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Samizdat-Ausstellung gewährt Einblicke in das östliche Doppelleben

 
     
 
Die Ausstellung über de "Samizdat" in Osteurop öffnet ein Fenster zu einem beinahe unbekannten Raum der Zeitgeschichte: In de geheimnisumwitterten Bezirk der alternativen Kulturszene des Ostblocks, deren illegal Öffentlichkeitsarbeit die kommunistische Staatsmacht zur Weißglut brachte. Es ist ein einzigartige Exposition, die Wolfgang Eichwede, Direktor der Forschungsstelle Osteurop der Universität Bremen (und nebenbei Unterhändler in den Beutekunstverhandlungen), d auf den Weg gebracht hat. In ovalen Tischvitrinen sind Manuskripte
, Bücher, blass Typoskripte, primitiv gebundene Drucke zu besichtigen, deren äußere Anspruchslosigkei in umgekehrt proportionalem Verhältnis zu ihrer geistig-politischen Brisanz steht und die mittlerweile von unbestrittenem Symbolwert sind: Literarische Texte, Gedichte, Essays politische Manifeste. Heimliche Mitschriften und Notizen über Prozesse und Verhöre, die unter der Hand verbreitet wurden. Das Telegramm von Lev Kopelev, in dem er 1954 seine Vater seine Rückkehr aus dem Gulag ankündigt – er war eingesperrt worden, weil e in Ostdeutschland gegen Greuel der Roten Armee einschritt. Man liest die Namen von Jose Brodskij und Václav Havel, von Anna Achmatova, Adam Michnik und György Konrád (de heute als Berliner Akademiepräsident amtiert), von Sacharow und Solschenizyn: Die ganz Aristokratie der Regimegegner ist vertreten, aber auch viele namenlose Widerständle erhalten Namen und Gesicht.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Ausstellung ausgesprochen textlastig ist un ein Höchstmaß an Konzentration erfordert. Andererseits vermitteln die Arrangements de Installationen und Fotos viel von der klandestinen Atmosphäre, der Furcht und de erforderlichen Mut jener Zeit. Das ausgestellte Schreibmaschinen-Exemplar vo Solschenizyns Gulag-Roman "Im ersten Kreis der Hölle" ist von Wasserschäde gezeichnet – sein Besitzer hatte es wegen möglicher Hausdurchsuchungen unter de Badewanne versteckt gehalten.

Auf den ersten Blick erscheint es verwunderlich, wie der Samizdat mit seiner geringe Verbreitung und seinen primitiven technischen Möglichkeiten – beispielsweise mußt eine Mischung aus Schuhcreme die fehlende Druckerschwärze ersetzen – bei allmächtigen Staat derart wütende Reaktionen auslösen konnte. Die Angst des Regimes wa jedoch folgerichtig, denn eine ihrer Grundlagen war die Vernichtung der Öffentlichkeit also der unzensierten Kommunikations-, Informations- und Beteiligungsverhältnisse, die eine freie politische Willensbildung, Kontrolle, Vermittlung und Organisation ers ermöglichen. Einzig der Standpunkt der Partei durfte Geltung haben, und zu diesem Zwec wurde über die erlebbare Wirklichkeit die große propagandistische Lüge gestülpt. E war das Ideal der Machthaber, daß die Menschen diese Lüge tatsächlich glaubten. Diese Zustand am nächsten kam die Sowjetunion unter Stalin. Westliche Besucher erlebten in de dreißiger Jahren, daß Moskauer Jugendliche ernsthaft behaupteten, daß die U-Bahnen ein ursowjetische Errungenschaft seien. In dieser Atmosphäre kollektiven Wahnsinns konnte ei Vortrag unzensierter Texte im engsten Freundeskreis bereits ein todeswürdige "Verbrechen" bedeuten. Im Prinzip genügte es aber, wenn die Leute sic außerhalb ihrer vier Wände zumindest so verhielten, als würden sie die Propaganda fü wahr halten und die Häuser zum Zeichen ihrer Unterwerfung mit Fahnen und Losunge dekorierten. Das "Doppeldenken", die Trennung zwischen der privaten und de öffentlich geäußerten Meinung, prägte den Alltag. Ein bescheidener Wohlstand belohnt diejenigen, die den Entzug der politischen und Meinungsfreiheit unwidersprochen hinnahmen.

