevorzugung von sogenannten Euro-Werten (das sind Börseneinführungen erstklassiger europäischer Unternehmen) bei der Neustrukturierung privater Wertpapierdepots und bei sogenannten Aktien- und Rentenfonds mit klangvollen Namen wie "EuroStar", "Euro-Champions" etc.
Mit dem Euro als Einheitswährung wächst der europäische Kapitalmarkt, der bislang noch durch starke Zersplitterung und unterschiedliche Währungsrisiken gekennzeichnet ist, in eine dem US-Markt vergleichbare Größenordnung hinein. So reicht der europäische Anleihemarkt mit einem Volumen von 8,7 Billionen Dollar beinahe an den amerikanischen Rentenmarkt mit rund elf Billionen Dollar (Vergleichswerte 1995) heran. Im Aktienmarkt liegen die Europäer mit 3,8 Billionen Dollar gegenüber dem Volumen der Amerikaner mit rund 6,8 Billionen Dollar indes stark zurück.
Eine aus internationaler Sicht bedeutende Rolle wird der zukünftigen Nutzung des US-Dollars als Reserve- und Ankerwährung beigemessen. Angabegemäß werden ca. 65 Prozent der offiziellen Währungsreserven der Welt in Dollar gehalten und nur rund 20 Prozent in EU-Währungen, insbesondere in DM. Zieht man die in DM gehaltenen Währungsreserven der EWU-Länder ab, so wird sich der Anteil des Euro gegenüber dem US-Dollar verringern. Der Euro wird sich also zuerst sein Vertrauen als Reservewährung verdienen müssen, was laut dem Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Duisenberg, einige Jahre dauern dürfte. Zweifellos wird die Entwicklung dieses Konkurrenzverhältnisses nicht nur durch die wirtschaftliche Kraft der USA, sondern auch durch ihre unbestrittene politische Weltmachtstellung bestimmt werden.
Die weltweite Vorherrschaft der USA widerspiegelt sich auch im internationalen Handelsverkehr. Schätzungsweise werden ca. 48 Prozent der weltweiten Handelsgeschäfte in US-Dollar, 31 Prozent in EU-Währungen und nur fünf Prozent in Yen abgerechnet. Etwa gleiche Verhältnisse bestehen im Devisenhandel: Dollar-Anteil 42 Prozent, EU-Währungen 35 Prozent. Selbstverständlich fällt dabei das überwiegend in US-Dollar abgerechnete Ölgeschäft ins Gewicht, doch ist die Vorherrschaft des US-Dollars angesichts des vergleichsweise wesentlich niedrigeren Anteils der USA am Welthandel unübersehbar. Allerdings wird es auch in den USA für möglich gehalten, daß mittel- bis längerfristig Länder mit engen Handelsverflechtungen zur EU den Euro als Handelswährung nutzen und auch als offiziellen Wechselkursanker ihrer Währungen wählen werden.
Die US-amerikanische Wissenschaft befaßt sich vorwiegend mit den fundamentalen Kriterien sowie den Chancen und Risiken einer europäischen Einheitswährung. Sie betrachtet die im Gang befindliche Einführung des Euro nicht schon als abgeschlossene Sache, sondern stellt vielmehr die Frage nach den Voraussetzungen für ein erfolgreiches Gelingen der Zusammenführung von elf strukturell unterschiedlichen Ländern in einer Währungsunion und den Aussichten für eine nachhaltige Stabilität des Euro. Das Ergebnis ihrer Untersuchungen ist nicht einheitlich und auch die Prognose nicht eben günstig.
Ausgehend von der These, daß die europäische Währungsunion mehr aus politischen Gründen denn aus ökonomischen Sachzwängen propagiert und trotz Nichterfüllung der im Maastricht-Vertrag festgesetzten Kriterien der meisten Teilnehmerländer in Gang gesetzt wird, wird eine ganze Reihe kaum tilgbarer Risiken aufgezeigt. Es wird ganz einfach bezweifelt, daß der europäische Kontinent für eine Wirtschafts- und Währungsunion reif sei. Die Volkswirtschaften der Teilnehmerländer seien zu verschieden; die bisher mögliche Wettbewerbsverbesse-rung durch flexible Wechselkursanpassungen im Wege der Abwertung entfalle bei einem einheitlichen Wechselkurs. Somit seien Ungleichgewichte programmiert.
Das ohnehin schon innerhalb der Teilnehmerländer bestehende Gefälle im Produktionsbereich und insbesondere auf dem Beschäftigungssektor mit über 15 Millionen Arbeitslosen werde sich vertiefen und zu gefährlichen Verwerfungen führen. Der Maastricht-Vertrag sehe keine einheitliche Wirtschafts-, Haushalts- und Sozialpolitik vor. Vielmehr blieben diese Lenkungsinstrumente Angelegenheit einer Vielzahl dezentral handelnder Regierungen. Denk- und Verhaltensweisen der einzelnen Nationen seien abgesehen von den Sprachbarrieren ziemlich verschieden, wenn nicht zum Teil ganz gegensätzlich.
