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Amerikas weltumspannende indirekte Herrschaft stößt auf Widerstand vor allem in Asien und den muslimischen Ländern. Spätestens der 11. September hat gezeigt, daß die USA in ihrer Außenpolitik umdenken müssen.
Anlaß dieser „etwas anderen“ Rezension ist der Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001. Das zu besprechende Buch dient lediglich als Ausgangspunkt für Überlegungen über die Ursachen des Anschlags, die noch kaum öffentlich diskutiert werden.
In der „Welt“ vom 28. August 2001 hat Uwe Schmitt bereits die englische Originalausgabe des angezeigten Buches besprochen. Der Artikel trägt die bezeichnende Überschrift „Heftig, aber klug debattiert Amerika über sich selbst“. Darunter ist vermerkt: „Seitdem George W. Bush die Regierung führt, streiten sich die Eliten über die künftige Rolle der Vereinigten Staaten.“ Die Verlautbarungen unserer politischen Klasse zu dem Terroranschlag auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 in Presse, Rundfunk und Fernsehen sind zwar ebenfalls heftig, aber keineswegs klug zu nennen. Die Betroffenheit s- und Solidaritätsbekundungen sowie die „blinde Gefolgschaft seitens der Bundesregierung“ (Scholl-Latour) bezeugen moralischen Impetus, aber kaum politische Raffinesse. Mit der stereotypen Wiederholung der Formel vom Terrorismus, den es zu bekämpfen gelte, zielen sie am Kern des Problems vorbei. Weder findet die wichtige kritische politische Literatur aus den Vereinigten Staaten wie das Buch „Ein Imperium verfällt“ Beachtung, noch wird dieselbe ausgewertet, um Folgerungen für die aktuelle politische Stellungnahme zu ziehen.
Johnson, langjähriger Professor der politischen Wissenschaften an der University of California in Berkely und San Diego hinterfragt die Politik des weltumspannenden US-amerikanischen Imperiums kritisch und umfassend. Die Mission der USA bei der Errichtung der „Neuen Weltordnung“ (George Bush sr.) westlichen Musters wird in Asien und den muslimischen Ländern als nackter Imperialismus gesehen, den es zu bekämpfen gilt. Die Ankündigung eines Kreuzzuges durch George W. Bush bestätigt diese Sicht. Die US-amerikanische Kreuzzugsmentalität ist übrigens in Deutschland seit Dwight D. Eisenhowers „Kreuzzug in Europa“ wohlbekannt. Sie wird durch das bekannte Buch des einflußreichen Sicherheitsberaters und außenpolitischen Experten Professor Zbigniew Brzezinski, „Die Einzige Weltmacht“ (Beltz Quadriga Verlag, Berlin 1997), untermauert. Dort wird auf der Seite 92 unverblümt festgestellt: „Tatsache ist schlicht und einfach, daß Westeuropa und zunehmend auch Mitteleuropa weitgehend ein amerikanisches Protektorat bleiben, dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern.“ Wie Vasallen äußern sich denn auch zahlreiche deutsche Politiker. Lediglich der sachkundige Prof. Dr. Udo Steinbach vom Deutschen Orientinstitut hat es gewagt, öffentlich darauf hinzuweisen, daß die USA und die sogenannte „Westliche Welt“ darüber nachdenken müßten, ob sie nicht auch ein gerüttelt Maß eigener Schuld an dem entsetzlichen Anschlag vom 11. September in New York trügen. Eine weitere unabhängige Meinung leistete sich der bekannte Journalist und Islamkenner Peter Scholl-Latour in einem sehr beachtlichen Interview der neokonservativen Wochenzeitung „Junge Freiheit“ vom 21. September 2001: „Es geht um die Präsenz, sprich Hegemonie, der USA in den arabischen Ländern.“ Und: „In der Vorstellung der Attentäter und ihrer Gefolgsleute ist es natürlich ein Kampf des Islam gegen die Überfremdung durch die westliche Zivilisation und vor allem den American way of life.“ Solche Stimmen sind die Ausnahme im „Vasallenstaat“!
