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Ohne Begeisterung geschah nichts Großes und Gutes auf dieser Erde", hat der ostdeutsche Denker Johann Gottfried Herder einmal bemerkt. Und Großes und Gutes haben viele Menschen geleistet, die in Ostdeutschland das Licht dieser Welt erblickt haben. So Johann Gottfried Herder selbst. Er wurde 1744 in dem kleinen Städtchen Mohrungen geboren, wo der Vater als Glöckner, Küster und Schulmeister wirkte. Beide Eltern standen unter dem Einfluß des Pietismus, einer Bewegung innerhalb des Protestantismus, die unter anderem eine vertiefte individuelle Frömmigkeit anstrebte.
Herder war 17 Jahre alt, als er in das Haus des Diakonus Trescho aufgenommen wurde, dem er bei Schreibarbeiten behilflich sein sollte. Die umfangreiche Bibliothek , die Herder im Hause vorfand, erschloß dem Jungen ungeheure Schätze und bereitete ihm den Weg zur Literatur. In Königsberg hörte Herder, der Theologe werden wollte, auch die Vorlesungen Kants und lernte Johann Georg Hamann (1730-1788), den Wegbereiter des "Sturm und Drang" aus Königsberg, kennen. Als Lehrer und Geistlicher wirkte Herder auf Empfehlung Hamanns in Riga, bis er als Prinzenerzieher an den kleinen Eutiner Hof des Fürstbischofs von Lübeck berufen wurde.
Nach Differenzen grundsätzlicher Art folgte Herder schließlich einem Ruf nach Bückeburg und endlich einem durch die Vermittlung Goethes nach Weimar. Dort fand er eine Fülle von Aufgaben im schulischen und kirchlichen Bereich vor. Dennoch widmete er sich auch seinem eigenen Werk. So erschienen 1778 seine "Volkslieder", die später unter dem Titel "Die Stimmen der Völker in Liedern" bekannt wurden und zu den unstreitig bedeutendsten Werken Herders zählen. Herder war es schließlich, der die Völker durch Hinweise auf ihre eigene Sprache und Kultur zur Besinnung auf ihre nationalen Werte, zu einem nationalen Bewußtsein führte. Er starb 1803 in Weimar.
Neben dem 1473 in Thorn geborenen Astronomen Nicolaus Copernicus, der im ostdeutschen Frauenburg wirkte und mit seinem Werk über die Bewegung der Himmelskörper das damalige Weltbild erschütterte, ist als großer Denker Ostdeutschlands vor allem Immanuel Kant zu nennen, der 1724 in Königsberg geboren wurde und als erster deutscher Philosoph alle seine Briefe und Werke in deutscher Sprache verfaßte. - "Kant ist der Vorzüglichste der neueren Philosophen ohne allen Zweifel", erkannte schon Goethe. "Er ist auch derjenige, dessen Lehre sich fortwirkend erwiesen hat und die in unsere deutsche Kultur am tiefsten eingedrungen ist."
Kants Schriften und Lehren, darunter Werke wie die "Kritik der reinen Vernunft", "Kritik der praktischen Vernunft", "Kritik der Urteilskraft" und das "Tractat zum ewigen Frieden", sind über die ganze Welt verbreitet. Sogar in der Volksrepublik China ist man heute noch über seine Lehren unterrichtet. Auch im ehemaligen Ostblock war man bestrebt, den Königsberger und seine Philosophie für sich zu vereinnahmen, so wurde er in einer Ausgabe der deutschsprachigen "Moskau News" als "unser Landsmann Kant" bezeichnet. Erinnerungsstätte aus alter Zeit im heutigen Königsberg ist das 1924 von Friedrich Lahrs errichtete Grabmal am Dom, das wie durch ein Wunder Krieg und Nachkriegszeit überstanden hat.
Was noch und vor allem geblieben ist, sind Kants Forderungen an den Menschen, wie etwa der kategorische Imperativ, in dem er sagt: "Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte."
