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Pfarrer Dietrich Bonhoeffer und Bischof Clemens August Graf v. Galen, Generalmajor Henning v. Tresckow und Oberst Claus Schenk Graf v. Stauffenberg sowie die Studentin Sophie Scholl auf der einen Seite des Versammlungssaales; die Oberschüler Hermann Flade und Matthias Domaschk, der Studentenpfarrer Georg-Siegfried Schmutzler und Bischof Otto Dibelius sowie Pfarrer Oskar Brüsewitz auf der anderen Seite - bereits an den großformatigen Porträtfotos konnte man das Thema erkennen, um das bei dem dreitägigen Kolloquium im Zinzendorfhaus im thüringischen Neudietendorf gerungen wurde: "Christlicher Widerstand in zwei deutschen Diktaturen".
Die von der Evangelischen Akademie Thüringen und der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden ausgerichtete Veranstaltung - unterstützt durch die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur - war in ihrem gesamten Verlauf eine historische Bestätigung des von ihr gewählten Mottos aus Apostelgeschichte 5, 29: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen." Denn die zwei Diktaturen des vergangenen Jahrhunderts, der braune und der rote Totalitarismus, waren letztendlich nichts anderes als die beiden verwegensten, umfassendsten und zugleich grausamsten Versuche gottloser Selbsterlösung, die bisher hervorgebracht wurden durch säkularistische Diesseitsvergötzung, ethische und religiöse Bindungslosigkeit sowie Leugnung der Wahrheitsfrage.
Es war der als Rassen- und Klassenideologie zur Herrschaft gelangte selbstherrliche menschliche Fortschrittsoptimismus zweier neuheidnischer Ersatzreligionen, wie der langjährige bayerische Kultusminister Prof. Dr. Hans Maier aus München sowie der Pastor Dr. Hans-Joachim Ramm aus dem schleswig-holsteinischen Kropp in ihren Beiträgen hervorhoben. Doch gegen diese totalitäre Versuchung hat es aus dem kirchlichen Raum immer nur den Widerstand einzelner gegeben, während die Mehrheit den Kompromiß, gar die Anbiederung wählte.
Um geschichtliche Ereignisse und Zusammenhänge besser verstehen zu können, ist das Einzelschicksal immer am eindrucksvollsten, sind die Erinnerungen davon unmittelbar Betroffener besonders lehrreich. Deshalb waren die am zweiten Tage der Veranstaltung aufgebotenen Zeitzeugen, die in Podiumsdiskussionen über ihre Erfahrungen mit dem National- und dem Realsozialismus berichteten, für alle Teilnehmer geradezu faszinierend.
Da war zunächst Dr. Franz v. Hammerstein, heute 83 Jahre alt, Sohn des Generalobersts und Chefs der Hee-resleitung Kurt Freiherr von Hammerstein-Equord, der 1934 aus Protest gegen Hitler aus dem militärischen Dienst ausgeschieden war. Franz v. Hammerstein, der von Martin Niemöller konfirmiert worden war, engagierte sich in der Bekennenden Kirche und während des Krieges gemeinsam mit seinen Brüdern Kunrat und Ludwig in der Widerstandsbewegung um Stauffenberg und Goerdeler. Im August 1944 von der Gestapo verhaftet, war er bis Kriegsende in Buchenwald und Dachau inhaftiert. Ursprünglich Industriekaufmann, hat er dann noch in den 50er Jahren in den USA evangelische Theologie studiert und ist danach besonders durch seine aktive Mitarbeit in der "Aktion Sühnezeichen", in der "Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit", im Malteser-Orden und im Ökumenischen Rat der Kirchen in Genf bekannt geworden.
Philipp Freiherr von Boeselager, Jahrgang 1917, ab 1936 bei der Wehrmacht, Ritterkreuzträger, Regimentskommandeur und bei Kriegsende Oberstleutnant, war bereits als 17jähriger, während des "Röhm-Putschs" 1934, in einem Hotel in Bad Godesberg von der SS für 24 Stunden inhaftiert worden. Während des Krieges war er gemeinsam mit Tresckow, Hellmuth Stieff, Hans Oster und Fabian v. Schlabrendorff an der Planung mehrerer Attentate auf Hitler beteiligt und besorgte schließlich für Stauffenbergs Bombe das Dynamit. Beim Aufbau der Bundeswehr in den 50er Jahren gehörte er dem Personalgutachterausschuß an, der die Übernahme von NS-Belasteten in die neuen Streitkräfte verhindern sollte.
