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Politiker und Journalisten können aufatmen. Das von beiden Berufsgruppen gleichermaßen gefürchtete Sommerloch ist ausgeblieben. Zwei tragische Ereignisse, nämlich der Bombenanschlag in Düsseldorf und die Kampfhundattacke in Hamburg, verhalfen unseren Volksvertretern zu einem Sommertheater und füllten die Spalten der Organe des deutschen Medien- und Meinungsbetriebs, die gewöhnlicherweise in der ereignislosen Sommerzeit nur wenig Aufsehenerregendes vorzuweisen haben.
Trotz der großen Unterschiede in der Sache weisen beide Fälle erstaunliche Parallelen auf. Diese These mag auf den ersten Blick abwegig erscheinen. Doch offenbaren beide Vorgänge bei genauer Betrachtung einen ungezügelten politischen Aktionismus, der jeweils mit einer Medienkampagne einhergeht und zu Maßnahmen führt, die den Rechtsstaat und die Demokratie beschädigen werden.
Hier wie dort ist ein tragischer Vorfall Auslöser der staatlichen Aktionen gewesen. In Düsseldorf fielen Reisende einer versteckten Handgranate zum Opfer. In Hamburg wiederum starb ein Kind, das von zwei gefährlichen Hunden angefallen worden war. Während in Hamburg die Täterschaft eindeutig ist, tappen die Ermittler in Düsseldorf bis zum heutigen Tag noch vollkommen im dunkeln. Weder über Motiv noch Täter lagen bis Redaktionsschluß Erkenntnisse vor. Als aber bekannt wurde, daß sich unter den Opfern auch Juden befanden, haben Politiker aller Bundestagsparteien die Tätergruppe sofort ausgemacht. Die "Rechten" warens, wer sonst! Unisono forderten sie, daß nun endlich "Schluß mit dem rechten Terror" sein müsse. Innenminister Otto Schily und seine Kollegen in den Bundesländern kündigten an, nunmehr mit aller Härte gegen den Rechtsextremismus oder besser das, was sie dafür halten vorzugehen.
Die deutschen Medien sekundieren fast im Gleichschritt eilfertig und berichten reißerisch über die angeblich so staatsgefährdenden Umtriebe der "Neonazis".
Als solcher gilt übereifrigen Polit-Tugendwächtern bereits, wer ein bestimmtes Aussehen hat oder eine bestimmte Kleidung trägt. Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel ließ sich bei einem Rundfunkinterview zu der Forderung hinreißen, daß jeder, der eine Glatze habe, ohne unter Haarausfall zu leiden, und eine Bomberjacke trage, dies zukünftig zu erklären habe. Der Ministerpräsident und alle wehrdemokratischen Eiferer sollten folgendes bedenken: Nicht jeder, der seine Haare kurz trägt, der gegen Asylmißbrauch protestiert, die Kriegsschuldfrage stellt, Königsberg statt Kaliningrad und Negerkuß statt Schokoladenschaumkuß sagt, der die Arbeitserlaubnis für ausländische Computerfachleute ablehnt oder den Austritt aus der EU fordert, ist automatisch ein Rechtsextremist, Rassist, Ausländerfeind oder gefährlicher Nationalist und schon gar kein Krimineller, dem automatisch Rechte und Ehre zu beschneiden wären. Vielleicht hat er sich nur seinen freien Geist bewahrt und wagt das angesichts einer sich drohend abzeichnenden Gesinnungsdiktatur Unerhörte, indem er von seinem konstitutionell garantierten Recht Gebrauch macht, seine freie Meinung zu äußern, die von der durch Politiker und Medien abgeforderten Ansicht abweicht. Nun soll er der Denunziation und Verfolgung nach dem informell längst existierenden "Gesinnungsstrafrecht" ausgesetzt werden?
Selbst bei jemandem, der rechtswidrig ein Hakenkreuz an eine Wand schmiert, den Hitlergruß entbietet oder Ausländer attackiert, handelt es sich in vielen Fällen weniger um ein politisches Bekenntnis, sondern vielmehr um einen Grad von Dummheit, der eine dezidierte politische Gesinnung gar nicht zuläßt. Wer sich selbst schwach fühlt, versucht, dies zu kompensieren, indem er gegenüber vermeintlich noch Schwächeren seine eingebildete Überlegenheit demonstriert. Wenn ihm dann noch die Ehre zuteil wird, vom kleinen Würstchen zur "Gefahr für Staat und Gesellschaft" hochgejubelt zu werden soviel Aufmerksamkeit bekommen prügelnde Hohlköpfe sonst nirgends. Potentiellen Nachahmungstätern läuft da schon das Wasser im Munde zusammen. Daß die Suche nach öffentlicher Aufmerksamkeit zur Sucht werden kann, sollte im Zeitalter der Talkshow-Flut niemanden mehr überraschen "nur" daß eine Schar besonders Durchgeknallter jene Sucht befriedigt, indem sie sich zum Monster stilisiert. Gewalttätigkeit allein reicht da in unserer Gesellschaft nicht mehr. An die haben wir uns gewöhnt. Erst die pseudopolitische braune Tünche macht den miesen Schläger zum nationalen Ereignis.
