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Deutschland war vor 15 Jahren glücklich. Es wird Zeit, daß auch Korea endlich einmal Glück hat", meinte Hong-Koo Lee, Südkoreas früherer Premierminister, zum Autor dieses Artikels. Das Unglück der koreanischen Patrioten ist nachfühlbar. Ihre nördlichen Landsleute sind mit der mörderischen Des-potie der Kims gestraft, der letzten stalinistischen Diktatur der Welt. Ihr bevorstehender Untergang wurde angesichts des anhaltenden wirtschaftlichen Niedergangs und der Hungersnöte des konkursreifen Landes immer wieder beschworen. Doch retteten die Energielieferungen aus China, die internationale Nahrungshilfe sowie Japans Exporte von Raketen und Drogen und eine rücksichtslose Repression allen wirklichen oder fiktiven Widerstands stets die Herrschaft des Militär- und Parteiapparats, der seit dem Tod seines gottesähnlich zwangsverehrten Vaters Kim Il-sung vor zehn Jahren vom 62jährigen Kim Jong-il absolutistisch kontrolliert wird. Als nunmehr letzte Karte versucht das Kim-Regime die nukleare Erpressung, wohlwissend daß für die Bush-Präsidentschaft eine neue Koreakrise zur Unzeit käme. Im Irak heillos verstrickt, üben sich die Amerikaner gegenüber dem viel gefährlicheren Nordkorea nur im Maulheldentum und machen damit alles nur noch schlimmer. Derweilen sucht Südkorea in seiner Verzweiflung mehr und mehr sein Heil in der Freundschaft zu China, der traditionellen Schutzmacht des Nordens.
Zum 56. Gründungstag der Demokratischen Volksrepublik Nordkorea schaltete die Propagandaabteilung der Vereinigten Arbeiterpartei die üblichen Jubelanzeigen zum Lobe des "lieben Führers", der "Sonne des 21. Jahrhunderts". Als eine der letzten Bastionen des Sozialismus sei Nordkorea ein unabhängiger Selbstversorger, mit kostenloser Bildung und Gesundheitsversorgung. Ohne Steuern und ohne Arbeitslosigkeit kämpfe es als Arbeiter- und Bauernparadies erfolgreicher als alle anderen Staaten gegen Unterwerfung und Fremdherrschaft.
Tatsächlich sind nach dem Wegfall der sowjetischen Subventionen nach 1987 Industrie, Landwirtschaft und Energieversorgung weitgehend zusammengebrochen. Billiges sibirisches Öl, das zu einem Viertel des Weltmarktpreises auf Kredit geliefert wurde, hatte die Schwerindustrie, das Eisenbahnnetz, die Düngemittelproduktion und die Pumpen der Bewässerungsanlagen am Laufen gehalten. Während der japanischen Kolonialzeit (1910-45) war die industrielle Basis mit dem Eisenbahnnetz, das nach wie vor 90 Prozent des Frachtaufkommens bewältigt, und die Förderung der Bodenschätze des Nordens (Kohle, Mangan, Blei, Zink, Wolfram, Uran, Gold, Silber) als Rohstoffe und Halbfertigwaren entwickelt worden. Nach dem Koreakrieg (1950-53) wurde der Norden - im Gegensatz zum agrarischen Süden - mit sowjetischer Hilfe kollektiviert und schwerindustrialisiert. Aus dieser Zeit stammen auch die meisten Industrieanlagen.
Anfang der 70er Jahre ließ Kim Il-sung für drei Milliarden US-Dollar westliche Industrieanlagen und für sein Politbüro eine Volvoflotte importieren. Leider überforderten die Anlagen seine Industriefunktionäre. Ihnen gelang es nie, damit die Exporterlöse zu erwirtschaften, die für ihre Bezahlung gedacht waren. Da der Schuldendienst für die Westkapitalisten nie ernsthaft erwogen wurde, wuchs Nordkoreas Schuldenberg mittlerweile auf 14 Milliarden US-Dollar. In Ermanglung von Ersatzteilen und einer sachgemäßen Wartung wurden die irreparablen West- wie Sowjetmaschinen und -fahrzeuge mittlerweile zum Schrottwert nach China verkauft. Schon 1997 berichteten viele Reisende, die meisten Fabriken im Nordosten befänden sich im Zwischenstadium zwischen Ruine und Schutthaufen. Nach vorsichtigen Schätzungen ist seit 1990 die Industrieproduktion um 90 Prozent und das Bruttoinlandsprodukt um 60 Prozent gefallen. Selbst Serbien und Albanien können noch bessere Zahlen vorweisen. Die wenigen verbliebenen knappen Ressourcen schluckte der Militärapparat gänzlich.