Auch eine ansehnliche Reihe von Dichtern und Schriftstellern hat Ostdeutschland hervorgebracht. In der breiten Öffentlichkeit zu Unrecht vergessen, gilt er Literaturkennern jedoch als Neuerer der Dichtkunst: Arno Holz, geboren 1863 in Rastenburg. Schon in jungen Jahren gelangte der Sohn eines Apothekers nach Berlin. Dort in der Großstadt begann seine literarische Laufbahn. In Gemeinschaft mit Johannes Schlaf wurde er zum Begründer des konsequenten Naturalismus. In seiner Schrift "Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze" erläuterte Holz unter anderem, die Sprache der Dichtung solle sich so weit wie möglich der Alltagssprache nähern und auch vor abgebrochenen Sätzen nicht zurückscheuen. Eine Forderung, die damals großes Aufsehen erregte.
Auch durch die äußere Form seiner Gedichte schuf Holz Neues. Von der Mittelachse des Druckspiegels ausgehend, gruppieren sich bei ihm die Worte nach beiden Seiten. Der Rhythmus hat darüber hinaus Vorrang vor dem Reim und der Strophenform. - Arno Holz starb 1929 in Berlin, wo er auf dem Friedhof Heerstraße seine letzte Ruhestätte fand.
Eng mit Berlin verbunden war auch das Leben und Wirken eines anderen Ostdeutschland, der zu den interessantesten Figuren des 18. und 19. Jahrhunderts zählt: der 1776 in Königsberg geborene Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, der später aus Verehrung für Mozart seinen dritten Vornamen in Amadeus umwandelte und dessen dichterisches Werk den Ausklang, den Abgesang der Romantik bedeutete.
Läßt sich auch sein Leben im Rahmen dieser Ausführungen kaum umreißen, so ist es noch ungleich schwerer, sein vielschichtiges Werk auch nur andeutungsweise einzuordnen. Auf seinem Grabstein auf dem Jerusalemer Friedhof in Berlin vermerkten seine Freunde: "Kammer Gerichts Rath, ausgezeichnet im Amte - als Dichter - als Tonkünstler - als Maler."
Schon als Junge suchte sich Hoffmann auf dem Flügel am liebsten seine Akkorde selbst zusammen. Er lernte mehrere Instrumente spielen und schrieb kleine Kompositionen. Auch später - während seiner Tätigkeit als Jurist - fand er immer Gelegenheit, seinen künstlerischen Neigungen nachzugehen. Er schrieb gelegentlich, zeichnete und malte häufig (so wurde er wegen einer bissigen Karikatur sogar einmal strafversetzt), aber er komponierte auch viel. Überhaupt galt seine große Liebe der Musik. Kein Wunder also, daß er sich auf ein Inserat um eine Stelle als Musikdirektor und Theaterfachmann nach Bamberg bewarb. Seine musikkritischen Aufsätze, die vor allem in der Leipziger "Allgemeinen Musikalischen Zeitung" er- schienen, befaßten sich mit Bach, Mozart, Gluck und Haydn, aber auch mit Beethoven, auf den er als einer der ersten immer wieder aufmerksam machte.
Fast unmerklich vollzog sich in Bamberg die Hinwendung Hoffmanns zur Literatur. Auch dort standen zunächst musikalische Themen im Vordergrund, wie etwa bei den Erzählungen, die er später als "Phantasiestücke nach Callots Manier" herausgab. Nebenbei arbeitete Hoffmann in dieser Zeit auch an seiner Oper "Undine", für die später kein Geringerer als Karl Friedrich Schinkel das Bühnenbild entwarf.
Nach einem kurzen Intermezzo in Leipzig und Dresden kehrte Hoffmann zur Juristerei zurück und ließ sich in Berlin als Richter am Kammergericht nieder. Seine Kollegen und Zeitgenossen schildern ihn als glänzenden Juristen mit kristallklarer Logik und kühlem Verstand. In der Berliner Zeit entstanden die schönsten seiner Erzählungen, die er in den Bänden "Die Elixiere des Teufels" und "Die Serapionsbrüder" zusammengefaßt hat. Die Erzählung "Meister Martin der Küfer und seine Gesellen" hat übrigens Richard Wagner zu seiner Oper "Die Meistersinger" angeregt.
Nur 46 Jahre alt starb Hofmann 1822 in Berlin. Sein Werk aber wird noch viele Generationen veranlassen, den seltsamen Gedankenwegen dieser einmaligen Erscheinung in der deutschen Literatur nachzuspüren.
