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Die zentrale Botschaft der von den Freistaaten Sachsen und Bayern eingesetzten "Zukunftskommission" läßt keinerlei Raum mehr für Illusionen im Hinblick auf den Zustand unseres Sozialstaates. Diese Botschaft kann auf den Nenner "Nichts kann bleiben, wie es ist, alles wird und muß sich ändern" gebracht werden. Der Kommissionsvorsitzende Prof. Meinhard Miegel prognostiziert den Deutschen einen "schmerzhaften Prozeß", denn der Sozialstaat müsse auf den Prüfstand. Der Politik falle hierbei die Aufgabe zu, dem Volk bittere Pillen zu verabreichen. Es darf allerdings bezweifelt werden, daß die "politische Klasse" in Bonn dazu willens und in der Lage ist. Eine Klasse, die legt man die Thesen des Parteienkritiker s von Arnim zugrunde zunächst und zuallererst an ihrem eigenen Machterhalt interessiert ist, wird den Schnitt nicht oder nur unzureichend ansetzen, der Deutschland vor dem drohenden Niedergang bewahrt.
Bonn hat sich unterdessen für einen anderen Weg entschieden. Es flüchtet schlicht aus der Verantwortung. Die notwendigen Entscheidungen werden entweder in die "Europäische Gemeinschaft" abgeschoben oder eben in die Zukunft, für die man "Kommissionen" einrichtet. Ansonsten wird nach dem Prinzip Hoffnung agiert. Getreu dem Motto: Möge uns diese "Zukunft" noch lange erspart bleiben.
Sie ist allerdings schon längst angebrochen. Die Arbeitslosenzahlen und die Zahl der Sozialhilfeempfänger steigen genauso stetig wie die Staatsschulden der Bundesrepublik. Die jetzige Politiker-Generation ist dabei, die Zukunft der nächsten Generationen zu verspielen. Mehr noch: Wenn eine grundsätzliche Neuorientierung nicht gelingt, so schreiben beispielsweise die Ökonomen Krupp und Weeber, könne der Sozialstaat auf Dauer nicht erhalten werden. Ein Umsteuern kann freilich nur gelingen, wenn in aller Offenheit über die Ursachen der Misere geredet werden kann. Gerade dies aber ist in Deutschland kaum möglich. Ursachen, die als nicht "politisch korrekt" gelten, werden schlicht ausgeblendet. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die dramatisch hohe Zuwanderung. Allein zwischen 1990 und 1996 ergaben sich "Wanderungsgewinne" von ca. 3,8 Million Zuwanderern, um einmal in der Diktion der moralisch-korrekten Schaumsprache in Deutschland zu bleiben. Damit hat Deutschland mehr Zuwanderer aufgenommen als alle anderen 14 EU-Staaten zusammen.
Bergen bereits diese Zahlen genügend sozialen Sprengstoff, dann muß die Tatsache, daß die Bundesanstalt für Arbeit auch in diesem Jahr wieder ca. eine Millionen Arbeitserlaubnisse an Ausländer erteilt, weil Deutsche angeblich für diese "Jobs" nicht zu finden seien, als Abschied von jeglicher politischen Vernunft bezeichnet werden.
Derartige Entwicklungen müssen Folgen für einen Sozialstaat haben. Eine dieser Folgen ist, parallel zur Steigerung der Arbeitslosigkeit, der schleichende Wandel des Normalarbeitsverhältnisses. In Deutschland gibt es eine deutliche Zunahme von geringfügiger Beschäftigung, unsteten Arbeitsverhältnissen und von Scheinselbständigkeit.
Die Bundesregierung hat diesen "zweiten Arbeitsmarkt" auch in der Absicht zugelassen, die Millionen Zuwanderer, die in den letzten Jahren nach Deutschland geströmt sind, wenigstens ansatzweise in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Das Überhandnehmen dieser Arbeitsverhältnisse droht aber nun mehr und mehr die ausreichende Finanzierbarkeit wichtiger Zweige des Sozialsystems zu schwächen. Auf der anderen Seite verteuert sich für die Unternehmer unentwegt die sozialversicherungspflichtige Arbeit. Jetzt beginnt sich zu rächen, daß die Bundesregierung in der Vergangenheit immer wieder gegen grundlegende politische und ökonomische Prinzipien verstoßen hat. Beispiel Zuwanderung: Zuwanderung ist immer nur insoweit hinnehmbar, wie Zuwanderer integriert werden können und die Lebenssituation der Einheimischen nicht verschlechtert wird. Diese Prinzipien werden seit Jahren, wenn nicht seit Jahrzehnten mit Füßen getreten. Deutschland ist zum zweitgrößten Einwanderungsland der Welt geworden, ohne daß sich ein Ende der unregulierten Zuwanderung abzeichnet.