Die Energieengpässe sind dramatisch. Auf nächtlichen Satellitenaufnahmen ist ganz Nordkorea in tiefes Dunkel getaucht. Selbst die Leuchttürme leuchten nicht länger. Eigentlich beträgt Nordkoreas Energiekapazität sieben Millionen Kilowatt - je zur Hälfte aus Wasser- und Heizkraftwerken gespeist. Wegen erschöpfter Kohlevorkommen, defekter Turbinen und fehlenden Ölimporten stehen die meisten Kraftwerke jedoch still. Es kommen nur etwa zwei Millionen Kilowatt bei den Abnehmern an. Das entspricht dem Stromverbrauch einer amerikanischen Großstadt. Die 22 Millionen wesentlich sparsameren Nordkoreaner können damit aber nur knapp die Hälfte ihres Mindestbedarfs decken. Der Strom fällt regelmäßig aus. Züge, Pumpen und Aufzüge bleiben stehen. Beleuchtung stiftet nachts nur das Kerzenlicht. Zum Heizen wurden die meisten Wälder als Feuerholz gefällt. Die Bevölkerung ist zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs. Ochsengespanne ersetzen Traktoren. Der Massenarbeitseinsatz mit Spaten und Schubkarre den Bagger. Benzin gibt es nur für Armeefahrzeuge und die Pkws der Nomenklatura in Pjoengjang.
Ganz offensichtlich steckt die nordkoreanische Wirtschaft in der Armutsfalle. Mangels eigener Produktion lebt das Land von der kargen Substanz. Die Eigenkapitalbilanz ist negativ. Allein um den Infrastrukturverfall aufzuhalten, wäre jährlich eine Kapitalinfusion von einer Milliarde US-Dollar nötig. Im Außenhandel beträgt das Defizit jährlich zwischen 300 und 900 Millionen US-Dollar. Weder Gangsterstücke wie der Drogenhandel, der Vertrieb von Falschgeld, Raketenexporte in den Mittleren Osten, noch die Erpressung von Hilfsgeldern aus Südkorea, Japan und dem Westen vermögen diese Defizite zu beheben. Sie finanzieren lediglich die Bedürfnisse der führenden Militär- und Parteikader.
Nordkorea ist von Bergketten durchzogen. Die Winter sind bitterkalt, die Sommer heiß und trocken. Heftige orkanartige Gewitter verursachen regelmäßig Überschwemmungen und Erdrutsche. Da nur 18 Prozent der Oberfläche für den Ackerbau geeignet sind, kann selbst bei guten Ernten die zu 60 Prozent in Städten lebende Bevölkerung von der eigenen Landwirtschaft nicht ernährt werden. Ein strukturelles jährliches Defizit von 1,5 bis zwei Millionen Tonnen Getreide müßte in jedem Fall durch Importe gedeckt werden. Während der großen Hungersnot von 1994 bis 1999 starben nach offiziellem Eingeständnis 240.000 Menschen, nach seriösen Schätzungen aber zwischen zwei und drei Millionen Menschen, die meisten in den abgelegenen Bergorten des Nordostens, wohin die politisch unzuverlässigen Mittelschichten von den Kims verbannt worden waren. Dort waren wie zu Zeiten von Stalins Kulakenkampagnen zwar die mageren Ernten vom Militär requiriert worden, doch kamen die versprochenen rationierten Rücklieferungen nie an. Es blieben Insekten, Wildgräser, Vogeleier und Baumrinde. Auch heute ist Unterernährung noch weitverbreitet. Häufig werden Sojabohnen und Süßkartoffeln mit Gras und Schrot zu einem kaum genießbaren Brei verkocht. Das Ergebnis sind Entwicklungs- und Immunschäden für eine ganze Generation. Auch jetzt leiden 40 Prozent der Kleinkinder unter Wachstumsstörungen.
