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Der neue Feind

 
     
 
Vor einem Vierteljahrhundert erschien in Frankreich ein Buch mit dem Titel „Der dritte Weltkrieg hat begonnen“. Es handelt vom internationalen Terrorismus, noch unter dem Schock der ersten großen Flugzeugentführungen.

Seit dem 11. September 2001 hört man diesen Satz öfter, und kaum ein Politiker redet im Zusammenhang mit dem größten Terroranschlag aller Zeiten nicht von „Krieg“ oder „Kriegszustand“. Bundeskanzler Schröder
beschrieb die Situation treffend mit dem Satz: „Dies ist eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt.“

Wer gehört zu dieser Welt? Gehören auch die Palästinenser dazu, die über das Inferno von New York mit den Tausenden von Toten jubeln? Oder die ebenfalls jubelnden Schiiten im Südlibanon? Oder die klammheimlichen Jubler in Afghanistan, Iran und in Bagdad? Sie haben mit der zivilisierten Welt nichts zu tun. Im Gegenteil, in ihren Höhlen, Häusern, Moscheen und Palästen wachsen die heran, die solche Massenmorde verüben. Es ist der radikale Islam, der der Welt den Krieg erklärt hat. Zu seinen Sympathisanten gehört auch ein Mann wie Arafat, auch wenn er sich geschockt zeigt. Er kommt selbst aus den Reihen der Muslimbrüder, und kein amerikanischer oder israelischer Politiker glaubt ihm, wenn er „im Namen des palästinensischen Volkes“ diesen Anschlag verurteilt und gleichzeitig auf seinen Straßen Frauen, Kinder und Jugendliche hysterische Freudentänze aufführen. Jahrelang haben Leute wie er, Saddam Hussein, die iranischen Mullahs und die afghanischen Taliban den unkontrollierten Haß gegen Israel und Amerika gesät. Die Saat ist aufgegangen. Sie bedroht die zivilisierte Welt. Aber es geht nicht nur um blinden Haß. Der Haß ist religiös motiviert. Das ist für Europäer offenbar nur schwer zu verstehen.

Im ersten Schock zeigt sich, welche Bedeutung man bestimmten Worten und Haltungen beimißt. Als der amerikanische Präsident George W. Bush am Morgen des Terrortages von New York und Washington seine erste kurze Ansprache an die Nation hielt, wurde im deutschen Fernsehen der Zusatz „Gott segne die Opfer, ihre Familien und unser Land“ nicht übersetzt. Auch manche Aussage von Augenzeugen blieb unvollständig. Eine Frau sagte: „Ich bete für uns alle.“ Es fiel unter den Tisch der deutschen Journalisten. Erst später, bei der dritten oder vierten Wiederholung und als der Schreck den Erdkreis umlaufen und man mehr Zeit zum Nachdenken hatte, wurden die Übersetzungen vollständiger. Gott gehört in diesem Land nicht zu den ersten Gedanken des medialen Establishments.

Auch bei manchen Gedenkfeiern trat bisweilen ein Religionsverständnis zutage, das eher an einen Schönwetterglauben erinnert als an ein integrales, auch den Alltag um- und erfassendes Verhältnis zu Gott. Es fällt in der Tat schwer zu glauben, daß Menschen aus religiösen Gründen solche Taten des Massenterrors verüben können. Man spricht ihnen dann einfach das Religiöse ab und redet von blindem Haß. Aber genau das ist weltfremd. Die Selbstmord-Terroristen vom elften September, dem Tag, an dem offen der Krieg der Zivilisationen ausbrach, waren religiös motiviert. Haß kann einzelne Menschen in Beschlag nehmen, nicht ganze Kohorten von Selbstmordtätern. Auch wenn wir es nicht nachvollziehen können, diese Mörder glaubten, direkt ins Paradies zu fliegen, wo Dutzende von Jungfrauen auf sie warten würden. Für sie war der Schlag gegen den „großen Satan Amerika“ eine Märtyrertat.

Für die Christen ist das Märtyrertum ein Erleiden, ein Standhalten im Glauben. Es wird nicht aktiv gesucht, darf auch nicht aktiv gesucht werden. Gott ist der Herr über Leben und Tod. Ganz anders die Islamisten. Sie suchen den Tod im „Heiligen Krieg“ als Weg ins Paradies. Ihr Martyrium ist kein Standhalten, es ist ein willentlicher Sprung in den Tod. In New York war es ein Flug. Je mehr Ungläubige man auf diesem tödlichen Flug mitnimmt, je mehr Blut vergossen wird, um so verdienst- und lustvoller wird das Leben im Paradies.

Die säkularisierte Welt in Europa, auch in Amerika, muß sich intensiver um religiöse Haltungen und Irrungen des neuen Feindes kümmern. In einer Welt, die vom Clash der Zivilisationen erschüttert ist, wird dieses Wissen lebensnotwendig. Dabei gilt es zu unterscheiden zwischen radikalen Islamisten und anderen Moslems. Der neue Feind sind die Radikalen. Die islamische Welt ist weit mehr zersplittert als die christliche, nahezu jedes Land hat seine eigene Richtung. Gerade diese Zerstrittenheit ist ein Grund für die Renaissance des radikalen Islam. Man will zurück zu den Ursprüngen, als der Islam geeint und mächtig war, so mächtig, daß er die Welt beherrschte.