Nur einzelne versuchten, jenseits des Staates einen öffentlichen Raum herzustellen, in dem Gedanken, Meinungen und Informationen unzensiert fließen konnten. Dahinter steckt das elementare Bedürfnis, die eigene Würde als Mensch und als Citoye wiederherzustellen. Der russische Regimegegner Andrej Aralmik drückte das so aus "Die Andersdenkenden vollbrachten eine Tat von genialer Einfachheit – in eine unfreien Land begannen sie, sich wie freie Menschen zu benehmen." Es handelte sich u eine Minderheit, eine Elite, die sich aus allen sozialen Schichten konstituierte un bereit war, neben polizeilicher Verfolgung auch soziale Deklassierung un gesellschaftliche Stigmatisierung in Kauf zu nehmen. Václav Havel hat fünf Jahre in Gefängnis zugebracht: Sein Schicksal erscheint milde im Vergleich zu dem des russische Dichters Ossip Mandelstam, der Ende 1938 in einem Lager starb.

Für die illegalen Druckerzeugnisse setzte sich das russische Abkürzungswor "Samizdat", abgeleitet von "sam sebja izdat" – "sich selbs herausgegeben", kurz: "Selbstverlag" – durch. Verlegt wurden auße literarischen Texten politische Exkurse oder brisante geschichtliche Darstellungen wie die über den deutsch-sowjetischen Vertrag von 1939. Die Praxis und die Folgen dieser Arbei hat Aralmiks Kollege Wladimir Bukowski auf die bestechende Formel gebracht: "Ma schreibt selbst, redigiert selbst, man zensiert selbst, verlegt selbst und sitzt auc selbst die Strafe dafür ab."

Der Ostblock war alles andere als monolithisch. Neben der Sowjetunion reagierten die Behörden in der Tschecho-Slowakei mit besonderer Härte. Der slowakische Historiker Já Mlynárik veröffentlichte 1977 in einer Exilzeitschrift seine "Thesen zu Aussiedlung der  tschecho-slowakischen Deutschen", in denen er die Vertreibung der Sudetendeutschen als ungelöstes Problem der tschechischen Gesellschaf ungeschminkt beim Namen nannte. Auch innerhalb des Landes löste er damit Diskussione aus. Die wütenden Proteste, die Václav Havel 1990, als er an diesen Diskussionsstan anzuknüpfen versuchte, von den eigenen Landsleute entgegenschlugen, bedeuteten ein Ernüchterung. Zeigten sie doch auch, wie weit das Reflexionsniveau de Bevölkerungsmehrheit von dem der Samizdat-Elite entfernt war und daß die Denk- un Informationsverbote des Regimes einem verbreiteten Bedürfnis nach Amnesie und moralische Bequemlichkeit entgegengekommen waren. In Ungarn, der, nach einer damals populäre Redewendung, "lustigsten Baracke des sozialistischen Lagers", reagierte de Staat elastisch. Hier war es möglich, daß Schriftsteller, die auch in offizielle Verlagen publizierten, nichtgenehmigte Texte an Samizdat-Verlage gaben, ohne automatisc mit Berufsverbot belegt zu werden. In Polen weitete sich die oppositionelle Untergrund- zu einer massenhaften Sozialbewegung aus, welche die kommunistische Propaganda un Regierungsmacht mehr und mehr konterkarierte und deren Vitalität auch durch die Verhängung des Kriegsrechts nicht gebrochen werden konnte. Mitunter wurde der Samizda zum "Tamizdat" ("Tam", russisch: dort), das heißt, Manuskripte, die im Osblock verfaßt worden waren, wurden im Westen publiziert: Das folgenreichst Tamizdat-Buch ist Solschenizyns Roman "Archipel Gulag", der das ausländisch Bild der Sowjetunion nachhaltig veränderte.