Wir müssen schon das Buch unseres Professors zur Hand nehmen, um ganz zu verstehen, worum es geht. Er sagte das Geschehen vom 11. September praktisch voraus: „Blowback“, das bedeutet Gegenwind, Rück-stoß. Im deutschen Volksmund sagt man: „Druck erzeugt Gegendruck.“ Johnson sagt: „Blowback is shorthand for saying that a nation reaps what it sows ...“ Auf gut deutsch: „... daß ein Land eben das erntet, was es gesät hat.“ Er stellt die gesamte amerikanische Strategie auf den Prüfstand. Abgestützt auf eine konkurrenzlose Militärmacht breiten die USA ihre wirtschaftliche und finanzielle Vormacht unter dem Deckmantel des „Mythos Globalisierung“, der Demokratie und der Menschenrechte über die ganze Welt aus. Dieser neue Imperialismus, der im Gewande des Weltpolizisten durchaus auch gewaltsame und völkerrechtswidrige Formen annimmt - vergleiche dazu die nun schon zehn Jahre andauernde Bombardierung des Irak -, wird, so Johnson, die USA einen hohen Preis kosten. Als er dies schrieb, war noch keine Rede von dem „ersten Krieg des 21. Jahrhunderts, den die USA gewinnen werden“ (George W. Bush). Johnson scheut sich nicht, die weltweiten Machenschaften der CIA offen anzuprangern, die ausländische Regierungssysteme stürzt oder kauft. In der von Phoenix ausgestrahlten Sendung „germany made in USA“ fanden wir dies beschrieben.
Die Muster ähneln, ja, sie wiederholen sich. Die albanische Befreiungsbewegung UCK ist von den USA ausgerüstet, bewaffnet, ausgebildet und angeleitet worden, um den serbischen Diktator Milosevic zu stürzen und Makedonien zu „demokratisieren“, das heißt gefügig zu machen. Dann freilich mußten die „Freischärler“ entwaffnet werden. Davor war es der irakische Diktator Saddam Hussein, dessen Land zunächst zur stärksten Militärmacht im Nahen Osten aufgerüstet wurde, um den abtrünnigen Iran in einem mörderischen siebenjährigen Krieg zu bekämpfen und einen Zugriff über die schiitische Bevölkerung im südlichen Irak auf das Öl am Golf zu verhindern. Danach mutierte Saddam Hussein zum Ungeheuer schlechthin. Die nun in aller Welt gebrandmarkten Taliban-Gotteskrieger haben, von den USA zunächst gefördert, eine ganz ähnliche Rolle im Afghanistan-Krieg gegen die Sowjetunion und bei der anschließenden „Befriedung“ des Landes gespielt. Stets stehen dabei geostrategische, von wirtschaftlichen Interessen bestimmte Absichten im Hintergrund. Was es damit auf sich hat, ist von dem amerikanischen Universitätsprofessor Noam Chomsky in dem Buch „Profit Over People“, Neoliberalismus und Globale Weltordnung, höchst eindrucksvoll und präzise beschrieben worden. Riesige Konzerne, also Großwirtschaft und Hochfinanz, bestimmen wesentlich das Weltgeschehen. Johnson, Kenner besonders der koreanischen, japanischen und chinesischen Verhältnisse, schildert das Engagement der USA in Asien mit Truppenpräsenz, Rüstungsgeschäften und Stützpunktpolitik. Dabei kritisiert er, daß sich dies nach dem Ende des kalten Krieges nicht etwa vermindert, sondern noch verstärkt habe. Er vergißt nicht, die Wandlung des Nato-Bündnisses zu einer offensiven, weltweit operierenden Streitmacht darzustellen, die sich von Beschlüssen der Uno freigemacht habe.