Nur ausgesuchte Kenner der Literatur hingegen beschäftigen sich heute noch mit dem Werk eines Mannes, der als der erfolgreichste und zugleich als der umstrittenste seiner Zeit gilt: Hermann Sudermann. Geboren 1857 in Matziken, Kreis Heydekrug, arbeitete Sudermann zunächst als Journalist und Hauslehrer in Berlin, bis es ihm gelang, sich als freier Schriftsteller eine Existenz zu sichern.
Immer wieder wurde Sudermann mit dem damals ebenfalls schon sehr erfolgreichen Gerhart Hauptmann verglichen. Es mußten Regisseure wie Jürgen Fehling kommen, die seinen wahren Wert entdeckten, die erkannten, daß der Ostpreuße tatsächlich "der Balsac des Ostens" war, wie Paul Fechter in seiner "Geschichte der deutschen Literatur" feststellte.
Während die Kritik oft hart mit Sudermann und seinem Werk umging, kamen seine Stücke beim Publikum an. Nach heftigen Angriffen, vor allem durch den damaligen Kritikerpapst Alfred Kerr, zog sich Sudermann zurück und wandte sich mehr der epischen Kunst zu. Seine "Litauischen Geschichten" hatten sowohl bei der Kritik als auch beim Publikum großen Erfolg. Bis in unsere Zeit wurden sie mehrfach verfilmt, wie etwa "Die Reise nach Tilsit", und auch für das Fernsehen bearbeitet. - Hermann Sudermann starb 1928 in Berlin. Die Renaissance seiner Bühnenwerke hat er nicht mehr erleben dürfen.
Aus neuerer Zeit wären zu guter Letzt zwei Namen zu nennen, die in einem solchen Überblick keinesfalls fehlen dürfen: Agnes Miegel und Ernst Wiechert. Geboren wurde Agnes Miegel, die bereits zu Lebzeiten von ihren Freunden und Verehrern den Beinamen "Mutter Ostdeutschland" nach einem ihrer Gedichte erhielt, 1879 in Königsberg. Schon früh fand sie den "einsamen und dunklen Weg zur Kunst", der "fortführt vom warmem Herdbehagen", wie sie es selbst einmal ausdrückte.
Börries v. Münchhausen, selbst ein vielgerühmter Balladendichter und Herausgeber des angesehenen Göttinger Musenalmanachs, war der erste, der ihre Begabung erkannte und förderte. Er hielt Agnes Miegel um die Jahrhundertwende für die größte unter allen lebenden Balladendichtern. Und er stand mit diesem Urteil keineswegs allein.
Früher Ruhm, erste Veröffentlichungen, Reisen - dieser kurzen Zeit des Erfolgs, der Anerkennung folgten stille, schwere Jahre: Pflege und Tod der Eltern, finanzielle Sorgen. 1920 dann fand sie einen Arbeitsplatz in der Redaktion der "Ostdeutschen Zeitung", in der bald kleine Prosastücke unter dem Titel "Spaziergänge einer Ostpreußin" regelmäßig erschienen und einen breiten Leserkreis ansprachen. Sechs Jahre später wechselte Agnes Miegel als freie Mitarbeiterin zur "Königsberger Allgemeinen Zeitung". Diese Stelle gab ihr die Möglichkeit, ohne große finanzielle Sorgen weiter zu schreiben und nach langen Jahren des Schweigens wieder an die Öffentlichkeit zu treten. Äußere Ehrungen, mehrere Literaturpreise und die Ehrendoktorwürde der Albertus-Universität würdigten das Schaffen der Schriftstellerin und Dichterin, die mit ihrer starken medialen Begabung vieles vorausgesehen hatte: die Zerstörung ihrer Vaterstadt, die Flucht Ende Januar über die eisige Ostsee nach Dänemark, den Verlust aller Habe, das Lagerdasein. Nach einigen weiteren Stationen fand sie 1953 eine eigene kleine Wohnung in Bad Nenndorf am Deister, wo sie bis zu ihrem Tod 1964 ihren Lebensabend verbrachte. Noch zu Lebzeiten konnte sie, die von jung und alt gleichermaßen Verehrte, die Herausgabe ihrer Gesammelten Werke betreuen. Heute bemüht sich die Agnes-Miegel-Gesellschaft in Bad Nenndorf rührig, das Andenken an die "Mutter Ostdeutschland" zu bewahren.
