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In einem seiner letzten Interviews als Vizekanzler sagte Joschka Fischer dem Magazin Spiegel: "Die Grünen sind keine Partei der Beliebigkeit." Für diese Einschätzung dürfte Fischer, von Freunden und Gegnern gerne auch "Super-Gau" genannt ("Der größte anzunehmende Außenminister") bei Weggefährten und Zeitzeugen eher Nachdenklichkeit ernten als uneingeschränkte Zustimmung. Denn weite Teile der grünen Basis haben sich in der Hoffnung auf Rückbesinnung und Erneuerung anscheinend damit abgefunden, dorthin zurückzukehren, von wo die Partei einmal herkam: aus der gesellschaftlichen Opposition.
Ende der 70er Jahre hatten sich in der alten Bundesrepublik, ausgehend vor allem aus Niedersachsen, politische Strömung en außerhalb der etablierten Parteien gebildet: Bürgerinitiativen und lokale Wählergemeinschaften, geeint vor allem in der radikalen Ablehnung jeder zivilen Nutzung der Kernenergie. Zu ihnen gesellten sich bald schon Friedens- und Frauenpolitiker, eine neue Linke in der Nachfolge der 68er, Sozialisten, auch Kommunisten. Es entstanden grüne Listen, bunte Listen, alternative Listen. Zu ihrer ersten Integrationsfigur aber wurde ausgerechnet ein Konservativer: Herbert Gruhl, umweltpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Autor des industriekritischen Buches "Ein Planet wird geplündert". Gruhl, isoliert in der Union, trat aus der CDU aus und gründete die "Grüne Aktion Zukunft" - Keimzelle der späteren grünen Partei.
An Gruhls Seite traten Baldur Springmann, Deutschlands erster Verfechter einer rein biologischen Landwirtschaft, der Generalmajor der Bundeswehr Gert Bastian, der sich offen gegen die Stationierung von nuklearen Mittelstreckenraketen in Europa gewandt und der Friedensbewegung angeschlossen hatte, und der Kölner Aktionskünstler Josef Beuys. Zu dieser grünen Gründergeneration zählten überdies Jutta Ditfurth, Radikalökologin und Feministin, die mit 18 Jahren ihren Adelstitel wegen ihres "Ekels vor elitärem Denken" abgelegt hatte und deren selbstgestecktes Ziel es seither war, "dem Kapitalismus möglichst viel zu schaden", und Petra Kelly, eine Friedensaktivistin und Politologin, die Robert Kennedy in den 60er Jahren im US-Präsidentschaftswahlkampf gedient hatte.
Bei der Europawahl 1979 traten die bis dahin zersplitterten Bürgerbewegungen erstmals auf einer gemeinsamen Liste an, errangen auf Anhieb 3,2 Prozent der Wählerstimmen und gründeten daraufhin 1980 die Bundespartei "Die Grünen". Im Programm, das sich "sozial, ökologisch, basisdemokratisch, gewaltfrei" nannte, war die Rede von Abschaffung der Nato, Stillegung aller Atomkraftwerke und 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Kein Zopf blieb fortan ungeschnitten: Die Grünen etablierten auf Kongressen, die zu Chaos-Parteitagen mutierten, Sitzblockade und Rotationsprinzip, forderten Trennung von Amt und Mandat. Frauengruppen in Birkenstock-Sandalen reklamierten ein Grundrecht auf Abtreibung, Gewalt in Kauf nehmende Aktivisten zogen zur Startbahn West, nach Wackersdorf, Brokdorf und Gorleben. Das Waldsterben wurde ins Bewußtsein der Bundesbürger gerückt, die Wiedervereinigung strikt abgelehnt. Fundamentalisten wurden zu Fundis, Realpolitiker zu Realos, beide Flügel stritten über die Frage "Bewegung oder Partei?". Die einen lehnten jede Zusammenarbeit mit dem Politestablishment ab, die anderen suchten ob der Machtverheißung dessen Nähe. Am Ende sollten die Realos obsiegen.