Erregend auch der Weg von Hermann Scheipers, Jahrgang 1913, als Kaplan am 4. Oktober 1940 verhaftet, zunächst im Polizeigefängnis Leipzig und dann ab 28. März 1941 im KZ Dachau (Häftlingsnummer 24255) inhaftiert. Sein "Vergehen" war es gewesen, daß er in seiner Gemeinde im sächsischen Hubertusburg eine Messe für polnische Zwangsarbeiter vorbe-
reitet hatte. Nur seiner Zwillingsschwester Anna hat es Scheipers zu danken, daß er die viereinhalb Jahre KZ-Haft überlebte, denn Anna hatte durch kühne und geschickte Intervention im Berliner SS-Reichssicherheitshauptamt erreichen können, daß weitere Transporte katholischer Geistlicher von Dachau in die Gaskammern nach Auschwitz gestoppt wurden. Scheipers geriet dann nach seiner Befreiung und seiner Rückkehr nach Sachsen auch mit der zweiten deutschen Diktatur bald in Konflikt. 15 Spitzel wurden von der Staatssicherheit auf ihn angesetzt.
Dieses Schicksal teilte er mit seinen evangelischen Glaubensbrüdern in der SBZ und DDR. Auf den Wismarer Pfarrer Hans-Joachim Schwarz waren sechs Spitzel angesetzt (einer von ihnen, ein Arzt, sogar Schwarz bester Freund), und Ulrich Woronowicz, Superintendent in Bad Wilsnack, wurde von der Stasi im Rahmen des OV (Operativ-Vorgang) "Brille" durch 27 IM (darunter ein hauptamtlicher kirchlicher Mitarbei-
ter) überwacht. Auch Dietmar Linke, Pastor in Neuenhagen bei Berlin, erlebte sehr drastisch die Methoden der Geheimpolizei. Ab 1976 wurde er mit OPK/OV (Operative Personenkontrolle/Operativ-Vorgang) "Jugendfreund" bearbeitet, mit Drohungen, Zersetzungsmaßnahmen und Observationen bis zu vorübergehender Inhaftierung, Fahrzeugentzug und einem nächtlichen Einbruch in die kirchlichen Amtsräume. Nach seiner Ausreise nach West-Berlin im Dezember 1983 entzog ihm die Kirche die Ordinationsrechte, so daß er drei Jahre arbeitslos war.
Zwei besonders couragierte Antipoden zu der DDR-treuen Konzeption einer "Kirche im Sozialismus" waren Dr. Erhart Neubert, der ein einführendes Referat über den christlichen Widerstand im SED-Staat hielt, und der ebenfalls als Zeitzeuge auftretende Reinhard Steinlein. Dr. Erhart Neubert, ab 1973 als Studentenpfarrer in Weimar tätig, hat nach dem Ende der DDR als Mitglied des Stolpe-Untersuchungsausschusses wesentlich dazu beigetragen, daß die Verstrickungen des einstigen IM "Sekretär" und heutigen Bundesministers mit dem Mielke-Ministerium publik geworden sind. Reinhard Steinlein, Jahrgang 1919, der unter dem Einfluß seiner Eltern (Vater Lutheraner, Mutter Calvinistin) und der Bekennenden Kirche zum Hitlergegner wurde, war ab 1946 Pfarrer in Fürstenwalde, später Superintendent in Finsterwalde und Nauen. Nach dem Staat-Kirche-Gespräch zwischen Honecker und Bischof Schönherr am 6. März 1978 erklärte Steinlein demonstrativ seinen Austritt aus der Kirchenleitung, weil er sich diesem, wie er es nannte, "Neokonstantinismus" verweigerte, der zu einer "Politisierung der Kirche" führe. Der konservative Lutheraner sollte hier gegenüber Leuten wie Albrecht Schönherr und Manfred Stolpe genauso recht behalten wie im Dezember 1989, als er prophezeite: "Die Wiedervereinigung wird mit der elementaren Gewalt eines Naturereignisses hereinbrechen."
Im Jahre 1993 veröffentlichte Steinlein bei Rowohlt seine Erinnerungen unter dem Titel "Die gottlosen Jahre", und was er dort auf den Seiten 155 bis 157 schreibt, paßte auf die Hitler- und Stalin-Ära ebenso, wie es heute auf unsere postmoderne Welt der Globalisierung, des Islamismus und des internationalen Terrorismus, des Werteverfalls und des grenzenlosen Anspruchsdenkens paßt: "Hieß der Götze von einst, der mit allen Mitteln seinen Totalitätsanspruch durchzusetzen versuchte, Partei, so haben wir es heute ... mit dem Götzen Mammon zu tun. Es handelt sich hierbei freilich um eine schleichende Beeinflussung, die begünstigt wird durch ein gottfernes Milieu und einen platten Materialismus ... Eine Kirche, die um jeden Preis modern sein will, wird am ehesten veralten, eine Kirche, die hechelnd jeder Mode hinterherläuft, wird bald einsehen müssen, daß der Zeitgeist viel zu schnell davoneilt. ... Die Reiche dieser Welt vergehen - wir haben es eindrücklich erlebt. Es bleibt die Kirche und ihre Aufgabe." Hans Brückl
Zeitzeugen und Tagungsteilnehmer: Reinhard Steinlein, Ulrich Schacht und Hans-Joachim Schwarz Foto: Brückl
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