Ernst Wiechert wurde 1887 im Forsthaus Kleinort, Kreis Sensburg, geboren. Diese Umgebung, die Landschaft und ihre Menschen hat ihn entscheidend geprägt. So lautet der Titel eines seiner Bücher denn auch "Wälder und Menschen", der eines anderen "Das einfache Leben". Wiechert, der Dichter, war aber auch Lehrer und Erzieher, ein Vorbild für seine Schüler, die noch heute mit Hochachtung von ihm reden.
1930 ging der Ostpreuße nach Berlin, schied jedoch nach drei Jahren aus dem Schuldienst aus und übersiedelte zunächst nach Ambach am Starnberger See, später hat er 12 Jahre mit seiner zweiten Frau Lilije auf Hof Gaggert bei Wolfratshausen leben und schaffen dürfen. 1938 allerdings wurde Ernst Wiechert für Monate im Konzentrationslager Buchenwald gefangengehalten. Sein "Totenwald" ist ein eindrucksvolles Zeugnis dieser Zeit. 1948 siedelte Wiechert in die Schweiz über, wo er 1950 in Uerikon starb. Die Internationale Ernst-Wiechert-Gesellschaft (IEWG) mit Sitz im sächsischen Taucha bemüht sich heute, das schriftstellerische Erbe des Ostdeutschland zu bewahren.
Ebenfalls im südlichen Ostdeutschland geboren wurde ein Schriftsteller, der heute zu den ganz Großen in der zeitgenössischen deutschen Literatur zählt: Siegfried Lenz aus Lyck, geboren 1926. Romane, Erzählungen, Hörspiele und Essays stammen aus seiner Feder. Der "gelassene Zweifler", wie Marcel Reich-Ranicki ihn einmal genannt hat, sieht seine Aufgabe als Schriftsteller darin, seine Stimme mahnend zu erheben gegen Totalitarismus und für mehr Humanität und Völkerverständigung.
Wie kaum ein anderer der zeitgenössischen Schriftsteller hat Arno Surminski, geboren 1934 in Jäglack, Kreis Rastenburg, das Bild des ostdeutschen Menschen gezeichnet. Seinem ersten Roman "Jokehnen oder Wie lange fährt man von Ostdeutschland nach Deutschland" folgten weitere, die Ostdeutschland, seine Menschen, sein Schicksal zum Thema haben. Als "Jokehnen" für das Fernsehen verfilmt wurde, fand man Armin Mueller-Stahl, den Hollywood-Star aus Tilsit, in einer Hauptrolle. Mueller-Stahl ist eines der herausragenden Beispiele für Schauspieler, die aus Ostdeutschland stammen und die sich auch im Westen einen Namen gemacht haben. Dazu gehören Namen wie Paul Wegener aus dem Kreis Rößel, Albert Lieven aus Hohenstein, Volker Lechtenbrinck aus Cranz, Antje Weisgerber und Witta Pohl aus Königsberg, Traugott Buhre aus Insterburg, um nur einige zu nennen.
Neben bedeutenden Dichtern und Schriftstellern hat Ostdeutschland auch eine lange Reihe namhafter Maler, Graphiker und Bildhauer hervorgebracht. Die Kunstakademie in Königsberg und auch die Kunst- und Gewerkschule in der alten Pregelstadt gehörten zu den östlichen Zentren abendländischer Kultur, aus ihnen gingen viele berühmte Künstler hervor, die sich auch im Westen einen Namen machten und Spuren hinterließen, so etwa der Bildhauer Rudolf Siemering, der nicht nur in Berlin zahlreiche Denkmäler schuf, oder Otto Rohse aus Insterburg, der unter anderem für die Deutsche Bundespost Briefmarken entwarf.
Zu den zweifellos herausragenden Künstlern aus Ostdeutschland gehören Lovis Corinth und Käthe Kollwitz. Ihre Werke finden heute Liebhaber, die bereit sind, auf Auktionen ein Bild oder eine Graphik für sechsstellige Summen zu erwerben.
Groß und vielgestaltig ist das Werk von Lovis Corinth, der 1858 in Tapiau als Sohn eines Lohgerbers geboren wurde. Der zum 100. Geburtstag von seiner Frau Charlotte herausgegebene Werkkatalog der Ölgemälde umfaßt allein 1.007 Titel. Nach seiner Ausbildung an der Königsberger Kunstakademie ging Corinth nach München, wo er bei Defregger und Löfftz studierte. Es folgten Aufenthalte in Antwerpen und Paris. Berlin und wiederum München sind weitere Stationen, die das Schaffen des Künstlers entscheidend beeinflußten. 1901 zog Corinth endgültig nach Berlin, wo er eine Malschule eröffnete. Seine erste Schülerin war übrigen seine spätere Frau Charlotte Berend.