Hier einmal sollten Politiker ansetzen und bedenken, daß ein Jugendlicher, der tagsüber einer bezahlten Arbeit nachgeht, in seiner Freizeit seinem Hobby frönt oder sie mit sich zufrieden bei Freunden und Familie verbringt, weder Ausländer verprügelt noch "Heil Hitler" grölt. Dies gilt auch für denjenigen, dem eine solide Werteordnung vermittelt worden ist, der sein eigenes Handeln an gewachsenen Traditionen orientieren kann und der in einem Land mit einer gefestigten nationalen Identität lebt. Daran jedoch fehlt es hierzulande.
Was einem Politiker widerfährt, der dies öffentlich anspricht, mußte vor wenigen Tagen Hessens Ministerpräsident Roland Koch erfahren. Er sieht eine Ursache für das Fehlverhalten vieler Jugendlicher darin, daß es vielen der sogenannten kleinen Leute an Geborgenheit fehle, daß sie anläßlich der den Menschen aufgezwungenen europäischen Einigung Angst vor dem Verlust des Nationalstaates hätten und befürchteten, zu den Verlierern der Globalisierung zu gehören. Welch böser Verstoß gegen die "Political Correctness", jene uns von Berufsbetroffenen, Vergangenheitsbewältigern, Antifaschisten und Feministinnen aufgezwungene Verhaltens- und Denknorm. Nun sieht Koch sich unvermittelt selbst in die "rechte" Ecke gestellt und als Desinformant verunglimpft. Zwar bescheinigt der Kommentator des "Hamburger Abendblattes" ihm noch gönnerhaft, sonst doch ein ganz vernünftiger Mann zu sein, unterlegt jedoch zugleich, daß derjenige, der hier Klartext spricht, nicht mehr Herr aller seiner Sinne sein könne. Ist die Forschung nach den Ursachen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen also nichts mehr für verantwortungsbewußte Politiker, sondern nur noch etwas für Irregeleitete? Der nüchterne Beobachter hat eher den Eindruck, daß die Irregeleiteten in den Parlaments- und Parteigremien und den Amtsstuben zu finden sind. Denn hier wird zur undifferenzierten Jagd auf alles vermeintlich Rechtsextreme geblasen. Daß jeder, der gegen die Regeln der "Political Correctness" verstößt, bis hin zur Existenzvernichtung geächtet werden darf, gehört schon längst zum politischen, publizistischen und wissenschaftlichen Alltag hierzulande. Jetzt soll er zudem auch noch kriminalisiert werden und mit ihm alle, die eine bestimmte Frisur tragen, sich nach einer bestimmten Mode kleiden oder sich in bestimmter Weise gebärden. Die Bevölkerung wird aufgefordert, ihr Umfeld nach "rechtsextremistischen" Umtrieben abzusuchen und sofort Meldung zu erstatten. Erich Mielke und seine Stasi lassen herzlich grüßen. Wahrlich, ein beeindruckender Erfolg für unsere Demokratie, passend zum bevorstehenden zehnten Jahrestag der sogenannten deutschen Einheit, an dem auch der Opfer des kommunistischen Überwachungsstaates gedacht werden soll. Nun also greifen führende Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland, die für sich in Anspruch nimmt, eine der gefestigtsten Demokratien der Welt zu sein, selbst zu diesen freiheitsgefährdenden Methoden, die man mit dem Untergang der DDR in Deutschland überwunden glaubte. Der ungezügelten Denunziation wird Tür und Tor geöffnet. Bespitzelung, Vertrauensbruch und Mißtrauen werden in Deutschland wieder Konjunktur haben.
In einer Diktion, die an finstere Kapitel europäischer Geschichte erinnert, verkündeten Polizei und Staatsanwaltschaft während einer Pressekonferenz triumphierend, daß nach dem Hinweis aus der Bevölkerung bei einer großangelegten Hausdurchsuchung ein T-Shirt mit aufgedruckter Wolfsangel, eine Postkarte mit dem Porträt von Rudolf Heß und ein Briefumschlag mit 200 Mark beschlagnahmt werden konnten. Welch überwältigender Erfolg der Staatsschützer. Wie weit wird die Grenze herabsinken, jenseits derer man zukünftig als Rechtsextremist verfolgt werden kann? Wird demnächst schon der Besitz von Opas Eisernem Kreuz strafbar sein? Wie schnell wird man zukünftig stigmatisiert oder gar kriminalisiert werden und seiner Rechte verlustig gehen?