Noch am Eröffnungstag beschwerte sich ein Besucher im Gästebuch, weil die Ausstellun auch die DDR unter Ost- bzw. Ostmitteleuropa verbucht. Dieser Einwand besitzt sein Berechtigung, war doch das ganze künstliche Ensemble der sogenannten Ostblockstaate darauf aufgebaut, die Mitte des Kontinents so zu fixieren, daß die Nutznießer, die Verwaltungsmächte Ostdeutschlands, hofften, durch Zeit in den Besitz dieser Regionen zu kommen. Daß dabei auch kulturpolitische Elemente aus diesen Regionen einflossen, konnte insbesondere durch den Verlust der nach Westdeutschland geflohenen Ober- un Mittelschicht, kaum verwundern. Die Abwehrkräfte waren freilich zunächst viel zu schwach, doch muß man registrieren, daß gerade aus der nachgewachsenen Oberschicht au der SED neue Impulse kamen. Auch in anderer Weise bildete die DDR einen Sonderfall, de sich im nationalen begründet: denn aufgrund der fehlenden Sprachbarriere stellten die funkelektronischen Medien der Bundesrepublik eine "Gegenöffentlichkeit" de besonderen Art dar. Und Rudolf Bahros provozierende Streitschrift "Di Alternative" (1977), die die SED-Führung fast in den Veitstanz versetzte, fand in der DDR weniger als Samizdat-Exemplar, vielmehr als westdeutsches Taschenbuch ihr klammheimliche Verbreitung. Für verfolgte Oppositionelle bedeutete die Bundesrepubli zunehmend eine Schutzinstanz, die seit 1964 gegebenenfalls politisch Bedrängte auc freikaufen konnte.

Rückblickend ist zu fragen, ob diese deutsch-deutsche Nähe, diese Patronisierung, s hilfreich sie war, nicht auch das politische Denken in der DDR verkümmern ließ und daz führte, daß die DDR-Bürger die Formulierung eigener Interessen bereits zu Mauerzeite nach Westdeutschland delegierten. Was in der DDR im "Untergrund" gedruckt wurde war überwiegend unpolitisch. Nach 1989 wurde die Infiltration der Opposition durch die Stasi bekannt, was sogar mitunter das scherzhafte Urteil aufkommen ließ, die alternativ Künstlerszene am Berliner Prenzlauer Berg sei bloß eine geheimdienstliche Simulatio gewesen. In der Ausstellung steht ein Foto des Szene-Gurus Sascha Anderson, der durch Wol Biermann als "Stasi-IM Sascha Arschloch" enttarnt wurde, inmitten der Bilde seiner alternativen Dichterkollegen emblematisch für die Schwierigkeit, den DDR-Samizda innerhalb von Havels "Macht-Ohnmacht-", "Wahrheit-Lüge"-Schemas zu definieren. Die in kleiner Ausgabe herausgegebenen Kunstbücher des Prenzlauer Bergs ware zuletzt schon im Moment ihres Entstehens begehrte Sammelobjekte für ausländisch Kunstsammler und hatten unverkennbar geldwerten Warencharakter angenommen.

Die osteuropäische Samizdat-Szene ist heute weitgehend in der Versenkung verschwunden Nur einzelne, herausragende Figuren wie Václav Havel oder Adam Michnik üben auch in de postsozialistischen Gesellschaften politischen Einfluß aus. Zu ihnen zählt auch Gábo Demsky, "Faktotum" (G. Konrád) des ungarischen Samizdat, heut Oberbürgermeister von Budapest. In seiner Ansprache zur Ausstellungseröffnung fordert er energisch die Aufnahme Ungarns und anderer Länder in die EU, was aber wahrscheinlic angesichts der nicht mehr bezahlbaren Kosten wahrscheinlich noch lange dauiern wird. Al Hauptredner fungierte der DDR-Bürgerrechtler und Molekularbiologe Jens Reich, der vo 1989 einige Jahre in Osteuropa gelebt, gearbeitet und auch dort selber Beiträge für die Samizdat-Presse beigesteuert hatte. Reich, der eine intellektuell und rhetorisch brillant Rede hielt, nannte als Hauptleistung des Samizdat die allmähliche Zivilisierung de Diktaturen, die ihre unblutige Transformation erst ermöglicht habe. Gescheitert seien die Samizdat-Protagonisten freilich in dem Bemühen, Bürgerrechtsideen in den neue politischen Alltag einzubringen. Offensichtlich sprach er über seine eigenen Erfahrunge aus den Jahren 1989/90.

Dieses melancholische Fazit tut der großartigen Qualität der Ausstellung keine Abbruch, und der ausgezeichnete Katalog ist ein Muß für alle, die sich für die ost und  ostmitteleuropäische Zeitgeschichte interessieren.

*

"Samizdat. Alternative Kultur in Zentral- und Osteuropa: Die 60er bis 80e Jahre". Akademie der Künste, Berlin, Hanseatenweg 10. Die Ausstellung ist bis zu 19. Oktober geöffnet. Mittwochs Eintritt frei. Der Katalog kostet 48 DM.


 
     
     
 
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