Das bürgerliche Lager warf den Grünen anfänglich ein gespaltenes Verhältnis zum Gewaltmonopol des Staates vor - hatten doch zwei ihrer prominentesten Mitglieder, Otto Schily und Christian Ströbele, in den 70er Jahren RAF-Terroristen vor Gericht gegen die Bundesrepublik verteidigt und war ihr zunächst hessischer Regionalstar Joseph "Joschka" Fischer ein legendärer Straßenkämpfer der Frankfurter Sponti-Szene. 1983 zogen die Grünen in den Bundestag ein, Fischer wurde 1985 in Wiesbaden ihr erster Minister: Seinen Amtseid leistete er in Turnschuhen. Während die grünen Parlamentarier zwangsverpflichtet wurden, einen Teil ihrer Diäten in einen parteieigenen Öko-Fonds einzuzahlen, wechselte Otto Schily 1989 zur SPD, nachdem er wachsenden Gefallen an der Politik als Hauptberuf gefunden hatte. In Niedersachsen wurde Jürgen Trittin, ehemaliges Mitglied des Kommunistischen Bundes, Landesminister bei Gerhard Schröder und Aufsichtsrat der Deutschen Messe AG. Jutta Ditfurth verließ die Partei, deren Ziele sie verraten sah, Gert Bastian erschoß 1992 seine Lebensgefährtin Petra Kelly und sich selbst. Daniel Cohn-Bendit, der in den 60ern an der Seite Rudi Dutschkes gestanden hatte und sich als Soziologe und Erzieher verdingte ("Mein ständiger Flirt mit Kindern nahm bald erotische Züge an"), stieß zu den Grünen, wurde Fischers Berater und Europaparlamentarier - parteiinterne Gegner einer Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten kanzelte er als "Maulhelden" ab.
In den ersten Nach-Wende-Bundestagswahlkampf zogen die Grünen mit dem Slogan "Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Klima": Die Folge waren Wahldebakel, späte Einsicht in die Richtigkeit der Wiedervereinigung und Zusammenschluß mit dem aus der DDR-Bürgerrechtsbewegung hervorgegangenen "Bündis 90". Wieder war ein Stück grüner Ursprungsidentität den Verlockungen der Machtteilhabe gewichen. Schon 1994 stellte die Partei dafür mit Antje Vollmer ihre erste Bundestagspräsidentin - Grün war salonfähig geworden.
Das "Projekt Rot-Grün" in der ersten Kanzlerschaft Gerhard Schröders machte den ehemaligen Straßenkämpfer Fischer zum Vizekanzler der Republik und den Ex-Kommunisten Trittin zu ihrem Umweltminister. Auf dem Zenit angekommen, fuhr die Partei fort, sich von sich selbst zu entfernen: Bundeswehreinsätze in Kriegsgebieten statt Radikalpazifismus, lautete nun plötzlich die Richtung - wofür Fischer in einem letzten Aufbegehren der Basis 1999 auf einem Parteitag mit einem Farbbeutel abgewatscht wurde. Plakatives ersetzte Revolutionäres: "Bio-Siegel", "Dosenpfand", "Öko-Steuer", "Homo-Ehe", "Multikulti" ergänzten Sprachschatz und Gesetzestexte - und von den Brennpunkten der Erde ließ sich Joschka Fischer als Außenminister per Videoübertragung auf die Leinwände der Parteitage zuschalten.
Die Grünen reichten die Hand zu Einschnitten ins soziale Netz und trugen Schröders "Agenda 2010" mit - Jutta Ditfurth kommentierte degoutiert "Hartz IV" als "Reichsarbeitsdienst" und die "Ein-Euro-Jobs" als "Zwangsarbeit".
Fischer stieg, gehätschelt von den Demoskopen, in Meinungsumfragen zum beliebtesten Politiker der Bundesrepublik auf und erwarb sich internationales Ansehen mit seinem Engagement für den europäischen Einigungsprozeß - wenn auch die Bevölkerung mancherorts in Europa diesen Weg nicht mitgehen wollte. Andere grüne Spitzenpolitiker hielten sich PR-Berater oder sammelten Miles-and-more-Bonuspunkte - die Beliebtheit der Partei wuchs vor allem bei den Besserverdienenden. Die Grünen stärkten den Verbraucherschutz, setzten den Ausstieg aus der Kernenergie durch (allerdings nur auf Langzeitraten) und trugen die Senkung von Unternehmenssteuern mit. Beständig war am Ende des "Projekts Rot-Grün" vor allem die eher erstaunliche Fähigkeit der einst unter dem Zeichen der Sonnenblume Angetretenen, sich Zeitgeist und Primat von Machterhalt und wirtschaftlichen Sachzwängen anzupassen. Und Fischers Stern verblaßte, als ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß dokumentierte, daß er in der Visapolitik durch unkoordinierte Entscheidungsabläufe in seinem Ministerium das Aufkommen eines osteuropäischen illegalen Schleusertums zumindest nicht hatte verhindern können.
Ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung waren die Realos final in der Realität angekommen - und die Fundamentalisten am Wegesrand zurückgeblieben.
Konservativer Anfang 1979: Herbert Gruhl (l., hier mit seinen Stellvertretern) verließ die CDU und gründete die "Grüne Aktion Zukunft" Foto: pa
Friedensdemonstration1981: Grünensprecherin Petra Kelly mit ihrem Mitstreiter und Lebensgefährten Gert Bastian Foto: vario-press
Ministervereidigung in Turnschuhen 1985: Joschka Fischer (r.) |
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