Diese Vergangenheit ist im gegenwärtigen Denken sehr lebendig. Das Wort Islam bedeutet Hingabe, Ergebung in den göttlichen Willen. Die Geisteshaltung des Muslims soll eine Haltung ständiger Ergebenheit sein. Wie oft er beten soll, wann und wie er sich waschen muß, um die rituelle Reinheit zu wahren, welche Regeln für den Rechtsverkehr gelten, wie er fasten und wie er Krieg führen soll - alles dies wurde von dem Propheten des Islam im siebten Jahrhundert zu einer Weltordnung zusammengezimmert, die den Anspruch erhebt, unbezweifelbar und vollkommen zu sein. Der Islam hat keine Aufklärung erlebt und keinen innerstaatlichen Werte-Pluralismus. Er kennt von Haus aus weder die politische Freiheit des demokratischen Staates noch die vom Zweiten Vatikanischen Konzil so deutlich verkündete Freiheit der Religionswahl.

John Laffin, ein international renommierter Islam-Kenner, bezeichnet es in seinem Buch „Islam - Weltbedrohung durch Fanatismus“ als „die größte menschliche Leistung innerhalb eines Jahrhunderts“, daß es Präsident Anwar el Sadat gelang, mit dem „Abschluß des ägyptisch-israelischen Friedensvertrages aus echt humanitärer Sorge um sein Volk die Fesseln des Islam zu sprengen“. Denn der Islam sei „ein allgemeiner Zwang“, der das Volk nötige, sich dem Staat total zu unterwerfen. „Saudi-Arabien ist ein extremes Beispiel. Dort terrorisiert die Religionspolizei, die Mutawwa, die Bevölkerung und erzwang, daß Frauen in Abgeschlossenheit leben und daß die täglichen Gebete strikt durchgeführt werden. Politische Gefangene werden gezwungen, täglich stundenlang den Koran laut zu lesen. „Der Islam“, so Laffin weiter, „hat die Gesellschaft des gesamten Nahen und Mittleren Ostens und die Pakistans so gründlich durchdrungen, daß jeder politische und soziale Konflikt sofort in einen Glaubenskonflikt umschlägt“. Osama bin Laden kommt aus Saudi-Arabien.

Die meisten Muslims leben in einer streng patriarchalisch gegliederten, aber ansonsten unkalkulierbaren Beziehungswelt, in der aus unserer Sicht Unfreiheit herrscht. Es ist eine Welt zwischen Basar, Moschee und Repressionsapparat des jeweiligen Regimes. Wegen der stark personalisierten Machtstrukturen können derzeit prowestliche Diktaturen und Dynastien in Marokko, Saudi-Arabien, Jordanien oder am Golf leicht „kippen“. Sie sind ohne westliche Unterstützung auf Dauer nicht gegen den Ansturm der Fundamentalisten zu halten, kommen diese nun aus dem Innern - man denke an die jeweiligen Filialen der Muslimbrüder - oder von außen, etwa dem Revolutionsregime in Teheran. Auch das gehört zum Krieg der radikalen Islamisten: Wer mit den Ungläubigen, insbesondere mit dem „großen Satan Amerika“ gemeinsame Sache macht, verfällt dem Strafgericht des Islam. In allen Ländern der alten islamischen Welt finden wir heute radikale Zellen. Sie haben revolutionären Charakter. Ihr Ziel ist die „Aktivierung der islamischen Kultur der Massen“, wie es der amerikanische Dozent pakistanischer Abstammung Assaf Hussein in seinem Buch „Islamic Iran“ treffend beschreibt. Bezeichnenderweise spricht die iranische Propaganda nur von der „islamischen Revolution“ und kaum von den Unterschieden zwischen Sunniten und Schiiten. Diese sind übrigens geringer als zwischen Protestanten und Katholiken, aber sie werden vor allem durch ethnische und historische Gegensätze und Ressentiments potenziert. Die Freiheit und Gewaltenteilung, so wie wir sie aus unseren Demokratien kennen, gibt es in diesen Ländern nicht.

Mehr noch: Die meisten der rund fünfhundert Millionen Menschen im sogenannten islamischen Krisenbogen zwischen Casablanca und Taschkent kennen auch die Trennung zwischen Kultur, Religion, Politik und sozialem Leben nicht. Denn der Koran ist nicht nur Bibel, er ist gleichzeitig bürgerliches Gesetzbuch. Es gibt allein 500 Koranverse, die Probleme des Straf- und Zivilrechts behandeln. Der Islam erhebt den Anspruch, gleichzeitig religiöser Glaube und Staat - din wa daula - zu sein. Er hält an einem in sich geschlossenen Rechtssystem fest, das auf dem Koran, auf Aussprüchen des Propheten Mohammed und den aus diesen beiden Quellen abgeleiteten Interpretationen der mittelalterlichen Rechtsschulen beruht. Das ist nach unserem Verständnis ein autoritäres, im Fall der radikalen Islamisten sogar totalitäres Systemdenken.