Mit der wachsenden "Globalisierung der Märkte" hat sich die Situation noch deutlich verschärft, weil der Arbeitsmarkt erheblich unter Druck geraten ist. Er scheidet immer deutlicher Gewinner und Verlierer. Zuwanderer, die in der Regel die deutsche Sprache nicht oder mangelhaft beherrschen, haben auf diesem Arbeitsmarkt keine Chance mehr. Jeder einzelne Zuwanderer ist damit eine Belastung für die deutschen Sozialkassen. Wenn die Zuwanderung dennoch nicht abebbt, dann aufgrund der Tatsache, daß zum einen der politische Wille fehlt, diese rigoros zu unterbinden. Zum anderen müssen in Deutschland Zuwanderer nach sozialstaatlichen Prinzipien behandelt werden, Der Sozialstaat muß für ihre Integration in den Arbeitsmarkt und in die "Gesellschaft" aufkommen.
Dies kann aber nur für eine bestimmte Zahl von Menschen garantiert werden, ohne daß es zu gravierenden Fehlentwicklungen kommt.
Die Integrationsmöglichkeiten Deutschlands sind längst erschöpft. Wir Deutsche zahlen jetzt den Preis für die Laxheit, mit der die politische Klasse auf die so schicksalhafte Frage der Zuwanderung reagiert. Mehr und mehr wird jeder einzelne Deutsche, der noch in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis steht, herangezogen, um einen Sozialstaat zu finanzieren, der zu einem Faß ohne Boden zu entarten droht.
Marktwirtschaft und Soziales können nicht als zwei verschiedene Kategorien verstanden werden. Die Marktwirtschaft ist das ökonomische Fundament des Sozialen und hat eine eigene soziale Bedeutung. Das Wissen um diesen Zusammenhang ist heute verlorengegangen, mit dem Resultat, daß in der Bundesrepublik Deutschland heute eine gravierende ordnungspolitische Orientierungsunsicherheit herrscht.
Kommen wir auf die Gründe der derzeitigen Erosion des Sozialsystems zu sprechen. Seit 1985 beobachten wir in Deutschland eine Entwicklung, bei der sich so der Volkswirtschaftler Rolf H. Haase "der Arbeitsmarkt partiell und die Sozialpolitik massiv von den ökonomischen Bedingungen, von der Wirtschaftspolitik und von den Vorstellungen der Sozialen Marktwirtschaft abkoppelten". Diese Abkoppelung ist die Folge des Abschieds von einer aktiven, gestaltenden Ordnungspolitik, die Deutschland lange zum Vorteil im internationalen Wettbewerb gereichte.
Heute müssen wir erkennen, daß die Marktwirtschaft nicht jedes Maß und nicht jede Art des Sozialen verträgt. In Zahlen umgesetzt, bedeutet dies: Im Jahre 1993 z. B. wurden in Deutschland für die soziale Sicherung 1062 Milliarden Mark ausgegeben, für die Erhaltung des Produktionspotentials hingegen nur 705 Milliarden Mark. Daraus kann nur ein Schluß gezogen werden: Den Sozial- und den Tarifpolitikern ist es gelungen, die Sozialpolitik aus dem Markt und der Wirtschaftspolitik herauszulösen. Anders kann z. B. die "Zuwanderung" nach Deutschland überhaupt nicht finanziert werden.