Offenbar werde vergessen, daß zwei Versuche, die "Lateinische Münzunion" zwischen Frankreich, Italien, Belgien, Schweiz und Griechenland im Jahr 1865 und die "Skandinavische Währungsunion" (18731924) gescheitert seien. Die Einführung des Dollars als Einheitswährung für die Vereinigten Staaten heranzuziehen sei ein stark hinkender Vergleich. Als Achillesferse für eine lebensfähige Währungsunion wird speziell die Inflexibilität der europäischen Arbeitsmärkte betrachtet. Sie seien durch Überregulierungen der Arbeitsbedingungen und Tarife, hohe Arbeits- und Sozialkosten sowie durch geringe berufliche und geographische Mobilität gekennzeichnet, die in der zu den USA vergleichsweise sehr hohen Arbeitslosenrate von durchschnittlich über elf Prozent gegenüber unter fünf Prozent in den USA offenkundig werde. Bei krisenhaften Entwicklungen, weiter zunehmenden Arbeitsplatzverlusten oder fühlbaren Lohnsenkungen sei die Gefahr von Arbeiterunruhen nicht auszuschließen. Die Rückkehr zu tiefgreifenden arbeitsmarktpolitischen Eingriffen nationaler Regierungen erscheine dann unausweichlich. Ausgabenerhöhungen und zu deren Finanzierung nötige Steuererhöhungen finden aber schnell ihre finanziellen und haushaltsgesetzlichen Grenzen.
Somit verbliebe den schwachen Ländern zum Ausgleich ihrer Defizite nur die Möglichkeit, von den prosperierenden Ländern Transferzahlungen zu verlangen. Derartige "Ausgleichszahlungen" seien aber im Maastricht-Vertrag nicht vorgesehen. Jedenfalls sei anzunehmen, daß im Fall wirtschaftlicher oder finanzieller Fehlentwicklungen oder einer anhaltenden Depression der Euro zum Sündenbock gestempelt werde. Die notleidenden Länder befinden sich dabei in einer Zwangsjacke, da ein Austritt aus der Währungsgemeinschaft nicht möglich sei und sie vielmehr bei Nichteinhalten der Maastricht-Kriterien Sanktionen zu erwarten hätten. Ob diese durchsetzbar wären, sei allerdings höchst fraglich.
Die erste große Herausforderung für den Euro komme, wenn auf die derzeit relativ günstige Konjunkturlage ein Abwärtstrend oder größere Einbrüche in abhängigen Märkten einträten. Wirtschaftlich und finanziell schwache Länder hätten mangels eigener Quellen keine Möglichkeiten, Wirtschaftskrisen oder von außen hineinwirkende Schocks aufzufangen. Es zeige sich dann, ob die zum Eintritt in die Währungsunion von einigen Staaten im Wege der "kreativen Buchführung" zurecht frisierten Stabilitätskriterien auf Dauer eingehalten werden könnten. Auf die Euphorie folge dann die Stunde der Wahrheit.
Zusammenfassend betrachtet münden die Einschätzungen der amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler in der Feststellung, daß die wirtschaftlichen Hauptprobleme Europas struktureller und nicht geldpolitischer Art seien. Ohne einschneidende Strukturreformen sei die sich lediglich auf die Stabilität des Euro konzentrierende Wirtschafts- und Währungspolitik der EU-Länder keine erfolgversprechende Lösung für die mit der Einheitswährung angestrebten Ziele.
Ein eher politisches Manko wird darin gesehen, daß es im Verhältnis USA Europa für den zweifellos vorhandenen transatlantischen Abstimmungsbedarf auf EU-Seite keinen zuständigen Ansprechpartner bzw. eine Instanz für notwendige Koordinierungsmaßnahmen gibt. Was, so wird gefragt, passiert im Fall von möglichen Unstimmigkeiten? Denn dieses Mal geht es um mehr als um Hähnchen. Immerhin hat die EU eine Bevölkerung von rund 370 Millionen, davon rund 300 Millionen in "Euroland", die USA von 267 Millionen. Die USA und die EU produzieren fast die Hälfte aller Güter und Dienstleistungen der Welt und bestreiten über die Hälfte des Welthandels. Die EU ist für die USA der weitaus größte Handelspartner mit einem Gesamtvolumen von über 250 Milliarden Dollar jährlich. Sie sind beiderseits die größten Investoren. Ausmaße und gegenseitige Abhängigkeit der beiden Wirtschaftspartner bewegen sich daher in einer Größenordnung, die notwendigerweise einer besonderen Beachtung und Kooperation bedarf. In seinem kürzlich erschienenen Buch "Sackgasse Europa der Euro kommt, die EU zerbricht" stellt John Newhouse, früherer Berater der US-Regierung und heute Dozent an der Brookings Institution, einer der bekanntesten "Denkfabriken" der USA, in einer tiefschürfenden Analyse fest, daß der künstliche Staatenbund Europa bereits den Keim des Scheiterns in sich trage, da die wirtschaftlichen Interessengegensätze dem Großraum Europa entgegenwirkten, sozial Spannungslinien entlang der Nord-Süd-Sollbruchstelle zu zerreißen drohen, die machtpolitischen Egoismen Frankreichs, Englands und Deutschlands die Handlungsfähigkeit der EU lähmten und der Euro den Volkswirtschaften mehr schade als nütze.
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