Zu diesen Rechten gehört es bisher noch, sich einer Partei anzuschließen oder eine solche wählen zu können. Dabei zählt es zu den Grundpfeilern einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, daß es unerheblich ist, wie die etablierten Parlamentsparteien über diese oder jene andere Partei denken. Grundrechte gelten auch für Personen und Gruppierungen, die dem politischen Establishment ebenso zuwider sind wie den Wirtschaftsverbänden, Gewerk-schaften, Kirchen oder der Masse des Volkes. Ganz anders freilich sieht es aus, wenn Parteien per Programm die Demokratie abschaffen oder offen zur Gewalt aufrufen. Doch das muß ihnen vor Gericht nachgewiesen werden.
Im Falle der NPD wird jetzt eine bedenkliche Hilfskonstruktion gebastelt. Es soll, so ist vermehrt zu hören, für ein Verbot genügen, wenn nachgewiesen werden kann, daß Anhänger dieser Partei in dem Anschein nach politisch motivierte Straftaten verwickelt sind. Man muß der NPD weder nahestehen noch sich mit ihren Zielen identifizieren, um diesem Vorgang mit äußerstem Mißtrauen zu begegnen. Hier wird die Axt an eine der Wurzeln der Parteiendemokratie gelegt, weshalb eigentlich ein Aufschrei durch alle Parteien gehen müßte auch durch die linken. Wer kann schon wissen, wer der nächste ist. Denn kann eine Partei erst für das Verhalten ihrer Anhänger mit der Maximalstrafe des Verbots belegt werden, ist es ein leichtes, die Verbotsgründe mit wenig Aufwand von interessierter Seite zu konstruieren. Eine Allzweckwaffe wird hier geschmiedet, die sich eines Tages Gott weiß wer zunutze machen kann.
Ungeachtet der vorangegangenen Kritik an dem blinden politischen Aktionismus ist unmißverständlich festzustellen: Gewaltbereiter Extremismus ganz gleich von woher er rührt, mit welchem ideologischen Banner er sich schmückt darf nicht bagatellisiert werden. Wer sich den (sogar gewalttätigen) Kampf gegen die staatliche Ordnung zum Ziel gesetzt hat, wer Friedhöfe und Gedenkstätten schändet, Menschenjagden veranstaltet oder Obdachlose malträtiert, gehört bestraft. Allerdings ist es befremdlich, wenn ein mit nur geringen Geistesgaben gesegneter Jugendlicher, der ein "Nazilied" abgespielt haben soll, innerhalb von 24 Stunden verurteilt wird, während ein Schwerkrimineller aus der Untersuchungshaft in die Freiheit entlassen werden muß, weil ihm nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von sechs Monaten der Prozeß gemacht wird. Hier wird die Gewichtung der Taten in nicht nachvollziehbarer Weise verschoben. Der von den Politikern zur Rechtfertigung staatlicher Härte vorgebrachte Vergleich mit dem früheren Vorgehen gegen die RAF und ihr politisches Umfeld indes ruht auf tönernen Füßen. Seinerzeit hat eine straff geführte und zum Äußersten entschlossene revolutionäre Gruppe den bewaffneten Kampf gegen diesen Staat und seine Gesellschaftsordnung nicht nur propagiert, sondern ihn mit äußerster Brutalität auch jahrelang praktiziert. Diesem Kampf sind außer Repräsentanten von Staat und Gesellschaft auch unbeteiligte Bürger und hohe Sachwerte zum Opfer gefallen. Die Aktivitäten der rechtsextremen Szene dagegen sind noch weit davon entfernt, eine solche Qualität zu entfalten. Sie beschränken sich zumeist auf das Zeigen verbotener Symbole, das Singen oder Abspielen indizierten Liedgutes und entsprechende verbale Äußerungen. Übergriffe auf Menschen bleiben bislang glücklicherweise abscheuliche Einzelfälle. So kommen die Verfassungsschützer auch nicht um die Feststellung herum, daß eine reale Gefahr für die staatliche Ordnung derzeit nur von links ausgehe. Gleichwohl vertritt Bundesinnenminister Schily die Auffassung, daß sich die Aktivitäten schwerpunktmäßig gegen Rechts zu richten hätten. Das Thema beherrscht derzeit in einer Weise die Medien, die weit über seiner tatsächlichen Bedeutung liegt. In den abendlichen Hauptnachrichten wird als erstes gemeldet, daß in einer mitteldeutschen Kleinstadt einige betrunkene Jugendliche "Heil Hitler" gerufen hätten. Erst dann wendet sich der Nachrichtensprecher den großen Geschehnissen der Welt zu.
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