Diese ausgeartete "Sozialpolitik" ist das zeigt sich immer deutlicher gescheitert. Für ihr Scheitern gibt es in den Wirtschaftswissenschaften einen Gradmesser, der als "Arbitrage" (Ausweichverhalten) bezeichnet wird. Er liefert den Schlüssel für die Antwort auf die Frage, wieviel Soziales eine Marktwirtschaft verträgt. Wenn das Soziale, so die Bestimmung des Begriffes "Arbitrage", das Ausweichverhalten der Bürger in einem Maße herausfordert, welches die Leistungs- und Überlebensfähigkeit des Systems gefährdet, dann ist des Sozialen zuviel. Daß dieser Punkt in Deutschland erreicht ist, steht außer Frage. Ausweichstrategien lassen sich auf drei wesentlichen Feldern beobachten: Einmal gibt es ein unternehmerisches Ausweichverhalten, das auf die Begriffe Rationalisierung, Schattenwirtschaft und Standortverlagerung (ins Ausland) gebracht werden kann. Neben diesen unternehmerischen Ausweichmanövern finden sich individuelle Ausweichkategorien wie Steuer- und Sozialabgabenhinterziehung, Sozialmißbrauch und Freizeitmaximierung. Als dritte und generelle Tendenz kann schließlich die Erhöhung des Gegenwartskonsums auf Kosten der Zukunftsvorsorge festgestellt werden.
Standortverlagerung, um hier nur ein Beispiel für Ausweichverhalten ausführlicher anzusprechen, ist durch die rasch voranschreitende "Globalisierung der Märkte" in das Bewußtsein vieler Zeitgenossen geraten. Wie unter den Bedingungen der "Globalisierung" der "soziale Frieden", so wie wir ihn in Deutschland gewohnt sind, zu halten ist, ist umstritten. Es ist zwar richtig, daß der "soziale Friede" als Wettbewerbsvorteil durchaus positiv zu Buche schlägt. Wenn er als Produktionsfaktor aber sozialpolitisch zu teuer bezahlt wird, dann geht der Wettbewerbsvorteil verloren. Genau in dieser Situation befindet sich Deutschland derzeit. Wenn Deutschland unter den Bedingungen, die in der Welthandelsordnung (GATT/WTO) fixiert sind, überleben will, bleiben im Grunde genommen nur übrig: Sozialabbau, Senkung der Steuern, Kürzung der Löhne und Sozialleistungen, Abmindern der Umweltstandards, konsequente Bekämpfung und Unterbindung ungewollter Zuwanderung etc.
Werden diese Schritte nicht vollzogen, ist der Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Die Steuern nämlich, die zur Finanzierung unseres ausgeuferten Sozialstaates erhoben werden müssen, können aufgrund der Regeln des internationalen Freihandels nicht mehr ohne gravierende Negativfolgen durchgesetzt werden. Wer glaubt, er könne diese Bedingungen zugunsten des Erhalts eines fragwürdig gewordenen Sozialstaats mißachten, muß mit weiter ansteigender Arbeitslosigkeit, verstärkter Standortverlagerung und Flucht aus den sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen rechnen.
Der Schnitt, der jetzt angesetzt werden muß, ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn er Hand in Hand mit einer Rückbesinnung auf die Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft geht.
Diese Prinzipien kreisen um die Begriffspaare Eigenverantwortung und Leistungsgerechtigkeit, Wettbewerb und Offenheit des Systems sowie Selbstverantwortung und Subsidiarität in der sozialen Sicherung.
Soziales Verhalten erschöpft sich also nicht in Teilen und Umverteilen, sondern schließt auch und gerade die Bereitschaft zur Leistung ein. Wettbewerb ist in diesem Zusammenhang als Korrektiv gegen Sklerose, Rückschritt und Stagnation unabdingbar. Ein Staat, der unter dem Deckmantel des Gemeinwohls Interessengruppen gegen Konkurrenz abzuschotten trachtet, macht sich zum Komplizen von Lobbyisten. Dies ist aber mitnichten ein soziales, sondern ein selbstzerstörerisches Verhalten.
Schließlich muß es wieder zum Aufgabenbereich jedes einzelnen Menschen gehören, Vorsorge gegen die Risiken des Lebens zu treffen. Das Individualprinzip wird wieder Vorrang vor dem Sozialprinzip, das Versicherungsprinzip wieder Vorrang vor dem Versorgungsprinzip und das Subsidiaritätsprinzip wieder Vorrang vor dem Solidaritätsprinzip haben müssen.
Nur, wenn diese Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, kann die derzeitige "sozialstaatliche Wirtschaft" überwunden werden und das Konzept der "Sozialen Marktwirtschaft" in einer sich globalisierenden Welt als zutiefst deutsche Antwort auf den Kapitalismus bewahrt werden.
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