Wie jeder Totalitarismus, so greift auch der islamistische global aus. Er unterscheidet schon im Koran zwischen einem „Haus des Friedens“ (dar als salam), dem Gebiet unter islamischer Herrschaft, und dem „Haus des Krieges“ (dar als harb), den von Nicht-Muslims beherrschten Räumen. Im Haus des Krieges herrscht der Dschihad, der Heilige Krieg. Das ist die geistige Grundlage der radikalen Islamisten, die geistige Frontlinie zwischen der zivilisierten Welt und den islamischen Terroristen. Zwar wird diese Unterscheidung in der Diplomatie offiziell nicht angewandt. Aber man darf vermuten, daß dies nur Taktik ist, jedenfalls für radikal-orthodoxe Muslims.

Diese Muslims denken auch weiter. Teheran hat sogar einen Masterplan für die Revolution am alten Kulturraum Mittelmeer entworfen. Unter iranischer Führung sollen überall islamische Zellen und Bewegungen gegründet werden, eine Art islamische Komintern. Für die Führung hat man ein „Institut für die Welt-Organisation der islamischen Befreiung“ geschaffen, das mit erheblichen Mitteln ausgestattet ist und auf das staatlich-diplomatische Netz der Iranischen Republik zurückgreifen kann. Es wurde gegründet von Aya-tollah Sayed Hadi Chosrow-Schahi, ehemals Botschafter Irans beim Vatikan. Es ist durchaus möglich, daß gerade dieses Institut eng mit dem Top-Terroristen Osama bin Laden zusammenarbeitet, der wahrscheinlich Urheber für den größten Terroranschlag aller Zeiten am elften September ist. Jedenfalls hat er ihn als „gerechten Schlag“ begrüßt.

Die radikalen Islamisten lassen sich Zeit. Sie begnügen sich vorerst mit spektakulären Terroraktionen. Das ist ihr Krieg. Er kann Jahre und Jahrzehnte dauern. Ihre Bewegung wird getragen von der Demographie. Zunächst in den islamischen Ländern, wo sie vielfach schon eine kritische Masse erreicht haben, um einen Bürger- krieg zu entfesseln. In Iran ist fast die Hälfte der 65 Millionen Einwohner jünger als 15 Jahre, sie haben keinerlei Erinnerung an das alte Regime des Schah. In der Türkei hat sich die Zahl der Menschen seit 1950 von gut zwanzig Millionen auf über 65 Millionen mehr als verdreifacht, in zwanzig Jahren rechnet man mit hundert Millionen, weshalb ein EU-Mitglied Türkei die machtpolitische Gewichtung in der Union verlagern würde. In Ägypten zählt man heute fast siebzig Millionen, auch hier hat sich die Bevölkerung im letzten halben Jahrhundert glatt vervierfacht. In Algerien leben heute mehr als 32 Millionen, zu Beginn der Unabhängigkeit 1962 waren es gerade mal zehn, auch im Irak leben heute mit 22 Millionen trotz der Kriege des Saddam Hussein mehr als doppelt so viele Menschen wie zu Beginn dieser Diktatur. Gleiches läßt sich sagen von Marokko, Jordanien, den Palästinensern, den Afghanen oder Pakistanis - die Völker und Stämme im islamischen Krisenbogen vermehren sich schneller als Mittel für eine hinreichend profunde, das Denken und Handeln bestimmende Bildung bereitgestellt werden können. Das macht sie so anfällig für einfache Parolen vom Paradies und vom Heiligen Krieg und davon profitieren vor allem die Fundamentalisten.

Der Vater des jetzigen amerikanischen Präsidenten hat die Ära nach 1989 einmal mit einem Begriffstryptichon umschrieben: Menschenrechte, Menschenwürde, Freiheit. Aber das ist die Beschreiung westlichen Denkens. Der abendländische Logos ist keine Kategorie des Denkens für den Islam. Genauso ist das Denken der Islamisten dem Westen fremd. Deshalb ist die Begegnung westlicher Kultur mit islamischem Denken im verflossenen Jahrhundert des Öls auch zu einem Crash geworden. Sie hat Kräfte wachgerüttelt, die man überwunden glaubte. Die Revolution im fortgeschrittenen Persien war ein Ergebnis. Das Aufflammen des Fundamentalismus in Ägypten, das Aufbäumen der Radikalen in Algerien, die Unterdrückung alles Menschlichen in Afghanistan und der Terror aus den palästinensischen Gebieten sind weitere Zeichen an der Wand des Weltgeschehens. Attentate gegen ameri- kanische Kriegsschiffe oder Botschaften im Ausland hielten den Krieg noch an der Peripherie, aber am elften September haben die Islamisten den Krieg definitiv ins Zentrum der westlichen Welt geflogen. Spätestens jetzt müssen die Verantwortlichen im politischen, geistigen und wirtschaftlichen Establishment sich ernsthaft mit dieser neuen Form des Totalitarismus auseinandersetzen.

 
     
     
 
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