Schon zu Lebzeiten erfuhr der Künstler zahlreiche Ehrungen: er erhielt das Ehrenbürgerrecht seiner Vaterstadt Tapiau, die Ehrendoktorwürde der Albertina und die Ehrenplakette der Stadt Königsberg. 1915 wurde er zum Präsidenten der Berliner Sezession ernannt, 1918 zum Professor und 1925 zum Ehrenmitglied er Münchner Akademie. 1925 war auch das Jahr seines Todes, der ihn auf einer Reise nach Holland in Zandvoort ereilte. Vier Monate zuvor hatte Corinth noch bekannt: "Ein Neues habe ich gefunden: die wahre Kunst ist, Unwirklichkeit zu üben ..." - Ein Satz, den man über sein gesamtes reiches Schaffen stellen könnte.
Käthe Kollwitz, die Königsbergerin des Jahrgangs 1867, hatte ein anderes Leitmotiv über ihr Schaffen gestellt: "Ich will wirken in dieser Zeit...", bekannte sie einmal. Kunst im Dienst der Menschlichkeit, Kunst, die den Betrachter nicht nur zum Hinsehen zwingt, sondern auch sein Herz anrührt - das ist die Aufgabe, der sich Käthe Kollwitz zeit ihres Lebens gewidmet hat.
Erste Ausbildung erhielt Käthe Kollwitz bei dem Kupferstecher Rudolf Mauer und später bei dem Maler Emil Neide in Königsberg. 1884 bewarb sie sich bei Stauffer-Bern in Berlin an der Künstlerinnenschule, wo sie Jahre später selbst als Lehrerin wirken sollte. Es folgten Studienjahre in München bei Ludwig Herterich. 1891 heiratete Käthe den jungen Königsberger Arzt Karl Kollwitz, der in Berlin als Kassenarzt die Ärmsten der Armen betreute. Die Künstlerin stand ihrem Mann stets zur Seite und lernte so das Elend der Zeit kennen. Hungernde Kinder, arbeitslose Mütter und Väter, Armut, Verbitterung und Verzweiflung - all das hielt sie in ihren Graphiken, Zeichnungen, Lithographien und mit ihren Plastiken fest.
1919 wurde Käthe Kollwitz zum Mitglied der Akademie der Künste ernannt und ihr der Professorentitel verliehen. Zehn Jahre später zeichnete man sie mit der Verleihung des Ordens pour le mérite aus. 1933 allerdings wurde sie ihres Amtes als Lehrerin der Meisterklasse für Graphik enthoben. Bis Kriegsende durften ihre Werke in Deutschland nicht mehr ausgestellt werden. 1945, kurz vor Kriegsende, starb Käthe Kollwitz, die wegen des Bombenhagels aus Berlin geflohen war, in Moritzburg bei Dresden. Ihre Werke aber, zeitlos mahnend und eindringlich, sind heute in vielen Museen und Galerien zu sehen, so auch in den ihr gewidmeten Museen in Köln und Berlin.
Berlin als Hauptstadt ist übrigens auch stets ein Anziehungspunkt für Architekten gewesen. Viele von denen, die in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Gesicht der Metropole prägten, kamen aus Ostdeutschland: Erich Mendelsohn aus Allenstein, die Brüder Max und Bruno Taut aus Königsberg wie auch Martin Wagner, der als Stadtbaurat wirkte.
Zu den namhaften Wissenschaftlern, deren Wiege in Ostdeutschland stand, zählt zweifellos Otto Wallach aus Königsberg (1847-1931). 1910 wurde er mit Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet. Seine Lebensaufgabe sah er in der Erforschung der ätherischen Pflanzenöle. In Bonn und Göttingen lehrte der Ostpreuße, der sich auch dafür einsetzte, ein eigenständiges Institut für Physikalische Chemie zu errichten. In Gaffken, Kreis Fischhausen, wurde 1864 Wilhelm Wien geboren. Er gilt als Wegbereiter der Quantenphysik und erhielt für seine Forschungen 1911 den Nobelpreis für Physik. Er starb 1928 in München an den Folgen einer Operation. Als "Vater der Atomforschung" gilt Arnold Sommerfeld, geboren 1868 in Königsberg. Er entwickelte die Grundlagen der Mehrfachquantelung der Spektralterme. Ein tragischer Verkehrsunfall beendete 1951 sein Leben in München.