Die internationale Nahrungshilfe aus China, den USA, Südkorea, Japan und der EU kommt zunächst der Armee, den Parteikadern und der Bevölkerung von Pjöngjang zugute. Der Rest wird vom Militär auf dem Schwarzmarkt verkauft. Etliche Hilfs-organisationen, wie Oxfam und Ärzte ohne Grenzen, sind wegen der staatsparteilichen Schiebungen aus Nordkorea abgezogen. Die Unterernährung großer Teile der Bevölkerung macht sie krankheitsanfälliger und erhöht die Sterblichkeit durch eigentlich heilbare Durchfall- und Lungenkrankheiten. Cholera und Tuberkulose werden von Arbeitslosen, die weder Lohn noch Essensrationen erhalten und hungernd das Land durchstreifen, weiter verbreitet. Dazu haben aufgrund defekter Rohre, des weitgehend verseuchten Grundwassers und nichtfunktionierender Pumpen 80 Prozent der Bevölkerung kein sauberes Wasser.
Die Zustände in den Krankenhäusern lösen regelmäßig das Entsetzen auswärtiger Besucher aus. Sie sind baufällig und ungeheizt. Patienten müssen oft auf dem Boden liegen. Selbst bei Operationen fällt der Strom aus. Es fehlt an allem: an einsatzfähigen Krankenwagen, an Betäubungs- und Arzneimitteln, ja selbst an Injektionsnadeln, Verbandszeug und Seife. Meist wird nur eine Diagnose gegeben. Für eine Behandlung muß extra bezahlt werden. Arzneien und medizinisches Gerät müssen gegen Euros (der offiziellen Auslandswährung) auf dem Schwarzmarkt oder aus China besorgt werden.
Auf den Zusammenbruch ihrer Industrieproduktion, Energie- und Landwirtschaft reagierte die nordkoreanische Führung erst im Juli 2002 mit ersten Reformen, die das Unvermeidliche zum Wohle der Nomenklatura legalisierten. Die einheimische Inflation, die sich auf 600 Prozent beläuft, exisitiert offiziell aber nicht. So kostete im Januar 2004 ein Kilogramm Reis in Tonggil 140 Won, im Juli schon 270 Won. Der offizielle - fiktive - Preis liegt bei 46 Won. Bei Durchschnittseinkommen von 3.500 Won (2,50 Euro) im Monat bleibt Reis für die meisten ein kaum erschwingliches Luxusgut. 80 Prozent der Einkommen müssen ohnehin für Nahrungsmittel aufgewandt werden.
Die wenigen lukrativen Betriebe arbeiten direkt für die Rechnung der Partei- und Militärfunktionäre. Dazu zählen die Bergwerke - darunter die Goldgruben -, die von den 200.000 Sklavenarbeitern des GULags betrieben werden, die Rüstungsbetriebe mit ihren Raketenexporten in den Mittleren Osten und etwa 200 Außenhandelsgesellschaften, die Pilze, Fische, Textilien, aber auch Meta-Amphetamine nach Japan und
Heroin nach Australien und Russisch-Fernost exportieren. In den Rüstungsfabriken, auf den Militärgütern und beim Bau von Bunkern und Stollen verbringen die eine Million Wehrpflichtigen den Großteil ihres achtjährigen Wehrdienstes als uniformierte Zwangsarbeiter. Als Privatunternehmen sind bisher erst Ein-Mannbetriebe für Handwerker, etwa für die Reparatur von Fahrrädern, und Imbißstuben zugelassen. Bauern dürfen weiter nur Kleingärten von 100 Quadratmetern selbst bewirtschaften. Allerdings ist es den landwirtschaftlichen Arbeitskollektiven jetzt gestattet, ihre Produktionsentscheidungen selbst zu treffen (vorausgesetzt, sie haben das Saatgut und die Jungtiere) und Überschüsse nach Erfüllung des Abgabesolls, sofern vorhanden, frei zu verkaufen.