Es stellt sich nun immer deutlicher die Frage, ob die USA berufen und in der Lage sind, die Welt zu führen. Spätestens nach dem Erscheinen des Buches von Christopher Hitchens „Die Akte Kissinger“ wissen wir, daß US-amerikanische Politik keineswegs vor Maßnahmen zurückschreckt, die „Schurkenstaaten“ als Mord, Kriegsverbrechen oder schwere Menschenrechtsverletzungen angekreidet werden. Bei Johnson hört sich das so an: „In der amerikanischen Politik und den amerikanischen Medien ist viel von ,verbrecherische Staaten‘ wie dem Irak und Nordkorea die Rede. Doch wir müssen uns die Frage gefallen lassen, ob die Vereinigten Staaten‘ nicht selbst zu einer ,verbrecherischen Supermacht‘ geworden sind.“ Und weiter: „Die Amerikaner sind zutiefst davon überzeugt, daß ihre Rolle in der Welt eine tugendhafte ist, daß ihre Handlungen praktisch unfehlbar sowohl für andere als auch für sie selbst gut sind. Selbst wenn die Politik Washingtons Katastrophen produziert, gehen sie noch davon aus, daß die dahinter stehenden Motive ehrenhafte sind. Doch die Hinweise mehren sich, daß die Vereinigten Staaten seit dem Ende des kalten Krieges ihre außenpolitischen Ziele weniger mit den Mitteln der Diplomatie, der Entwicklungshilfe, des internationalen Rechts oder der multilateralen Organisationen verfolgen, sondern vorwiegend auf Drohgebärden, militärischen Druck und auf finanzielle Manipulationen setzen. “
Was wir gerade erleben, ist der Beginn des militanten Widerstandes gegen die imperiale, scheinbar unbezwingbare und immer noch wachsende hegemoniale Macht der USA. Es scheint, daß sich die Masse der Staaten, die unter dem Einfluß der „pax americana“ stehen, hinter dem mächtigen Schild der Supermacht versammeln, um diese zu stützen und sich nicht unter falschem Verdacht zu isolieren. Es deutet nichts darauf hin, daß sich die Regierungen der USA der sich abzeichnenden Überdehnung (Paul Kennedy: „Aufstieg und Fall der großen Mächte“) bewußt sind, an der gerade die scheinbar unerschütterliche UdSSR sang- und klanglos zugrunde gegangen ist.
Die von Chalmers Johnson geforderte grundlegende Reform der amerikanischen Außen- und Wirtschaftspolitik übersteigt wahrscheinlich die Kräfte einer mit knapper Mehrheit auf Zeit ins Amt gekommenen Regierung. Allein der dringend erforderliche Kampf gegen die ungeheure Verschuldung der wichtigen Handelsnationen in Verbindung mit der gigantischen Finanz- und Spekulationsblase, hinter der kein ausreichendes reales Wirtschaftspotential steht, überfordert offensichtlich Kraft und Möglichkeiten der „Westlichen Welt“.
Von der Wiedereinführung eines „Regimes der festen Wechselkurse“ und wirksamer Kapitalverkehrskontrollen, wie von Johnson gefordert, vergleichbar dem zwischen 1944 und 1971 gültigen Bretton-Woods-Abkommen, sind wir meilenweit entfernt. Zugespitzt lautet nun die entscheidende Frage: „One World“ oder „Multipolare Welt“, einheitliches Werte-, Wirtschafts- und Finanzsystem oder Anerkennung von Vielfalt und natürlicher Verschiedenartigkeit?
Die Uneinigkeit Europas, islamischer Fundamentalismus, die Probleme der Überbevölkerung und der Massenwanderung armer und hungriger Menschen aus den Entwicklungsländern, aber auch der Druck aus dem neu erwachten Asien lassen ein Machtvakuum als besonders gefährlich für den Weltfrieden erscheinen. Dennoch ist die von Johnson kritisierte, chauvinistische imperiale Politik der „Einzigen Weltmacht“ nicht akzeptabel.
Johnson schließt sein Buch mit der Warnung: „Die Vereinigten Staaten sehen sich gerne als den Sieger des Kalten Krieges. Aller Voraussicht nach werden die, die in einem Jahrhundert zurückblicken, keinen Sieger erkennen können, vor allem dann nicht, wenn die Vereinigten Staaten weiter an ihrem derzeitigen imperialen Kurs festhalten.“
Wir merken kritisch an, daß diese Warnung nur von denen wirklich verstanden werden kann, die als Voraussetzung für grundlegende Kurskorrekturen der Politik die geistige Erneuerung der westlichen Kultur für unabdingbar halten. Letztere hat der amerikanische Universitätsprofessor Allan Bloom in seinem Buch „Der Niedergang des amerikanischen Geistes“ schon 1987 umfassend und tiefgründig angemahnt. Wir fürchten, daß die USA zu einer solchen Besinnung erst reif sind, wenn ihnen der „Blowback“ aus Asien voll ins Gesicht bläst. Reinhard Uhle-Wettler
Chalmers Johnson: „Ein Imperium verfällt - Wann endet das Amerikanische Jahrhundert?“ Karl Blessing Verlag, München 2000, 319 Seiten, Preis: 21,45 Euro, oder als Taschenbuch, 319 Seiten, Goldmann, München 2001, Preis: 10 Euro.
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