Auch im Bereich der Musik hat Ostdeutschland interessante Persönlichkeiten hervorgebracht. 1810 wurde Otto Nicolai in Königsberg geboren. Seine wohl bekannteste Oper "Die lustigen Weiber von Windsor" steht immer wieder einmal auf dem Spielplan auch der großen Häuser. In Berlin wurde Nicolai von Karl Friedrich Zelter ausgebildet. Bei einem Besuch im Hause Schleiermachers lernte Otto Nicolai Karl von Bunsen kennen, den preußischen Gesandten am päpstlichen Hof. Auf dessen Veranlassung wurde der Ostpreuße zum Organisten der Kapelle der preußischen Gesandtschaft in Rom ernannt. In Italien gewann der Königsberger denn auch nachhaltige Eindrücke für sein späteres Schaffen. 1837 ging er schließlich nach Wien, als Kapellmeister des Kärntnertor-Theaters. Seine ersten Bühnenwerke aber schuf er wieder in Italien, bis er 1841 einen erneuten Ruf nach Wien erhielt. Das Musikleben an der Donau belebte Nicolai nicht zuletzt auch durch die Gründung der Philharmonischen Konzerte.
1849 wurden die "lustigen Weiber" in Berlin zum ersten Mal aufgeführt, Nicolai selbst führte dabei den Taktstock. Keine drei Monate später erlag er den Folgen eines Gehirnschlages. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.
William Shakespeare inspirierte noch einen anderen ostdeutschen Komponisten, den Königsberger Hermann Gustav Goetz. Er schrieb die Oper "Der Widerspenstigen Zähmung", die 1874 in Mannheim uraufgeführt wurde. 1876, nur wenige Tage nach seinem 36. Geburtstag, starb Goetz in Hattingen bei Zürich.
Nahezu 100 Jahre später verläßt ein Komponist diese Welt, der vor allem durch eine Arbeit in den Herzen der Ostdeutschland weiterlebt: Herbert Brust, geboren 1900 in Königsberg. - Er schuf das Ostdeutschlandlied "Land der dunklen Wälder und kristall nen Seen" nach einem Text von Erich Hannighofer. Das Lied bildete ursprünglich den Schlußchor zu Brusts "Oratorium der Heimat", das er 1932 vorlegte. Der Komponist starb 1968 in Bremerhaven.
Nur wenige werden sich an einen Mann erinnern, der mit seinem Wirken viel für die Verständigung der Völker untereinander bewirkt hat. 1874 wurde in Grunenfeld, Kreis Heiligenbeil, Richard Schirrmann geboren. Er war es, der 1909 durch seine Abhandlung "Vom Jugendwandern und welchen Gewinn ich mir davon verspreche" den Grundstein zum Jugendherbergswerk legte. Bereits 1912 konnte die erste feste Jugendherberge der Welt auf der wiederaufgebauten Burg Altena im Lennetal eingeweiht werden. Heute gibt es diese vorbildliche Einrichtung in aller Welt.
"Ich glaube, daß es des Ostdeutschland Bestes ist, daß er sich selbst nicht aufgibt und daß er nicht des Scheines wegen nachgibt, sondern den Mut und die Kraft hat, er selbst zu sein." Diese Worte des Schauspielers Paul Wegener mögen über dem Leben all der Männer und Frauen stehen, die mit ihrem Schaffen weit über die Grenzen ihrer Heimat Ostdeutschland hinaus gewirkt haben und deren Spuren bis heute nicht verweht sind.
Galerie ostdeutscher Genies: Ob Agnes Miegels (l.) Dichtungen, Käthe Kollwitz Zeichnungen oder Immanuel Kants herausragendes philosophisches Werk, alle haben mit ihrem Schaffen die deutsche Kultur um ein Vielfaches reicher gemacht. Fotos (3): Archiv
Der Kunst verschrieben: Die Gemälde von Lovis Corinth (l.) zeigen einmalige Alltagssituationen in der Heimat, und auch Ernst Wiechert nahm sich in seinen Büchern der Menschen, der Landschaft und des einfachen Lebens an. |
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