Um dem chinesischen Modell von selektiven Wirtschaftsreformen ohne Herrschaftsrisiko nachzueifern, wurden bisher drei Sonderwirtschaftszonen (SWZ) eröffnet, allerdings mit bislang äußerst dürftigen Ergebnissen. In der seit 1991 bestehenden SWZ Rajin-Sambong am Tumen zur russischen Grenze funktioniert eigentlich nur ein Kasino neben den Kleinbetrieben einiger Nordkoreaner, die in Japan vornehmlich Teile des Nachtlebens und die pachinko-Spielhöllen kontrollieren und ihre Gewinne auf Befehl der Partei im Norden investieren. Vom Industriepark Käsung sind von der einige Kilometer südlich gelegenen Waffenstillstandslinie mit dem bloßen Auge bisher nur die Erdarbeiten einer Großbaustelle zu erkennen. Dort sollen Dutzende südkoreanischer Mittelstandsbetriebe mit Hilfe billiger nordkoreanischer Arbeitskräfte auf 6.000 Hektar Exportprodukte für den Weltmarkt fertigen.
Formal scheinen die SWZ-Regeln großzügig: Hundertprozentige Tochterunternehmen und der Transfer von Gewinnen ins Ausland sind zulässig. Doch stellt sich wie in allen anderen nomenklaturageführten Diktaturen, von Weißrußland bis Vietnam, schnell heraus, daß diese die Anwerbung und Ausbeutung von Auslandsinvestitionen als Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln sehen. Der nordkoreanische Staat verlangt für die Beschäftigung angelernter Arbeitskräfte 80 bis 120 Euro im Monat (von denen diese 5.000 Won, also 3,50 Euro erhalten), plus 25 Euro als "Sozialversicherung". Damit sind die Arbeitskosten Nordkoreas doppelt so hoch wie die Vietnams. Dazu kommen die landesüblichen Standortnachteile: der Mangel an verläßlichen Wirtschaftsinformationen (alle Statistiken sind Staatsgeheimnis), eklatante Infrastrukturdefizite: das Leben mit Notstromaggregaten und Kerzenschein, das Fehlen privater Telefonanschlüsse, die Beschlagnahme aller Schnurlos-Telefone, hohe Transportkosten: Eisenbahnen, die sich mit höchstens 30 Kilometer pro Stunde bewegen und Häfen, die bestenfalls nur Kleincontainer abfertigen können. Denn Nordkorea hat bis zur Stunde keine der im Jahr 2000 mit dem Süden ausverhandelten Verträge zu Eigentumsgarantien, der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der Doppelbesteuerung ratifiziert. Für Importe gibt es nirgendwo Exportversicherungen. Für eine Geschäftsaufnahme braucht jeder Investor oder Händler ein Ministerium als "sponsor", das alle Investitionen und Kundenkontakte zu genehmigen hat sowie die Löhne, Mieten und Absatzpreise festlegt. Bisher hat noch niemand in Nordkorea Geld verdient.
Die Bilanz der "Wirtschaftsreformen" bleibt ernüchternd. Die alte Fiktion von "Gleichheit" - in der Wohnraum, Nahrung, Elektrizität, Bildungs- und Gesundheitsdienste je nach politischem Status rationiert und gratis zugeteilt wurden - wurde zugunsten von Preisfreigaben aufgegeben. Diese begünstigen weiter massiv die Führungskader von Partei und Armee mit ihrem Zugang zu Devisen. Die Verlierer im Arbeiter- und Bauernparadies sind die Industriearbeiter und Kolchosbauern, deren Lebensbedingungen im spartanischen Helotenstaat sich seit 15 Jahren dauernd verschlechtern. Wie alle Sklavenhalterwirtschaften ist das nordkoreanische System innovationsresistent. Für die Revitalisierung der nordkoreanischen Wirtschaft bleiben die aktuellen "Reformen" plus die millionenstarken Extraeinkünfte aus politkriminellen Erpressungs- und Schmuggelaktionen absolut ungenügend. Sie können den ultimativen Zusammenbruch bestenfalls hinauszögern. Ob sie den unvermeidlichen Systemwechsel friedlicher zu gestalten vermögen, bleibt mehr als ungewiß.
Seltener Anblick: Viel mediales Aufheben wurde von den ersten erlaubten kommerziellen Werbeplakaten gemacht. Sie zeigen den Kleinwagen Huiparam ("Pfeife"), ein Fiat-Modell, das von einem südkoreanischen Hersteller in der nordkoreanischen Hafenstadt Nampo endgefertigt wird. Bei dem Kaufpreis von 7.000 Euro müßte ein Regierungsbeamter 300 Jahre lang sein gesamtes Gehalt für den Kauf sparen, ein Kolchosbauer gar die doppelte Zeit. |
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